Kapitel 31

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Der nächste Morgen brach über Kageyama herein und zu seiner Erleichterung spürte er nur noch einen sehr zaghaften Kopfschmerz, das Schwindelgefühl war verschwunden. Nun ja, zumindest im Liegen. Links und rechts neben sich sah er Tanaka sowie Asahi und Noya noch friedlich schlafen. Er selbst sehnte sich nach einer ausgiebigen Dusche, welche hoffentlich noch ein paar mehr Lebensgeister in ihm erwecken würde. Langsam stand er auf, hielt kurz inne, da er auf den bald einsetzenden Schwindel wartete, welcher zum Glück ausblieb. Erleichtert atmete er aus, klaubte in einer flüssigen Bewegung seine benötigten Sachen zusammen und schlich sich aus dem Zimmer.

Wie erwartet tat ihm die heiße Dusche gut. Sie entspannte seine immer noch stark verkrampften Muskeln und ließ sogar den Kopfschmerz vollständig verschwinden. Wahnsinn, es war ein berauschendes Gefühl, endlich wieder vollständig bei Sinnen zu sein. Nach einer gefühlten Ewigkeit stellte er zufrieden das Wasser ab und ging hinüber zu seinen Sachen, um sich abzutrocknen. Als er mit dem Handtuch über seinen Rücken fuhr, durchzuckte ihn ein unangenehmer Schmerz. Verdammt, dass hatte er schön wieder völlig vergessen. Er ging hinüber zu dem Wandspiegel und drehte sich so, dass er einen Blick auf seinen Rücken werfen konnte. Man musste bei weitem kein Genie sein, um herauszufinden, woher der Schmerz kam. Ein riesiger, dunkel gefärbter Fleck prangte auf seinem Rücken. Der Anblick rief in ihm wieder das unangenehme Gefühl hervor, welches er verspürt hatte, als er an der Kiste in dem Geräteschuppen gelehnt hatte. Vermutlich war es das Schloss der Kiste gewesen, welches sich so unliebsam in seinen Rücken gebohrt hatte. Nun gut, er würde den Schmerz für die nächsten Tage ertragen müssen, hoffte jedoch inständig, dass er ihn beim Volleyballspielen nicht beeinträchtigen würde.

Überrascht drehte sich Kageyama zur Tür um. Suga, Daichi, Asahi und Noya betraten bereits den Waschraum. Du meine Güte, wie lange hatte er bloß geduscht?

Etwas entsetzt von dem großen blauen Fleck auf Kageyamas Rücken fragte Asahi, ob er dolle Schmerzen hätte.

„Ein wenig tut es schon weh, aber nicht so sehr, dass es mich vom heutigen Training abhalten wird", antwortete er ihm erstaunlich gelassen.

„Kageyama, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, wenn du heute schon wieder beim Training dabei bist. Du warst echt hinüber, meinst du nicht, du solltest dich noch ein bisschen ausruhen?", fragte Suga besorgt.

„Meine Muskeln fühlen sich so verdammt schwer und eingerostet an, ich brauch einfach Bewegung, damit mein Körper wieder in Schwung kommt."

Daichi bedachte ihn mit einem prüfenden Blick.

„Okay, von mir aus. Aber sobald dir schlecht wird oder so, setzt du dich ohne Murren auf die Bank, haben wir uns da verstanden?", wollte Daichi wissen.

„Ja, verstanden, Kapitän", antwortete er ihm mit fester Stimme.

„Gut", sagte Daichi zufrieden und begann sich auszuziehen, um kurz darauf in einer der Duschkabinen zu verschwinden. Die anderen drei Jungs taten es ihm gleich.

Kageyama war aufgrund des Gesprächs bereits vollkommen getrocknet und musste sich nur noch die frischen Klamotten überwerfen. Dann trat er hinaus in den Flur.

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Hinata war wie vom Blitz getroffen. Wie aus dem Nichts tauchte Kageyama im Flur plötzlich vor ihm auf. Dieser lächelte ihn unsicher an.

„Hey, Hinata. Alles klar?"

Es dauerte einen Moment, bis die Frage in sein Bewusstsein drang. Ob alles klar war? Wollte er ihn verarschen? Überhaupt nichts war klar, verdammte scheiße! Er hatte sich von Hoshiumi einen Blasen lassen und dass, obwohl er ganz genau wusste, was Hinata für ihn empfand und wie sehr er Hoshiumi verabscheute! Ihm wurde speiübel bei dem Gedanken daran, was die zwei wohl noch alles miteinander angestellt hatten, nachdem er sie im Geräteschuppen zurückgelassen hatte. Wut stieg in dem kleinen Mittelblocker auf und die Tränen rannen ihm ungehindert über die Wangen. Wie konnte Kageyama nur so kalt sein und jetzt so gelassen vor ihm stehen und ihn allen Ernstes fragen, ob alles klar wäre?! Noch nie hatte er einen solchen Hass auf Kageyama verspürt, er hatte überhaupt noch nie einen solchen Hass auf irgendjemanden verspürt. Seine Kehle schnürte sich zu. Er musste hier weg. Unter die Dusche. Das eiskalte Wasser würde seine Gefühle und Gedanken wieder betäuben. Ohne ein Wort rannte Hinata an dem Schwarzhaarigen vorbei in den Duschraum.

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Kageyama, der keine Ahnung davon hatte, dass Hinata ihn dabei beobachten konnte, wie Hoshiumi ihm einen geblasen hatte, war sichtlich verwirrt über die Reaktion seines Freundes. Klar, als er gestern so abrupt vom Tisch aufgestanden war und Hinata angewiesen hatte, er solle ihm nicht folgen, war er vielleicht etwas harsch gewesen. Aber das erklärte bei weitem nicht das seltsame Verhalten, welches er eben an den Tag gelegt hatte.

Auch kurze Zeit später beim Frühstück wurde er von Hinata komplett ignoriert. Er hatte sich demonstrativ zu Noya und Yamaguchi gesetzt und würdigte ihn keines einzigen Blickes. Dieses Verhalten zog sich durch den ganzen Tag, durch sämtliche Trainingseinheiten. Das ging tatsächlich so weit, das Hinata nicht mal mehr auf seine Zuspiele reagierte, sondern an Daichi gewandt erklärte, dass er nur noch die Bälle schlug, die ihm von den anderen Teammitgliedern zugespielt wurden. Das brachte das Fass nun wirklich zum Überlaufen.

„Was ist dein verdammtes Problem, du Idiot?", brüllte ihn Kageyama wütend an.

Hinata ignorierte ihn. Das machte ihn nur noch rasender. Zornig stapfte er auf den Mittelblocker zu und schubste ihn, woraufhin dieser leicht nach hinten torkelte.

„Hey, bist du taub oder was? Ich rede mit dir!"

Offenbar weckte der Stoß Hinata endlich auf. Zornig funkelte er ihn an.

„Du willst wissen, was mein verdammtes Problem ist? DU BIST MEIN PROBLEM! DEINE GANZE SCHEISS EXISTENZ IST EIN VERDAMMTES PROBLEM! GEH UND STIRB DOCH EINFACH! KEIN MENSCH WÜRDE DICH, DEN EGOISTISCHEN UND TYRANNISCHEN KÖNIG, VERMISSEN! ALSO VERSCHWINDE, LASS MICH ENDLICH IN RUHE. ICH HASSE DICH!"

Hinata spuckte diese Worte förmlich in Kageyamas Gesicht. Dieser war so erschrocken von dem unkontrollierten Wutausbruch, dass er wie erstarrt dastand und die Bedeutung seiner Worte erst jetzt zu ihm durchdrang. Was zum Teufel war bloß passiert? Bis vor wenigen Tagen noch war Hinata bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen. Er wich ihm keinen Millimeter von der Seite, klebte förmlich wie eine Klette an ihm und stellte Besitzansprüche, forderte Kageyama als sein alleiniges Eigentum ein. Und jetzt? Jetzt war seine bloße Existenz ein Problem und er wünschte, dass Kageyama stirbt? Er konnte nicht im Geringsten nachvollziehen, was diesen drastischen Sinneswandel ausgelöst hatte und spürte unfassbare Wut in sich aufsteigen.

„Na bitte, wenn du es so haben willst, dann geh ich eben! Aber wag es ja nicht, irgendwann auf allen Vieren angekrochen zu kommen, weil du bereust, was du eben gesagt hast!", schrie er ihm entgegen.

„Keine Sorge, das wird nie passieren. Denn für mich bist du bereits gestorben", stellte Hinata mit einer beängstigend ruhigen Stimme klar.

Kageyama konnte und wollte seinen Ohren nicht trauen. Er war bereits für ihn gestorben? Aber wieso, verdammt noch mal. Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen.

„Ich verstehe", sagte er ruhig und wandte sich zum Gehen. Niemand hielt ihn auf, als er durch die Tür ging. ‚Kein Mensch würde dich vermissen' hallten Hinatas Worte in seinem Kopf nach. Offenbar hatte er recht.

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Es dauerte eine ganze Weile, bis Daichi seine Sprache wiedergefunden hatte.

„Hinata, bist du bescheuert? Was zum Teufel war das eben?", brach es aus Daichi heraus. Alle schauten ihn geschockt an. Solche Worte kannten sie aus dem Munde ihres Kapitäns nicht.

„Ich habe nur die Wahrheit gesagt!", antwortete er patzig.

„DU HAST IHM GESAGT, ER SOLLE STERBEN GEHEN!", schrie Daichi.

„JA, UND DAS HABE ICH AUCH GANZ GENAU SO GEMEINT!", brüllte er zurück und verließ ebenfalls die Sporthalle.

Zurück ließ er seine fassungslosen Teammitglieder, die immer noch im Begriff waren zu verstehen, was hier gerade passiert war. Sogar Tsukishima, der sonst immer distanziert und kühl war, schien aufrichtig geschockt. Mit solch einem Ausbruch an Gefühlen, hatte niemand gerechnet.

Er soll Mein seinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt