𝕍𝕖𝕣𝕫𝕨𝕖𝕚𝕗𝕝𝕦𝕟𝕘

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-Sicht Ellen-

Es war kalt und der Regen bildete große Pfützen auf den Straßen von Köln. Meine Hände kribbelten und meine Klamotten konnten bereits kein weiteres Wasser mehr aufnehmen. Sie waren völlig durchtränkt und ließen wie der Himmel weitere Tropfen zu Boden fallen, welche in dem fast schon kleinen Teich, der sich vor der Bank, auf der ich saß, gebildet hatte, verschwanden. Meine Haare waren pitschnass und der Regen lief mir übers Gesicht, tropfte von meiner Nasenspitze. Ich merkte wie jemand sich neben mich setzte, doch ich schenkte der Person keine Beachtung. "Ich denke er wird nicht kommen", kam es von einer mitteltiefen und angenehm klingenden Stimme plötzlich. Verwirrt schaute ich mich um, bis ich realisierte, dass die Worte von meinem Sitznachbarn kamen. Meine Zähne klapperten leicht aufeinander vor Kälte und ich sah ihn deshalb nur verwirrt an. Aus Angst er könnte hören wie mein Körper bei der Temperatur und bei dem Wetter leidet, wenn ich etwas sagen würde, aus Angst meine Zähne könnten lauter als ein ausgewachsener Storch klappern, schwieg ich. Nun wandte auch er seinen Blick, der zuvor noch starr in der Ferne geradeaus hing, zu mir. "Na der Typ oder die Person, auf die du wartest, wird nicht mehr kommen. Dafür wartest du schon zu lange" Ich war nicht nur ein bisschen verwirrt, sondern nun auch genervt. "Ich warte auf niemanden", gab ich so knapp und leise wie möglich zurück und bewegte meinen Mund nur so wenig wie es nötig war. Nun schien er verwirrt. Ich hoffte er würde mich in Ruhe lassen und richtete meinen Blick wieder geradeaus. "Und was wird das dann hier? Selbstmord für faule Fortgeschrittene?", scherzte er. "So habe ich noch gar nicht darüber nachgedacht, aber danke für den Denkanstoß", gab ich zurück. "Nein ernsthaft! Du holst dir bei dem Wetter alleine hier draußen den sicheren Tod!" Seine Stimme klang auf Einmal ziemlich ernst, als würde er sich um mich sorgen oder zumindest ernsthaft Gedanken drüber machen. "Und wenn schon, das geht dich nichts an", sagte ich genervt und stand mit einer hektischen Bewegung auf. Anscheinend war das zu schnell für meinen Kreislauf, denn augenblicklich fing sich alles an zu drehen und ich merkte wie ich langsam rückwärts taumelte. "Alles okay?", fragte die gleiche Person, die nun auch aufstand versuchte mich am Arm zu stützen. "Mir geht es gut verdammt! Kümmer' dich um deinen Eigenen Kram!" Die Welt um mich herum drehte sich immer langsamer und kam schließlich wieder zum Stehen. Sofort schüttelte ich seine Hände ab und steuerte schnellen Schrittes meinen Weg von der Bank weg an. Nach einigen Sekunden hörte ich jedoch Schritte hinter mir und ich brauchte mich nicht einmal umdrehen um zu wissen, dass sie dem Jungen gehörten, der mich nun offensichtlich verfolgte. "Hab ich Zucker in den Taschen oder was? Verzieh dich endlich!", schrie ich ohne mich nach ihm umzudrehen und ging ohne eine Antwort zu erwarten schnellen Schrittes weiter. Scheint, als hätte er es endlich verstanden. Nach einer Weile drehte ich mich um und tatsächlich war der komische Junge nicht mehr da und ich war endlich wieder alleine. Ich sollte mich gut fühlen, frei und unabhängig, aber stattdessen fühlte ich mich nur einsam und leer. Mein schlechtes Gewissen plagte mich, ich habe die ganze Wut, alle meine Emotionen gegen ein Fremde Person gerichtet, dabei wollte er mir vielleicht ja wirklich nur helfen? Schnell verdrängte ich den Gedanken. Ich hatte ja nicht um Hilfe geben und im schlimmsten Fall hat eine Fremde ihm jetzt einen schlechten Tag beschert. Wenn überhaupt, vielleicht beschäftigt es ihn ja auch gar nicht und es war nur ein nicht allzu netter Zusammenstoß, den er in kürze sowieso wieder vergisst- schließlich werden wir uns nicht wiedersehen. Nachdem ich meine Gedanken halbwegs sortiert hatte drängte sich dann die wichtigste Frage in meinen Kopf: Wo sollte ich nur hin? Mein ganzer Körper zitterte und langsam wurde es immer schwerer mich auf den Beinen zu halten, denn nicht nur die Kälte und das nasse Wetter schwächten meinen Körper, sondern auch die Schmerzen, die aus mehreren Bereichen auftraten und sich langsam aber sicher immer weiter über meinen gesamten Leib ausbreiteten. Noch einige Zeit schlenderte ich durch die Straßen und Gassen, ich hatte längst keine Orientierung mehr und wusste nicht wo ich war oder wie ich einen Platz zum Schlafen finden sollte, obwohl es vielleicht wichtig wäre, denn mittlerweile dämmerte es und die Kälte würde in der Nacht nicht von jetzt auf gleich verschwinden. Ich schaute mich um, doch das einzige, was als Schlafplatz in Frage kommen würde war eine Bank auf der anderen Straßenseite. Weil ich nicht noch mehr Kraft hatte um weiterzusuchen nahm ich es so hin und ließ mich mit schmerzenden, schweren Beinen auf der Bank nieder. Alles schmerzte auf dem eiskalten Metall und der Regen gab weiterhin seinen Teil für die herrschende Ungemütlichkeit dazu. "Du hast es nicht anders verdient, du bist eine Einzige Enttäuschung, machst allen doppelte Arbeit und bist nur eine Last, mit der sich keiner freiwillig rumschlagen möchte. Wärst du nicht so ein Feigling gewesen und einfach abgehauen, dann hättest du jetzt wenigstens ein Dach überm Kopf und eine warme Decke"- Meine Gedanken fingen wieder an zu kreisen, der Selbsthass und die Verzweiflung waren kaum auszuhalten. Ich hatte hier niemanden, ich kannte hier niemanden, ich hatte keinen Ort, keine Person, nichts, was mir helfen oder Sicherheit geben könnte. Das dachte ich, bis mir ungewollt einzelne Namen ins Gedächtnis gerufen wurden. Charlotte, Tabea, Miriam, Julia..- all diese Menschen haben mir das Gefühl gegeben wichtig zu sein, gehört und verstanden zu werden, sie haben mir ein Gefühl von Sicherheit gegeben, auch wenn ich nicht immer ihrer Meinung war. Mein Herz wurde ganz schwer. Ich habe mich die ganze Zeit dagegen gewehrt, ja, regelrecht gesträubt ihnen zu vertrauen oder mir helfen zu lassen und ihnen alles so schwer gemacht, aus Angst doch nur eine von vielen zu sein, ein Patient aus deren Alltag, aus Angst verlassen zu werden oder eine Bindung aufzubauen und dann festzustellen, dass man sowieso hängen gelassen wird, besonders, wenn man am Meisten Halt braucht. Aus Angst sich zu öffnen und nur ein Problem zu sein, eine schwache Person, eine weitere Enttäuschung. Aber hätten sie wirklich jede x-beliebige Person mit zu sich nach Hause genommen? Hätten sie sich so viel Mühe gegeben, dass ich mich wohlfühlte und so viele Kompromisse gesucht, um Lösungen für alles zu finden, wenn alles was sie sagten nicht ernst gemeint war? Immer mehr zweifelte ich daran meinen Gedanken selbst zu glauben- alles was sie sagten und taten, wird einen Grund gehabt haben. Es wird nicht nur reine Höflichkeit gewesen sein oder weil sie beruflich professionell sein mussten, denn es ist sicher nicht professionell einen Patienten mit nach Hause zu nehmen und sich sogar privat noch um ihn zu kümmern. Auf einmal vermisste ich es von diesen lieben Menschen umgeben zu sein. Das Gefühl zu haben, dass man wirklich gesehen wird und vielleicht auch wirklich mal schwach werden darf, weil man von manchen Menschen dann wieder aufgefangen werden kann. Die Angst davor, mir das einzugestehen und Hilfe anzunehmen kämpfte in meinem Kopf wie ein tobender Orkan gegen den Drang stark zu bleiben und allen dies zu beweisen, dass ich viel mehr alleine durchstehe als jeder glaubt. Reflexartig Griff meine Hand in meine Hosentasche und fand wonach sie suchte: ein kleiner weißer Zettel, der durch die wetterbedingten Umstände jetzt schon ziemlich in Mitleidenschaft gezogen wurde. Mit zitternden Fingern faltete ich ihn auf und war erleichtert, als ich feststellte, dass die aufgeschriebenen Worte noch halbwegs lesbar waren, obwohl die Tintenfarbe schon anfing zu zerlaufen. Die Adresse von Charlotte hatte sich auf diesem kleinen Zettel in meine Hosentasche geschlichen, nachdem mir jeder dort beteuerte, dass sie für mich da wären, wenn ich was brauchen würde. Und dieser Zeitpunkt war genau jetzt. Auch wenn mir klar war, dass ich meine erneute Flucht somit wieder in den Sand setzen würde, wollte ich nichts lieber als jetzt bei ihnen zu sein, ihre Geborgenheit spüren und ja, sogar ihre Hilfe in Anspruch nehmen, weil ich wusste wie umsichtig und rücksichtsvoll sie mit mir sein würden. Weil ich wusste, dass ich ihnen vertrauen konnte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 14 ⏰

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