ℕ𝕦𝕣 𝕜𝕖𝕚𝕟𝕖 ℙ𝕒𝕟𝕚𝕜

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~𝚂𝚒𝚌𝚑𝚝 𝚃𝚊𝚋𝚎𝚊~

Ich unterhielt mich mit Schwester Nancy und Linda während ich mein Brötchen kaute und noch etwas wartete damit mein Kaffee eine trinkbare Temperatur erreichen würde, sodass ich mir nicht direkt das Mundwerk verbrühen würde. Ich war total in unser Gespräch vertieft, weshalb ich die verzweifelt klingenden Rufe erst wahrnahm, nachdem Nancy uns unterbrach: "Pssst - Habt ihr das auch gehört? Da ruft doch einer!" Gespannt horchten wir - eine Zeitlang war absolute Stille. Doch dann hörte auch ich, was Nancy meinte: ein immer lauter werdendes "Ellie?!". Konnte das sein?  Rief da wirklich jemand nach Ellie oder war es eigentlich was ganz andere und hörte sich einfach nur so an? "Ellie, es tut mir leid!", rief die gleiche Stimme wieder und schien dieses Mal nicht weit entfernt von unserem Aufenthaltsraum zu sein. Diese Stimme kannte ich doch. Wir schauten uns verwundert an und ich machte schließlich eine Handbewegung um ihnen zu sagen, dass ich mich drum kümmern werde.
So stand ich auf und luscherte aus der Tür um die Ecke, doch ich konnte auf den ersten Blick niemanden sehen, von dem die Rufe ausgingen. In mir stieg ein ungutes Gefühl auf, denn ich glaubte nicht, dass es Zufall sein könnte, dass ich die Stimme von Ellies Vater hörte, welcher verzweifelt ihren Namen durchs gesamte Krankenhaus rief. Deshalb schaute ich mich ein bisschen auf dem Flur um, bis aus einem Gang jemand rausschoss und mich anrempelte. "Entschuldigung, das wollte ich nicht", sagte dann eine männliche Stimme und als ich erkannte wer es war wurde mir ganz mulmig. "Alles gut, ist ja nichts passiert! Was machen Sie denn schon wieder hier draußen auf den Gängen?" Wieder fuhr er sich durch die Haare. "Ja.. Also.. Ehm..Ich", stotterte er rum und ich konnte sehen, dass er ziemlich verzweifelt wirkte und etwas außer Atem war, weshalb ich noch einmal energischer ansetzte: "Beruhigen Sie sich erst einmal. Was ist denn passiert? Alles in Ordnung?" Er war aufgeregt oder nervös und ich hoffte so sehr, dass alles okay war, dass nichts passiert wäre worum ich mir Sorgen machen müsste. "Ja.. Also...Nein.." Dabei fasste er sich an die Stirn und atmete danach laut aus. Ich sah ihn nur eindringlich an und wartete auf eine vernünftige Antwort. "Es geht um Ellen", sagte er schließlich knapp. Das ungute Gefühl in mir wuchs mit jeder Sekunde. "Wieso? Was ist mir ihr?" Ich wurde langsam ungeduldig und war gedanklich schon drauf vorbereitet jederzeit lossprinten zu müssen, weil sie ohnmächtig war oder ähnliches. "Sie ist weg" Was hatte er gesagt? "Wie weg? Was?", fragte ich etwas verwirrt als hätte ich nicht verstanden, was er sagte. "Ja halt weg, abgehauen oder keine Ahnung." Er wirkte ebenso aufgebracht wie ich es innerlich war. "Wie abgehauen? Sie waren doch bei ihr oder nicht?"
"Ja! Ja war ich. Wir haben uns gestritten und dann keine Ahnung. Ich bin schon 3 mal alles hier abgelaufen und konnte sie nicht finden - sie ist weg!"
Er schien nicht mehr ganz so desinteressiert oder fixiert auf die Arbeit wie zuvor, sondern viel mehr wirklich besorgt. Ich wusste, dass es nicht so einfach mit ihr war was medizinische Sachen betrifft, aber an sich schien sie ein echt nettes Mädchen zu sein und jeglichem Streit aus dem Weg zu gehen. Den Eindruck hatte ich zumindest. "Okay, ganz ruhig!", versuchte ich nicht nur ihn, sondern auch mich zu beruhigen. "Wie lange ist sie denn schon weg?" Er schaute auf seine Armbanduhr an seinem Handgelenk, zuckte einmal leicht mit den Schultern und gab schließlich: "Weiß ich nicht so genau, vielleicht 5 bis 10 Minuten? Oder 20?Ich weiß es nicht, verdammt" von sich. Das war eine ordentliche Zeitspanne. Entweder könnte sie also noch im Krankenhaus sein oder schon längst wieder die Flucht ergriffen haben. Bei ihrem Zustand hoffte ich, dass es sich nicht um zweiteres handeln würde, denn vermutlich könnte dies schlecht enden. Keine Panik, nur keine Panik, versuchte ich mir immer wieder einzureden, doch jetzt noch ruhig zu bleiben, fiel auch mir etwas schwer. Mit einer Handbewegung machte ich meinem Gegenüber klar, dass er mir folgen sollte und wir gingen schnellen Schrittes Richtung Schwesternzimmer. Er wartete vor der Tür und ich erklärte meinen dort sitzenden Kollegen, was ich kurz zuvor erfahren habe und klärte sie über die Situation auf. Wir beschlossen erstmal so schnell wie möglich in Ellies Zimmer zu schauen, ob sie sich vielleicht doch noch dort aufhalten könnte. Auf dem Weg dorthin, welcher trotz unserser großen und eiligen Schritte auf einmal unendlich lang schien und nicht enden wollte, ließ ich dem Vater meiner Patientin an unserem Plan teilhaben. Im Zimmer angekommen mussten wir dann leider feststellen, dass Ellie sich dort wirklich nicht mehr aufhielt. Wir suchten in jeder Ecke: unterm Bett, in den Schränken, im Bad, hinter den Vorhängen, doch es war niemand dort. "Ihr Handy ist weg. Sie muss es mitgenommen haben", sagte dann der Vater, der seinen Blick auf den Nachtschrank gerichtet hatte. Das war ein Pluspunkt. Vielleicht würden wir sie erreichen oder könnten sie im schlimmsten Fall orten lassen, falls wir sie wirklich nicht finden würden. "Okay..also, ihr telefoniert alle Stationen ab und fragt ob die Ellie gesehen haben, Sie versuchen ihre Tochter zu erreichen und kontaktieren alle Bekannten, die vielleicht etwas über ihren Aufenthaltsort wissen könnten, also Verwandte, denen sie nahe steht oder Freunden. Sie sagten, dass sie eigentlich mit ihrer Trainerin hier in Köln war, richtig?", ratterte ich runter und war innerlich so angespannt wie ich es selten war. Als Ellies Vater nickte fuhr ich fort: "Gut, dann sollten Sie diese nach ihrer Tochter als erstes kontaktieren. Ich werde in der Notaufnahme und am Ausgang gucken, ob ich sie dort finde und sollte alles negativ sein werden wir die Polizei um Unterstützung bitten müssen." Alle nickten und stimmten dem Plan, den wir auf dem Weg ausgearbeitet hatten, zu. Nancy und Linda sprachen sich ab, wer auf welcher Etage alles abtelefonieren würde und kurz darauf standen drei personen vor mir, die verzweifelt und hektisch in ihr Telefon sprachen. Ich blieb noch kurz um die ersten Antworten abzuwarten und hoffte, dass einer von ihnen gleich sagen würde, dass Ellie gefunden wurde und es ihr gut geht. Von meinen beiden weiblichen Kollegen bekam ich nur ein Kopfschütteln, bevor sie direkt die nächste Nummer wählten.  "Ich konnte sie wie befürchtet nicht erreichen, ich versuche es weiterhin", sagte der Vater meiner jungen Patientin und schüttelte verzweifelt den Kopf. "Alles gut, sonst versuchen Sie es noch bei weiteren Personen. Dass Ihre Tochter jetzt rangeht halte ich auch für eher unwahrscheinlich, aber versuchen Sie es trotzdem weiter." Wieder wählte er eine Nummer und hielt sich sein Handy ans Ohr. "Wenn ihr was Neues habt, sagt bescheid", flüsterte ich nun mehr, da ich nicht stören wollte und ging aus dem Raum. Meine Schritte wurde immer schneller und zum Schluss lief ich durchs Krankenhaus. In der Notaufnahme war sie nicht und auch an sämtlichen Ein- oder Ausgängen, konnte ich sie nicht finden. Auch sonst hatte keine meiner Kollegen sie gesehen oder drauf geachtete. Ich stand am Haupteingang als mein Diensttelefon sich meldete. Sofort ging ich ran, in der Hoffnung jetzt eine gute Nachricht zu hören. Es war Nancy, welche ganz aufgeregt irgendwas redete. "So jetzt mal ganz ruhig Lieschen Sonnenschein! Ich verstehe kein Wort wenn du so schnell redest" Meine Stimme klang dabei ruhiger als ich es in Wirklichkeit war. Ich hörte sie am anderen Ende des Telefons einmal tief durchatmen. "Ellie scheint sich nicht mehr im Krankenhaus aufzuhalten, keiner hat sie gesehen"
In diesem Moment blieb mir vor Schreck das Herz fast steht. "Shit!", schrie ich lauter und aufgebrachte als ich wollte. "Okay..", versuchte ich mich neu zu sammeln, "dann treffen wir uns gleich im Schwesternzimmer und reden wie es weiter geht. Wir müssen dann mit der Polizei Kontakt aufnehmen. Ich bin gleich wieder bei euch".
Innerlich war ich aufgebracht wie sonst selten, aber dennoch musste ich stark und vor allem professionell bleiben, weshalb ich schnellen Schrittes einfach wieder reinging und mir versuchte auf dem Weg nichts weiter anmerken zu lassen. Wir werden sie gesund und heile wiederfinden! Auf dem gesamten Weg redete ich mir das ein und hoffte, dass alles gut werden würde. Nun würden wir erstmal die Polizei anrufen und mit unseren Kollegen dort sprechen und dann würden die sie ganz schnell finden.
Auch wenn ich nicht an Gott glaube, in diesem Moment betete ich, dass es ihr gut geht.

ASDS - to know you is to love you 🦋Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt