Rose POV
'Scheiße, was antworte ich jetzt darauf? Ich kann doch nicht sagen, dass ich ihre Schwester bin, sonst fragt sie mich wegen dem Nachnamen, aber ich will auch nicht lügen'
"Ich kenne die White-Brüder", sagte ich und konnte es nicht verhindern, dass ich diese Bezeichnung wie Abscheu aussprach. Was sollten das für Brüder seien, die ihre Schwester im Stich ließen?
Kurz überlegte ich noch, was ich sagen sollte, aber dann bekam ich eine Idee.
"Weißt du, dass sie eine Schwester hatten?", begann ich um auch etwas Informationen zu bekommen.
"Ja, Natalie. Wenn ich mich nicht irre hatte sie erst vor kurzem Geburtstag und gleichzeitig Todestag. Die Jungs bereuen es sie verlassen zu haben und reden nur selten über sie, weil sie sonst immer in Tränen ausbrechen." Liz hatte während sie ihre Informationen aufgezählt hatte, immer verwirrter ausgesehen und ich wurde glücklich, dass sie mich nicht vergessen hatten."Aber was hat das jetzt mit dir zu tun oder mit dem gerade eben?", fragte Liz nach einem kurzen Schweigen. "Ich war ihre beste Freundin", beantwortete ich ihre Frage mit meiner Lüge und stoppte kurz. 'Wie viel will ich ihr erzählen?', fragte ich mich.
"Ich bin nur wenige Tage vor ihrem Geburtstag neu in die Stadt gezogen. Ich habe sie aber nie angesprochen, weil sie immer bei ihren Brüdern war. Aber vom einen auf den anderen Tag waren ihre Brüder weg. Du hättest sie sehen müssen. Nie hat sie gelächelt, sie wollte nichts mit Freunden unternehmen und auch sonst hat sie sich sehr zurück gezogen. Als sie dann nach ungefähr einer Woche Schnitte an ihren Armen hatte, brachen ihre Freunde endgültig den Kontakt ab. Aber ich glaubte nicht, dass sie sich ritzte, auch wenn sie einen Grund hatte. An einem Tag habe ich sie angesprochen und sie gefragt was los war, aber sie hat angefangen zu weinen. Also bin ich einfach neben ihr gesessen und habe gewartet. Sie hat mir dann erzählt, dass sie ihre Brüder vermisst und ihre Freunde sie verlassen haben und sie es deshalb gemacht hat, aber ich war immer noch nicht überzeugt. Besonders als sie dann mit blauen Flecken in die Schule kam. Wir haben uns aber gut angefreundet, weil wir den gleichen Humor hatten und dann habe ich bemerkt, dass ein 'Alexander' sie oft angerufen hat und sie jedes Mal Angst bekam. Ich habe also die einzige andere Freundin die sie hatte gefragt, wer er ist und sie hat gesagt, dass ihr Vater so hieß. Als ich sie darauf angesprochen habe, erzählte sie mir alles." Das war der Moment, in dem ich die Schritte hörte, die sich der Tür näherten, aber ich war so in die Geschichte vertieft, dass ich nicht daran dachte, dass ich aufhören sollte.
"Natalies Vater hat sie immer geschlagen und ihr Schnitte zugefügt, bei denen es aussah, als würde sie sich ritzen. Alexander hat ihr gesagt, dass die Brüder das vor ihr auch hatten ertragen müssen und sie deshalb gegangen sind. Obwohl sie wussten, dass er dann Natalie schlagen würde. Sie hat mir auch gesagt, warum sie nie übernachten wollte. Sie sagte sie hätte Alpträume. Jeden Tag. Anfangs träumte sie davon, wie ihr Vater sie schlug, aber dann auch wie ihre Brüder das taten. Der Apfel fällt ja nicht weit vom Stamm, also warum sollten sie das nicht tun? Und irgendwie, habe ich wohl auch Angst vor ihnen bekommen, wenn sie mir erzählte, was sie in ihren Träumen getan haben", beendete ich meine Lüge, in der mehr Wahrheit steckte, als in irgendetwas, dass ich in den letzten Jahre über Alexander erzählt hatte. Clara, meine einzige echte Freundin hatte mir nie geglaubt, als ich sagte, dass ich mich ritzte, irgendwann sagte ich es war alles aus Versehen, da ich zu viel Angst vor Alexander hatte, um ihr die Wahrheit zu erzählen. Sie hatte erfahren, dass Alexander mein Vater war und ich Angst vor ihm hatte. Nur nie warum und jetzt wusste Liz es. Einfach so. In dem Moment, verspürte ich die größte Angst, die ich jemals gespürt hatte, aber ich bereute es nicht.
Noch nicht.
"Aber das stimmt nicht mit der Erzählung von Kyle zusammen, bist du dir sicher, die Jungs wussten davon?", fragte sie, im gleichen Moment, wie die Tür aufgerissen wurde.
"Bitte sag, das ist nicht wahr", flehte Aiden und gab sich alle Mühe seine Trauer zu verstecken, war aber den Tränen nahe. Zumindest wusste ich jetzt die Antwort auf Liz' Frage. Oder? Vielleicht log er ja?
Er sah mich erwartungsvoll an, als würde ich ihm jetzt gleich sagen, dass ich gelogen hatte und Natalie glücklich gestorben war.
Ich wollte ihm die Hoffnung nicht nehmen, aber alles andere währe gelogen.
Kurz sah ich weg, um meine Tränen zu verstecken. 'Keine Schwäche zeigen', murmelte ich wie ein Mantra vor mich hin und wurde plötzlich wütend. Er wagte es, Natalies Trauma als Lüge zu bezeichnen? Das Trauma, dass zu ihrem Selbstmord geführt hatte? Nagut, vielleicht hatte Natalie sich nicht umgebracht, aber leben tat sie nicht mehr. Natalies Existenz war gelöscht worden. Stattdessen war jetzt ich da. Rose Black, Natalie Whites ehemalige beste Freundin und man schützte seine beste Freundin nunmal. Auch wenn es einfach man selbst aus der Vergangenheit war.
"Warum hätte sie sich sonst umgebracht?", fragte ich und sah auffordern in seine Augen. In ihnen spiegelte sich ein Gefühlschaos. Wut, Trauer, Scham, Reue, Hoffnungslosigkeit aber was mich am meisten schockte, war die Hilflosigkeit. Wie sollte er auch helfen? Natalie war Tod.
"Was weißt du noch, dass ich nicht weiß?", fragte er mit brüchiger Stimme, kaum lauter als ein Flüstern.
"Wie viel verkraftet du?", stellte sie die Gegenfrage, bei der sie wusste, dass er Lügen würde.
Er schluckte. "Alles", seine Stimme hatte es echt geschafft noch schwächer zu werden. Als er realisierte, dass seine schwache Stimme seiner Aussage wiedersprach, sammelte er sich kurz und wiederholte seine Antwort in einer festen Stimme. "Alles." Zumindest vermutete ich, dass sie eine feste Stimme seien sollte, denn seine Antwort war nur leise und nicht so stark wie meine als ich dann doch begann zu erzählen.
"Weißt du schon von Evelyn?" Es fühlte sich falsch an, meine Mutter bei ihrem Namen zu nennen. Aber 'Mom' konnte ich sie ja schlecht nennen.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Ich senkte wieder meinen Blick, weil ich seine Welt noch ein bisschen zerbrechen würde, wenn ich es jetzt sagen würde. Und das musste ich. Lügen und Schweigen war falsch. Er hatte das Recht sie Wahrheit zu wissen.
"Sie hat sich umgebracht. Erst eine Woche, bevor ich hierher gekommen bin", ich hob wieder meinen Kopf um seinen Blick zu begegnen. Er hatte Tränen in den Augen. Schnell sah ich weg. Da musste ich durch. Ich durfte keinen Rückzieher machen.
"Sie hat mir einen Brief hinterlassen. In dem hat sie geschrieben warum. Die Kurzfassung ist, dass sie ein Sklave im eigenen Haus wurde nachdem ihr gegangen seid. Die Köchin und Haushälterin wurden gefeuert. Natalie dachte es währe, um beim Schlagen nicht beobachtet zu werden. Evelyn dachte, es währe um ihr mehr Arbeit zu gehen. Sie musste es alles erledigen. Sie wurde vergewaltigt. Sie wurde geschlagen. Zwar nicht wirklich fest und nur wenn Natalie nicht da war, aber trotzdem. Sie musste auf dem Boden schlafen, obwohl genug Betten frei waren."
Ich sah wieder in die Augen meines Bruders. Tränen strömten nur so aus seinen Augen und er war kurz vor dem Zusammenbruch. Ohne nachzudenken, nahm ich ihn in den Arm. Das war wohl Natalie, die ihre Brüder vermisste.
Nach einigen Sekunden löste ich mich aus der Umarmung. "Tu es nicht", flüsterte ich und wusste nicht genau was er nicht tuen sollte. Es den anderen erzählen? Sich bei Alexander melden? Mich weiter fragen? Sich verletzten oder sogar töten? Irgendwie alles und mehr. Aiden schien zu verstehen.
Erst dann realisierte ich, was ich gerade getan hätte.
Erst da bereute ich es.Innerlich fluchende stürmte ich aus der Schule. Ich hörte wie Aiden mir hinterher lief, aber ich ignorierte ihn. Bis zu dem Moment, in dem er mich aufhob und in sein Auto setzte. Die Sitze erkannte ich sofort wieder. Ich hatte von ihnen geträumt.
"Bitte... Ich muss mehr wissen." Er flehte mich an und wartete auf ein Zeichen, dass er den Motor starten durfte. Langsam nickte ich und Aidens Gesichtsausdruck hellte sich im gleichen Moment auf, in dem er sich auch verdunkelte. Er hatte gewonnen, aber wollte er wirklich mehr wissen?
1338 Wörter
Sorry, dass ich nicht weiter komme, nächstes Kapitel wird auch noch in der gleichen Zeit spielen, aber danach geht's weiter.
Hoffe es gefällt euch.
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Rose Black ~ Der Vergangenheit entkommt man nicht
RomanceNachdem Natalie erfahren hatte, dass sie schon wieder ein Familien Mitglied verloren hat und sie alleine mit ihrem gewalttätigen Vater zurück gelassen wurde, konnte sie es endlich machen. Schon seit drei Jahren wünschte sie sich nichts mehr, als end...