3 - Zeit

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~K.

Gelangweilt blicke ich aus dem Fenster. Nun, es sieht zwar aus, als wäre ich gelangweilt. Innerlich bin ich wütend. Wütend und verzweifelt. Es ist schon ein Jahr her, seitdem ich um die Welt ziehe und Colleges besuche und bisher gibt es keine Spur meines Erasthai.

Mein Leben in den letzten Monaten bestand darin, eine Stadt auszusuchen und ein College zu finden. Dies besuchten wir ein bis zwei Monate. Die Zeit außerhalb der Vorlesungen verbrachten wir damit, die gesamte Umgebung durchzuforsten. Bisher ohne Erfolg.

Wütend balle ich meine Fäuste und versuche mich wieder zu beruhigen. Auch Evan hat seine Erasthai nicht gefunden. Aber ihn schien das nicht besonders zu stören. Nun, er hat ja auch keine Verpflichtungen und wird auch nicht gezwungen sich mit der nervigsten Person der Welt zu paaren.

"Kaiden, kommst du nachher mit zu mir?", fragt mich eine weibliche Stimme und versucht verführerisch dabei zu klingen. Die Betonung liegt auf versucht.

Ich mache mir nicht einmal die Mühe ihr zu antworten, sondern schnappe mir meine Sachen und mache mich auf dem Weg nach draußen. Adam kommt direkt angerannt und legt einen Arm um meine Schulter.

"Könntest du aufhören, heute so mürrisch zu sein? Das Mädchen war echt scharf, du hättest dich ruhig mal auf jemand einlassen können. Wie lange ist es schon her? Über einen Jahr?"

Ich knurre ihn wütend an und schüttle seine Hand von meiner Schulter.

"Ich bin auf der Suche nach meiner Erasthai. Warum soll ich währendessen mit anderen schlafen?", frage ich ihn.

Ich bereue schon die vielen Nächte, die ich mit anderen verbracht habe. Aber nach einer halben Ewigkeit habe ich etwas Abwechslung gebraucht. Ich weiß, dass es wie das übliche Gerede eines Idioten klingt. Ganz nach dem Motto «Ich bin ein Mann und habe meine Bedürfnisse». Zumindest habe ich in all den Jahren eine Regel nicht gebrochen. Das Weib mit zu mir zu nehmen. Mein Schlafzimmer ist schon seit ich denken kann für meine Gefährtin reserviert und das wird sich auch nicht ändern. Keine andere wird es zu meinen Lebzeiten betreten.

"Kopf hoch, wir haben noch knapp vier Jahre Zeit. Bis dahin finden wir sie bestimmt."

"Lass uns irgendwo anders hingehen. Wie wär es dieses Mal mit einer unbekannten Stadt? Lassen wir die bekannten Städte hinter uns. Es wird Zeit anders zu denken."

"Jetzt schon? Wir sind gerade erst seit drei Wochen hier?"

"Ja, ich meine es ernst."

...

~I.

Soll ich anrufen? Ich wähle seine Nummer und lösche sie wieder. Jeden Tag läuft es gleich ab. Am Abend liege ich grübelnd im Bett und starre auf die Decke. Ich fühle mich einsam und vermisse meinen Bruder. Seit einem Jahr bin ich damals davongelaufen und ich habe meinen Bruder seitdem nie angerufen. Ich habe Angst gehabt. Nicht nur um mich. Sondern auch um Evan. Wenn Damon das Gespräch vielleicht mithört und erfährt, dass Evan genau weiß, wo ich stecke, dann kann er ihn foltern oder schlimmeres.

Ich richte mich auf. Es ist immerhin schon ein Jahr. Bestimmt hat Alpha Damon sein Interesse an mir verloren. Seien wir mal ehrlich, er hat das Interesse bestimmt schon nach zwei Monaten verloren. So besonders bin ich nicht. Mit neuem Mut wähle ich nun erneut die Nummer und lege mein Handy an mein Ohr.

Ein Klingen und schon höre ich seine Stimme am anderen Ende der Leitung.

"Hallo?"

"Evan..."

"Irina?", seine Stimme klingt aufgeregt und besorgt.

"Verdammt noch mal! Wieso rufst du erst jetzt an? Weißt du was für Sorgen ich mir um dich gemacht habe?"

"Es tut mir leid. Ich habe Angst gehabt. Wie geht es dir? Wie läuft es?"

"Da ich endlich weiß, dass es dir gut geht...Du willst nicht wissen, wie oft ich zu dir kommen wollte. Wie geht es dir?"

"Mir geht es gut. Ich vermisse dich bloß."

"Wir werden uns bald sehen. Das verspreche ich dir."

Eine Frage brennt auf meiner Zunge.

"Wie geht es eurer Luna?"

Kurze Stille.

"Sie...ist..." Er bricht ab.

"Ouh. Es tut mir leid. Sie ist ein guter Mensch gewesen."

Das schlechte Gewissen plagt mich. Ich hätte etwas tun sollen. Ihr Tod ist meine Schuld gewesen.

"Du hast keine Schuld."

Erschrocken halte ich meinen Atem an. Woher...?

"Ich weiß, dass du vor Damon flüchtest. Nachdem du weg warst, schien er außer sich zu sein. Er hat alles verwüstet, als er deine Abwesenheit bemerkt hat. Ich habe lediglich eins und eins zusammen gezählt. Deshalb bin ich auch nicht zu dir gekommen. Ich wollte nicht riskieren, dass er dich findet. Ich wünschte, dass ich dich irgendwie vor ihm retten könnte. Aber er ist mein Alpha und dadurch viel stärker als ich. Deshalb versuche ich dich irgendwie anders zu schützen. Sobald ich merke, dass er dich irgendwie im Visier hat oder deinen Standort erfährt, dann werde ich dich direkt anrufen. Dann hast du Zeit für deine Flucht."

"Danke, Evan."

...

Heute stehe ich mit einem komischen Bauchgefühl auf. Vielleicht wäre es besser, Zuhause zu bleiben? Aber ich trage den Ring meines Vaters um meinen Hals, da er viel zu groß ist. Übernatürliche Wesen würden mich nicht wahrnehmen. Also bin ich geschützt. Irgendwie.

Nichtsdestotrotz mache ich mich für das College fertig und laufe anschließend zu Bus. Heute ist es regnerisch, weshalb ich zwanzig Minuten später immer noch klitschnass im Klassenzimmer ankomme. Ich höre wie die Mädchen tuscheln, ignoriere es aber. Manchmal fühle ich mich, als wäre ich in einen Highschool Film. Ich bin der kleine Nerd, den niemand beachtet.

Ich setze mich ganz hinten in meiner Ecke und zittere am Leib. Durch die nassen Haare ist mir kalt und am liebsten hätte ich mich umgezogen. Jedoch habe ich keine Wechselkleidung dabei. Bestimmt werde ich krank, aber ich kann nichts anderes dagegen machen. Also was soll's?

Mein Handy vibriert und ich nehme es heraus. Eine SMS von Evan. Schnell öffne ich die Nachricht und mir bleibt der Atem stehen.

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Was steht wohl in der Nachricht?

Lykaner (Kaiden & Irina)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt