58. Kapitel

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Sie setzt an, schreibt in langsamerer Schrift als sonst die ersten Wörter an ihre Eltern. Es fällt ihr schwer, ihre Namen niederzuschreiben, dabei nicht in Tränen auszubrechen. Ist das Sehnsucht in ihr? Das Verlangen, bei ihnen sein? Als sie von ihnen weg gegangen ist, in der Erwartung, in England zu studieren, hat sie niemals gedacht, einmal richtig traurig über diese Entscheidung zu sein. Sie hat sich für erwachsen gehalten, als mündiger, starker Mensch, der für sich selbst einstehen kann. Lucius hat ihr das Gegenteil davon bewiesen: Sie kann es nicht.

Was würde sie nur alles dafür tun, wieder wohlbehütet bei ihnen zu sein?

Sie hält inne, als sie die letzten Zeilen des Briefes schreibt, der ihr von Malfoy ins Ohr geflüstert wird. Lou kopiert es nicht eins zu eins, formuliert es etwas anders, damit sie es ihr glauben. In diesem Fall arbeitet sie mit ihm zusammen. Versteckte Botschaften etc. würden ihre Eltern sowieso nicht verstehen. Sie bräuchten erst ein Grund dazu, um skeptisch zu werden. Außerdem möchte sie ihnen keine zusätzlichen Sorgen bereitet, ihnen keine Last sein, ihre Last nicht auf sie übertragen. Vor allem nicht, wenn sie die Aussicht hat, bald von ihm weg zu sein.

Sie lügt ihre Eltern an, weil sie nicht ehrlich sein kann. Einerseits weil Lucius das nicht zulässt, anderseits, weil sie es nicht übers Herz bringt, die Wahrheit zu sagen.

Es ist zum Verzweifeln.

Dieser Brief ist hässlich. Er ist nicht wegen ihrer Schrift oder wegen des Pergaments unschön, sondern wegen des Inhalts. Lucius Malfoy soll darin ihr Freund sein. Nicht nur ein Freund, er soll ihr fester Freund sein. Sie muss ihn in den Himmel loben. Ein weiteres Zeichen dafür, wie arrogant und selbstverliebt er ist.

Weil es sowieso nichts bringt, sich ihm zu widersetzen und einen Streit mit ihm zu beginnen, nimmt sie es hin und schreibt es kommentarlos auf. Immer mal wieder versucht sie, sich mit dem Gedanken an das Geschenk, die Katze, abzureagieren. Sie schreibt sogar ein paar Zeilen zu dem Tier, die Malfoy so zwar nicht befohlen hat aufzuschreiben, jedoch scheint er nichts dagegen zu haben – es macht den Brief glaubwürdiger.

Sie setzt unter die letzten Zeilen ihre Unterschrift, ehe sie den Füller auf die Seite legt.

Malfoy nickt zufrieden. „Sehr gut.", sagt er. „Das werden sie glauben. Jetzt kommen deine Freunde. Bei ihnen müssen wir aber nicht alles erwähnen. Fang an.", sagt er und schiebt ihr ein weiteres Pergament zu.

Nachdem auch dieses und noch ein weiteres vollgeschrieben ist und Lou schon ihre Hand weh tut, dreht sie endlich den edlen Füller zu.

Lucius schlingt seine Arme um sie, hebt sie mit aller Kraft ein wenig hoch und dreht sie auf seinem Schoß um, sodass sie ihn nun genau ansehen kann. Er lächelt stolz.

„Das hast du gut gemacht, Liebes.", haucht er, als sich seine Lippen ihren nähern.

Lou spürt die Nässe seiner Lippen, bewegt gezwungenermaßen ihre eigenen im gleichen Takt wie er. Sie möchte sich lösen, loslassen von ihm und endlich zu der Katze gehen, raus gehen, Freiheit spüren. Nicht hier drin sein, nicht auf seinem Schoß, wo es kein Entkommen für sie gibt.

Sie lächelt erleichtert, als Lucius sich mit dem Gesicht wieder von ihr entfernt, sie nicht weiter in einen Kuss entwickelt. Er nimmt das Lächeln wohl als Dank, denn er nickt ihr erfreut zu. Warum auch immer er auf die Idee kommt, sie würde sich auf einen Kuss mit ihm freuen.

„Na komm, steh auf. Suche schon mal das Katzenvieh und geh danach raus. Ich muss noch etwas erledigen, werde später kommen."

Als er die Katze so erwähnt, zuckt Lous Augenlid und sie muss sich schwer zusammenreißen, nicht etwas dazu zu sagen.

Lou nickt, erhebt sich von seinen Schenkeln und geht dann zur Tür, die aus seinem Arbeitszimmer führt. „Danke, Lucius."

Er nickt ihr zu, während er die Briefe zusammenfaltet, sich um deren Versand kümmert. „Du hast bis heute Abend Zeit, ich möchte mit dir speisen und einen gemeinsamen Abend genießen.", sagt er noch, als er sich einen der ungeöffneten Briefe nimmt und zu arbeiten beginnt.

Lou weiß nicht so recht, was er mit einem gemeinsamen Abend meint, lächelt aber über die Aussicht, nach Tagen ein paar Stunden lang wieder frei und glücklich zu sein, sich nicht wie eine Gefangene zu fühlen.

Bevor er noch etwas sagen kann, verschwindet sie aus seiner Sichtweite, erkundet das Manor. Schließlich muss sie die Katze finden.

Während der Suche überlegt sie sich einen Namen. Hope könnte passen. Ein eigentlich recht langweiliger Name, aber ein für sie nützlicher. Immer wenn sie die Katze in der Zukunft sieht, wird sie sich daran erinnern, nicht aufzugeben, Hoffnung zu haben.

Ein weiterer Weg, wie die Katze ihrem Geist helfen könnte.

Als Lou sie endlich in einer Ecke, hinter einem Vorhang in einem Gästezimmer entdeckt, nimmt sie sie vorsichtig hoch. Zu ihrer Überraschung rennt Hope nicht wieder weg, hat ihr das grauenvolle Erwecken wohl verziehen. Zufrieden, mit der Katze auf ihrem Arm, geht sie zur Haustür, öffnet sie und schlüpft hindurch.

Die braunhaarige Frau schaut sich in dem imposanten, wunderschönen und gepflegten Garten um. Sie biegt auf einen Weg, setzt sich nach einiger Zeit des stillen Bewunderns auf eine Bank und genießt die Sonnenstrahlen, die auf sie hinab scheinen. Das ist wohl das einzig schöne hier.

Hope sitzt auf ihrem Schoß, spielt mit dem Kleid. Es kümmert Lou nicht. Sie schließt die Augen, atmet tief die Luft ein. Sie spürt kaum, wie die Aufmerksamkeit der Katze auf etwas anderes gelenkt wird. Erst als sie ein Miau von sich gibt, öffnet Lou, aus ihrem Tagtraum gerissen, die Augen.

Was sie sieht, lässt sie schmunzeln, sich aber auch zeitgleich aufregen. Die Katze jagt einem Hauselfen hinterher, der sich für kurze Zeit unabsichtlich sichtbar gezeigt hat. War ja klar, dass Malfoy seine Drohung wahr macht und sie dauerhaft beobachten lässt. Vielleicht hilft Hope ihr durch ihre Jagdinstinkte und Verspieltheit zumindest für wenige Augenblicke vollkommen allein zu sein.

Sie legt den Kopf in den Nacken, nimmt eine entspannte Sitzposition ein und schaut nach oben in den Himmel. Ihr Blick schweift kurz zu seinem Büro. Dort sieht sie Lucius stehen, der sie genau im Blick hat und irgendein Gefäß in der Hand hält.

Sie tut so, als würde sie ihn nicht sehen, schließt die Augen und beruhigt sich, genießt die Gerüche und Geräusche der Natur.

So vergehen Stunden, in denen sie still und in sich gekehrt da sitzt, sich erholt.

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt