74. Kapitel

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„Nein?", fragt sie und senkt resigniert den Kopf. Schon kurze Zeit nachdem sie das getan hat, fragt sie sich, weshalb sie eigentlich so enttäuscht darüber ist. Sie will doch weg von ihm! Sie möchte wieder in Freiheit leben, keine Angst mehr vor ihm haben! Weshalb macht sie sich also Gedanken darüber, wie sie sich entwickeln und verändern können, wenn sie doch bald nichts mehr damit zu tun hat!

Sie runzelt die Stirn. Was geht da in ihr vor? Fängt ihr Unterbewusstsein etwa an, all das zu akzeptieren? Das würde auch das schlechte Gewissen erklären...

Aber es ergibt für sie einfach keinen Sinn! Ihr Bewusstsein sagt doch etwas vollkommen Anderes! Sie sollte dem auf die Spur gehen. Die Frage ist nur, ob sie das auch wirklich will. Momentan will sie sich nicht durch Suchen und Finden einer Erkenntnis ablenken lassen. Außerdem möchte sie die Antwort nicht wissen.

„Wir verändern uns, ja. Aber nicht vollkommen. Es wird immer Hürden geben, wenn ich dir deinen Willen lasse. Wenn ich ihn dir nehme, werden es kaum Hürden sein. Aber du wärst nicht mehr du. Wir können uns auch ins Schlechte verändern. Das beste Beispiel dafür bist du."

Lou hebt eine Braue. Das erlaubt der sich jetzt nicht wirklich, oder? Sie schnaubt, als er an seinem Feuerwiskey nippt. „Was soll das jetzt heißen?", fragt sie verärgert und lehnt sich zu ihm vor.

Lucius seufzt und stellt sein Glas auf einem Tisch ab. Anschließend klopft er auf seine Oberschenkel und bedeutet ihr so, auf sich Platz zu nehmen. Lou erhebt sich langsam, nachdem sie an den Morgen gedacht hat. Sie kann ihn nicht noch ein weiteres Mal so sehr enttäuschen und verletzen, indem sie ihn von sich stößt! Mit einem mulmigen Gefühl steht sie schließlich vor ihm und lässt sich auf ihn sinken, mit dem Rücken zu seinem Bauch. Sofort schlingen sich seine Arme um sie und er hält sie ruhig. Lou spannt sich nicht an, versucht gegen ihre körperlichen Reaktionen anzukämpfen und sie zu kontrollieren. Dass sie ohne Beschwerde und Gegenwehr auf seinem Schoß sitzt, ist eine Art Symbol von Frieden zwischen ihm und ihr. Wie ein unausgesprochenes Vertragen. Seine letzte Aussage erschüttert Lou nicht so sehr, wie es sollte. Sie merkt an seiner Betonung, dass er es nicht auf einer negativen Weise gemeint hat. Das sieht sie erst nach ein paar Sekunden des Nachdenkens ein.

„Nun, deine... Selbstmordversuche beispielsweise. Dir geht es nicht gut, du hast Angst.Von dem offenen, kämpferischen, selbstbewussten und neugierigen Mädchen hast du dich innerhalb weniger Tage in eine traurige, schwermütige, ruhige Frau verwandelt, die Angst hat und diese auch zeigt. Ich denke, das hättest du davor in diesem Maße und... ohne mich... nicht. Ich merke, dass es dir nicht gut geht. Und ich hasse es. Wo soll das noch hinführen? Verstehe mich nicht falsch: Ich wollte dich zu dem Meinigen machen, ich wollte dich brechen. Aber nicht auf diese Weise. Du solltest Angst vor anderen haben, vor der Welt haben und bei mir Schutz suchen. Es sollte nicht anders herum sein, wie es jetzt ist."

Lou atmet tief durch. Er wollte sie brechen. Nun, er hat es auch geschafft. Seine Berührungen fühlen sich unangenehm an. Immerhin bereut er es. Das ist aber auch das einzig Positive. Er würde es immer wieder machen, wenn er sicher wäre, dass es klappt.

„Aber so betrachtet habe ich mich doch vollkommen verändert. Ich bin nicht mehr Lou.", gesteht sie sich ein. Ein schwerer Schritt, das zuzugeben. Aber es stimmt. Es stimmt, verdammt! Sie sieht kaum noch Ähnlichkeiten zu ihrem früheren Ich und jetzt.

„Niemand kann eine Seele komplett verändert. Es bleibt noch ein Fünkchen von deinem alten Sein. Es kann zurückkehren. Vielleicht wird es das sogar."

„Du wirkt nicht sonderlich überzeugt.", stellt Lou fest, als sie ihn betrachtet.

„Es wird nicht funktionieren, denke ich. Wenn du meins bist, musst du ein anderer Mensch sein. Ich dachte, dass deine Art gleich bleiben würde. Mittlerweile zweifle ich daran. Ich weiß es nicht. Und das hasse ich.", sagt er nachdenklich. Lou möchte etwas sagen, aber er unterbricht sie ebenso leise. Es hört sich an wie ein Eingeständnis. „Ich habe mich auch verändert. Ich selbst halte das für schlecht, die meisten vermutlich für gut. Ich bin nicht mehr so unnahbar, so kaltherzig. Ich gebe nach. Ich werde bei dir schwach und gestehe mir diese Schwäche auch noch ein. Ich bin nicht mehr so arrogant. Es scheint, als würden wir uns auf eine seltsame Art und Weise miteinander verbinden. Ich nehme das Gute von dir in mir auf und gebe dir das Schlechte von mir, um dem Guten Platz zu machen und die entstandene Leere in dir zu füllen. Ich weiß, dass es falsch ist. Aber ich möchte nicht, dass diese Verbindung zerbricht, auch wenn diese viele Nachteile mit sich bringt, insbesondere für dich. Es ist... kompliziert. Ich will nicht mehr so kalt, böse und grauenvoll sein. Dank dieser Verbindung könnte ich dir zumindest körperlich nichts mehr antun. Ich habe Gewissen. Ich bereue das mit der Kennzeichnung auf deinem Rücken. Es tut mir leid. Ich fange an mich dafür zu schämen, obwohl ich es vor kurzem noch als richtig erachtet habe. Ich spüre mein Gewissen, verdammt. Das war zuvor noch nie so. Außerdem denke ich viel mehr über meine Mitmenschen nach. Durch dich werde ich menschlich. Währenddessen nehme ich aber durch meinen Egoismus deine Menschlichkeit. Ich gestehe mir sogar Fehler ein. Ein Malfoy hätte das nie getan. Ich bin nicht mehr der alte Lucius. Wenn diese Verbindung aufgelöst werden würde, dann würde ich vielleicht wieder so werden. Offengestanden weiß ich nicht, ob ich das will.

Ich liebe dich, klar. Ich würde alles für dich tun. Aber ich kann dich nicht gehen lassen, ich kann die Verbindung nicht auflösen. Ich will glücklich sein, Lou. Und ich möchte, dass du es auch bist. Aber wie es scheint, kann nur einer von uns glücklich sein. Entweder du oder ich. Zusammen und alleine können wir beide nicht glücklich werden.

Was hätte mein Leben noch für einen Sinn, ohne dich? Natürlich will ich dich bei mir haben, für immer. Aber ich begreife langsam, dass das nicht möglich ist. Es ist nicht gut für dich, zumindest nicht momentan. Wenn es sich nicht ändert, dann sehe ich keinen Sinn mehr in all dem. " Er bricht ab, holt einmal tief Luft, bevor er wieder zum Sprechen ansetzt: „Verzeih mir.", sagt er noch gequält und verzieht das Gesicht.

Danach packt er sie bei den Hüften und hebt sie von sich, bevor sie die Chance hat, etwas zu sagen. Sie schaut ihm nach, denn er geht schnellen Schrittes aus dem Raum. So als würde er rennen, als würde er vor ihr und der Situation wegrennen. Als würde er sich der Situation nicht stellen wollen.

Lou schüttelt erstaunt und noch vollkommen geschockt den Kopf. Seine ehrlichen Worte berühren sie, auch wenn es keine schönen sind.

Sie lässt sich zurücksinken, diesmal ohne Lucius hinter sich.

Er hat recht. Er verändert sich und sie verändert sich. Ihre Leben und Persönlichkeiten ändern sich innerhalb weniger Tage. Es hängt von der jeweils anderen Person ab.

Sie vergräbt den Kopf in den Händen, vollkommen verzweifelt. Sie hätte die Möglichkeit, Malfoy zum Guten zu verändern! Es würde lange dauern, aber sie ist sich sicher, dass es funktionieren könnte! Aber der Preis dafür könnte teuer sein. Es kommt darauf an, ob sie an den guten Entwicklungen von ihm festhält und daraus Kraft schöpft oder nicht. Vielleicht verpasst sie die Chance zu sehen, wie ein Mensch wie Malfoy zu sich selbst findet. Irgendwie wünscht sie sich ja schon, dass es ihm gut geht. Außerdem hat er viel Einfluss. Wenn er sich verändert, könnten sich auch andere verändern.

Lucius hatte es schwer. Darf sie ihm wirklich die Schuld dafür geben, was er ihr angetan hat? Er wusste es doch nicht besser, war festgefahren in seiner Meinung! Er war dumm!

Dumm und blind.

Aber kann das wirklich eine Entschuldigung sein? Ist er nicht trotzdem für sich verantwortlich?

Wer ist er?

Anscheinend stellt er das erst jetzt durch sie fest. Eigentlich sollte das doch etwas Gutes sein! Warum bilden sich dann Tränen der Verzweiflung in ihren Augen?

Besitz, Liebe, Schmerz, Zweifel - Lucius MalfoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt