54. Der Abend, der alles veränderte 모든 것을 바꾼 저녁

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~ Montag 24.04.2017 ~

Es waren drei ganze Wochen vergangen. Nach dem Gespräch zwischen mir und meiner Mum, lebten wir wieder etwas friedlicher. Nicht das wir uns vorher oft gestritten hätten, nein. Wir verbrachten wieder etwas mehr Zeit miteinander, lachten und sprachen auch wieder etwas vertrauter. Das alles, nur weil jemand anderes mir die Augen geöffnet hat. Ich bin ihm dankbar, aber nicht nur hier für. Seitdem er vor knapp zwei Monaten in mein Leben getreten ist, hat sich einiges verändert.
Ich genieße mein Leben wieder etwas mehr. Vorher habe ich es lediglich wie in Trance gelebt. Jetzt verspürte ich richtige Freude. Mir schmeckte das Essen besser, ich genoss Gesellschaft und sah wieder die kleinen Dinge, die mein Leben positiv zierten. Und das alles, weil diese schwarze Krähe keinen Verlierer in mir sah und damit meine ich, jemanden der wirklich etwas verloren hat.
Meine Mum und ich haben eine schlimme Zeit hinter uns. Als mein Vater verstarb, verloren wir alle unsere Freunde, unsere Verwandtschaft hat uns sogar die Schuld gegeben oder eher mir. Warum verstand ich bis heute nicht? Meiner Mum blieb nur eine einzige Freundin, ich scherte mich jedoch nicht mehr um soziale Kontakte. Schon früher, bereits in der Grundschule, wurde ich gemobbt und wöchentlich verprügelt, einfach weil ich zu schwach war um mich zu wehren. Dies legte sich in der weiterführenden Schule, dort wurde ich nur noch verbal geärgert, bis ich irgendwann einfach nur noch unsichtbar für alle wurde. Also war ich Jahre lang nur noch mit mir selbst beschäftigt. Ich habe versucht alles zu verarbeiten. Die Betonung lag auf ,,versucht". Schlussendlich holte es mich sowieso immer wieder ein. An diesem einen letzten Tag, war ich mit meinem Dad unterwegs.
Wir waren in einer Kinovorstellung und da es Winter war, war es dunkel, als wir den Film wieder verließen. Er hatte mich an der Hand, ich war vielleicht Acht Jahre alt gewesen. Ich erinnere mich noch daran, wie unser warmer Atem in der kalten Luft erkennbare Gestalt annahm. Wir liefen die Straßen entlang, dann bogen wir in eine Gasse. Es war keine zwielichtige Gasse, es war lediglich eine Abkürzung zu uns nach Hause. Schwarze große Vögel flogen über uns hinweg. Mein Vater drückte meine Hand plötzlich ganz fest. Ich erinner mich an die Berührung bis heute ganz genau, als könnte ich sie noch einmal spüren, wenn ich mich nur stark genug zurück erinnerte.
Ich bin der Meinung, das mein Vater in den Himmel schaute und dann meine Hand los ließ. Er drehte sich zu mir und beugte sich herunter.
,,Hör mir zu, mein Engel. Versteck dich da hinter der großen Mülltonne. Und komm nicht heraus."
Ich verstand absolut gar nichts mehr, doch bevor ich das äußern konnte, drängte er mich zum Versteck.
,,Du musst hier bleiben, okay?"
Ich nickte verunsichert, dann sah ich, wie sich Tränen in seinen Augen bildeten und ihm die Wangen, bis zum Kinn herunter liefen.
,,Versprichst du mir hier zu bleiben?"
Ich nickte fester und streckte meine Hände nach ihm aus.
,,Ich liebe dich, meine Süße."
Er drückte mich, drehte sich um und verwandelte sich in einen Raben. Doch er kam nicht weit. Ich hörte weitere Vögel. Sie kreischten. Es hörte sich nach einem Kampf an und ich konnte nicht anders, als um die Ecke zu schauen. In dem Moment, sah ich wie mein Vater gegen eine Hausfassade geschleudert wurde. Er hatte Schmerzen. Ich wollte ihm zur Hilfe eilen, doch dann krachte etwas gegen meine Mülltonne, die daraufhin laut schepperte und mich zurück an die Wand drückte. Dann hörte ich ein letztes Kreischen, bis komplette Stille eintrat.
Die Meute schien sich aufgelöst zu haben...
,,Papa?"
Mir schossen die Tränen in die Augen und ich drückte mich mit aller Kraft gegen die Mülltonne, damit ich hinter ihr hervor kommen konnte.
Ich stolperte in Richtung des vergangenen Geschehens und sah eine menschliche Gestalt auf dem Boden liegen.
,,PAPA!"
Weinte ich los. Seine Kleidung war zerfetzt und rot getränkt. Ich fasste an seine Schulter und versuchte ihn von der Seite auf den Rücken zu drehen. Dabei fiel er auf mich und die eine Seite seines Mantels legte sich über mich rüber. Voller entsetzten blickte ich in das leblose, mit Blut überzogene Gesicht und drückte ihn panisch weg. Ich befreite mich und hatte das Gefühl zu ersticken, obwohl ich gerade deutlich mehr Luft zu mir nahm, als normal. Mein Herz pochte, mein Schädel drohte zu platzen, da vernahm ich hinter mir einen weiblichen Schrei. Ich drehte mich um und sah am Anfang der Gasse eine Frau, die sofort ihr Telefon zückte. Dann wurde alles ganz still und ich senkte meinen Blick auf meine Hände. Ich konnte seinen Anblick nicht ertragen. Da fiel mir etwas in meinen Blickwinkel. Ich griff dorthin und hatte ein Foto in der Hand. Es war eins von mir und meinem Vater.
Es musste ihm aus seinem Mantel gefallen sein.
Das Bild war zerkratzt und zerknickt. Ich steckte es ein, da wurde ich gepackt und von ihm weggerissen.
Kurz schrie ich auf, aber hatte keine Kraft, mich aus dem Griff zu wehren.
,,Alles gut. Schhhh. Hilfe ist auf dem Weg."
Es war die Frau von eben, die offensichtlich fast genauso mit dieser Situation überfordert war, wie ich.
,,Wie heißt du, kleines Mädchen?"
Aber ich antwortete ihr nicht.
Sie nahm mich auf den Arm und legte ihre eine Hand behutsam auf meinen Hinterkopf. Ich starrte auf den leblosen Körper, der immer verschwommener aussah. Dann drehte sich die Frau um.
,,Schau da nicht hin, Liebes. Es wird alles wieder gut."
Ich blinzelte mehrmals, um wieder richtig sehen zu können. Auf der anderen Straßenseite erkannte ich eine dunkle Gestalt, die sich von uns entfernte. Ihr Anblick fesselte mich, dann fuhr ein Krankenwagen vor, hinter der die Gestalt verschwand. Es folgten Polizeiwägen und kurz darauf schlief ich auf dem Arm der fremden Frau ein.
Diese Gestalt, ich sah sie immer wieder und meine Mutter schickte mich kurzerhand zu einem Kinder Therapeuten. Nach einigen Monaten in Behandlung verschwand die mysteriöse, dunkle Gestalt und es wurde nie wieder ein Wort über sie verloren. Genauso wie über meinen Vater. Mit der Zeit verblasste mein Bild von ihm. Ich erinnerte mich kaum an sein Aussehen. Es ist schon komisch, was das Gehirn macht, wenn es Schmerz verarbeitet. An das meiste erinner ich mich nur Lückenhaft. Zum anderen füllt mein Gehirn auch die Erinnerungen und vermischt sie miteinander, sodass ich eigentlich gar nicht mehr weiß, ob meine Erinnerungen an ihn wirklich damals so geschehen sind. Nur dieser eine Tag, nur dieser hatte sich eingebrannt. Eher vergesse ich meinen Namen, als diesen Abend, der mein Leben verändert hat.

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