Samstag, 1. Dezember, 16:45 Uhr

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„... offizielle Unwetterwarnung herausgegeben. Man rechnet mit massivem Schneefall, der die ganze Nacht andauern kann, in Kombination mit stürmischem Wind der Stärke 9 bis 10, vereinzelt werden auch orkanartige Böen zu verzeichnen sein. Schon jetzt gilt der dringende Aufruf, sich während des Unwetters nicht außer Haus zu begeben. Im öffentlichen Nahverkehr wird es zu erheblichen Ausfällen, höchstwahrscheinlich aber zu einem kompletten Stillstand kommen. Nun aber das Wort an unseren meteorologischen Experten. Mr. Kensbury, wie kann es sein, dass die Wetteraussichten von einem Moment auf den anderen derartig umschlagen? Wie erklären Sie sich- ..."

Missmutig brummend drehte ich den Zündschlüssel meines klapprigen Autos herum, sodass sowohl Motor als auch das Radio gleichzeitig erstarben.

Unwetterwarnung? Schneemassen und Orkanböen?

Was für ein Bockmist.

Die Tage, an denen die Meteorologen mit solchen Ankündigungen über die letzten drei Jahre meines Studiums hier in der Stadt Recht behalten hatten, konnte man an einer Hand abzählen.

Bisher war nie mehr eingetreten als ein bisschen heftigerer Schneefall und ein frisches Lüftchen. Es bestand also kein Grund zur Beunruhigung.

Mein nächster Blick galt meiner Gitarre und dem dazugehörigen Verstärker, die ich zusammen mit einer großen Tasche, gefüllt mit Mikrofonen und Kabeln, auf Beifahrer- sowie Rücksitz meines winzigen Autos verfrachtet hatte.

Das war der Fluch des Daseins als Musikpädagogikstudent – man war mehr oder weniger grundsätzlich mit irrsinnig viel Gepäck unterwegs, weil fast jeden Tag an einem anderen Praxisprojekt geschraubt wurde.

Im heutigen Falle handelte es sich um ein Bandprojekt mit fünf meiner Kommilitonen, das wir am Montag als Leistungsnachweis vor dem ganzen Semester als Live-Performance mit allem Drum und Dran darstellen mussten. Mehrere selbstgeschriebene Songs inklusive einer Reflexion, warum wir wann was wo so gemacht hatten, wie wir es eben gemacht hatten.

Mein Begeisterungsempfinden war durchwachsen.

Mit dem musikalischen Teil kam ich vollkommen klar, immerhin war Songwriting eine riesige Leidenschaft von mir, aber sobald es darum ging, die Praxis gezwungenermaßen ins Theoretische zu zerren und zu reflektieren ... da setzten bei mir Motivation und Gehirn komplett aus.

Ich hoffte einfach, dass mein Kumpel und Bandkollege Louis das Reden übernahm und ich am Montag keinen Ton von mir geben musste. Mal abgesehen vom Gesang.

Montag. Das war in zwei Tagen. Übermorgen.

Verdammt.

Der Gedanke daran, dass das hier unsere allerletzte Probe vor der Performance war, brachte mein Blut vor Nervosität zum Kochen – vor allem angesichts der Tatsache, dass zwei unserer fünf Songs noch so gar nicht so klingen wollten, wie wir uns das vorstellten. Wir bräuchten eigentlich also noch mindestens eine weitere Probe, um noch ordentlich daran arbeiten zu können.

Leider durfte man sich an Wochenenden im Gegensatz zu Werktagen lediglich bis 20 statt 22 Uhr in den Räumlichkeiten der Uni aufhalten. Illegal in aller Heimlichkeit ließ sich da auch nicht viel ausrichten, denn um Punkt fünf Minuten vor Schluss stand der Typ vom Sicherheitsdienst auf der Matte und jagte alle noch anwesenden Personen mehr oder weniger brüllend aus dem Gebäude.

Und da der Bandraum hart umkämpft war und man tagsüber nur schwer Probentermine abstauben konnte, war es für mich eigentlich schon normal, mich mit dem Sicherheitsdienst-Kerl anzulegen.

Er kannte jeden Einzelnen unseres Semesters mittlerweile wahrscheinlich schon vom Namen. Eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, dass er uns sieben Semester lang mehrmals die Woche aus dem Bandraum hatte scheuchen müssen.

EXIT (Niam, Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt