Sonntag, 2. Dezember 02:37 Uhr

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„Sollen wir uns vielleicht aufteilen?"

Der Vorschlag hatte meinen Mund verlassen, bevor ich seine Sinnhaftigkeit überdenken konnte, doch die mangelnde Begeisterung in den Gesichtern meiner beiden Begleiter war auch so Indiz genug dafür, dass es sich wohl um keine besonders schlaue Idee handelte.

Liam, der ein Stück vorangegangen war, um über das Geländer hinweg in das leere, dunkle Mensaareal hinabsehen zu können, die sich ein Stockwerk tiefer unter erstreckte, gesellte sich wieder zu Ryan und mir.

„Ich möchte ja nicht unnötig dramatisch sein, aber..." Er runzelte die Stirn. „Ich glaube nicht, dass es klug wäre, schon wieder in unterschiedliche Richtungen davonzulaufen. Bis jetzt hat uns das nur geschadet."

Ich zuckte die Schultern. „Stimmt auch wieder."

"Sorry, Babe." Liam war inzwischen so nahe gekommen, dass er einen Arm um meine Taille schlingen und mich auf die Wange küssen konnte. Eine Geste, die durchaus liebevoll war und mein Herz flattrig machte - einerseits.

Andererseits entging mir jedoch die grimmige Bestimmtheit nicht, die ganz darin mitschwang: Die an Ryan gerichtete, unmissverständliche Botschaft, dass er zum zweiten Mal mit einer Faust in seinem Gesicht zu rechnen hatte, wenn er mich auch nur zu intensiv ansah.

Ich zweifelte aber daran, dass Ryan diese Botschaft in diesem Moment zur Kenntnis nahm, denn er war viel zu sehr damit beschäftigt, nervös einen besonders dunklen Winkel in der Ecke zwischen den Süßigkeitenautomaten zu beäugen.

Ich kam nicht umhin, wenigstens ein bisschen amüsiert zu sein.

Wir alle fürchteten uns, keine Frage, aber Ryan schien die Furcht vor der Dunkelheit geradezu mit dem Löffel gegessen zu haben. Und ausgerechnet er war derjenige, der mit seinen provokanten Sticheleien ständig eine dicke Lippe riskierte. Das passte ja zusammen.

Einer Eingebung folgend ergriff ich Liams Hand, um diese beruhigend zu drücken, bevor ich anklagend zu ihm aufsah. „Li, wenn du so weitermachst, zerquetschst du mich noch."

Ich verwies auf seinen Arm um mich, der seinen Griff prompt noch weiter verstärkte, als sich genau in dieser Sekunde Ryan wieder zu uns umdrehte und uns fragend ansah, jedoch schnell den Blick abwandte, als er Liams Angriffshaltung registrierte.

„Oh." Zerknirscht ließ mein Freund von mir ab. „Tut mir leid. Ich ... äh ... kann irgendwie nicht anders, wenn er in der Nähe ist."

Er nickte zu Ryan hinüber, der nun sichtlich ungeduldig mit der Taschenlampe in Richtung Cafeteria leuchtete, die wir uns als Nächstes vornehmen wollten. Ihm konnte es gar nicht schnell genug gehen, unseren Plan zu Ende zu bringen und uns wieder irgendwo verkrümeln zu können.

Unser Plan war es, von der Bibliothek ausgehend systematisch das gesamte Gebäude zu durchkemmen – was zwar ewig dauern würde, aber die einzige sinnvolle Option zu sein schien. Zunächst hatten wir die Mensa ausgekundschaftet, die zweite Anlaufstelle war nun die Cafeteria, bevor wir uns über den breiten Gang hinweg, in dem sich Haupteingang, Postannahmestelle und Informationscenter befanden, ins Treppenhaus und den Gebäudeblock mit den drei Stockwerken begeben würden.

Wir hatten also noch so einiges vor uns.

Glücklicherweise (oder unglücklicherweise, das lag ganz im Auge des Betrachters) waren wir auf unserem bisherigen Weg noch niemandem begegnet. Niemandem, der uns ans Fell wollte, aber demnach natürlich auch niemandem im Sinne von Harry oder Louis.

Oder Romy.

Oder Colin.

Verdammt, es waren viel zu viele Leute, nach denen wir Ausschau halten mussten.

EXIT (Niam, Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt