Samstag, 1. Dezember, 20:00 Uhr

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Für einige Sekunden war es mucksmäuschenstill.

Dementsprechend blieb mir Zeit, die kollektive Fassungslosigkeit auf mich wirken zu lassen, zusammen mit der Erkenntnis, dass wir nun offenbar tatsächlich vom zuvor schon befürchteten Stromausfall heimgesucht worden waren.

Irgendwann meldete sich Ellie als Erste mit einem beeindruckten „Wow!" zu Wort, während Louis zeitgleich albern zu keckern begann, was ein Wunder war, wenn man bedachte, dass er sich vorhin noch den Müsliriegel im Ganzen in den Mund geschoben hatte.

"Na toll." Harry fand die Situation offenbar nicht ganz so amüsant, denn sein Tonfall triefte vor Resignation. „Stromausfall. Um ..." Kurzes Rascheln ertönte, kurz darauf flammte das Display eines Smartphones auf. „Punkt 20 Uhr. Das Wetter achtet auf die Zeit."

„Umso besser." Ich konnte Louis' abenteuerlustiges Grinsen förmlich riechen. „Dann findet uns der Sicherheitsdienst wenigstens nicht. Oder denkt ihr, er hat ne Nachsichtbrille? Oder ein Nachsichtgewehr?"

Erneut herrschte kurz Schweigen, als offenbar alle mit dem Kopfkino eines bewaffneten Sicherheitsdienstes kämpften.

Schließlich erklang ein Seufzen von Harry. „Nimm es mir nicht übel, Babe, aber manchmal solltest du einfach den Rand halten."

Louis' empörtes Ächzen ignorierte er restlos. „Schön. Jeder von uns hat eine Handytaschenlampe, am Licht sollte es also nicht scheitern. Lasst uns zusammenpacken und von hier verschwinden. Ich habe keine Lust darauf, vielleicht auch noch eingeschneit zu werden und dann hier übernachten zu müssen."

Diese Meinung konnten wir einstimmig vertreten, sogar die dumme Romy und der noch dümmere Colin. Was wirklich nicht oft vorkam.

Im erstaunlich hellen Licht von sieben Handytaschenlampen packten wir in Rekordgeschwindigkeit zusammen, um den ganzen Krempel anschließend den Kellerkorridor entlang auf die Treppen zuzuschleppen. Den Aufzug konnten wir bei Stromausfall ohnehin vergessen, wie uns zugegebenermaßen aber erst etwas verspätet aufgegangen war, nachdem Louis aus purer Gewohnheit heraus den Knopf betätigt hatte.

Den ganzen Weg hindurch rechnete ich damit, jeden Moment vom Sicherheitsdienst abgefangen zu werden, der uns erst mit seiner riesigen Stabtaschenlampe erblinden ließ, herumbrüllte und uns dann wie eine Schafherde zum nächstgelegenen Ausgang trieb (wenn auch ohne Nachtsichtgewehr) – doch zu meiner Verblüffung blieb es ruhig.

Der Kerl ließ sich nicht blicken.

Nicht, als wir laut jammernd die viel zu zahlreichen Treppenstufen erklommen und dabei ständig geräuschvoll etwas gegen das Geländer donnerten, und auch nicht, als wir durch den breiten Gang hindurch in Richtung Haupteingang pilgerten, ebenfalls nicht gerade in Zimmerlautstärke.

Unwillkürlich sah ich mich um.

Das war seltsam. Hatte er sich womöglich vom angekündigten Unwetter vom Dienst abhalten lassen? Ähnlich sehen tat ihm das aber überhaupt nicht, angesichts dessen, wie todernst er seinen Job nahm. Vermutlich würde er am liebsten mit Maschinengewehr und Handgranaten zur Arbeit kommen würde, wäre das denn legal. Zum Glück war es das nicht. Sonst wären wir allesamt schon um einige Gliedmaßen ärmer.

Louis, der wie immer laut quasselnd an der Spitze unserer Truppe gelaufen war, erreichte die schweren Türflügel als Erster und ließ sich mit einem theatralischen Stöhnen dagegenfallen, in der Erwartung, dass dieser wie gewohnt aufschwang – nur um mit der Wange voraus gegen das Glas zu klatschen, das genau dort blieb, wo es war.

Angeekelt grunzend schälte er sich von der Tür, um sie irritiert anzusehen. Das künstliche Licht seiner Taschenlampe spiegelte sich mehrfach im doppelten Glas und sorgte mit seiner Reflexion dafür, dass Louis' blaue Augen in zusätzlicher Intensität glänzten.

EXIT (Niam, Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt