Wir hatten uns doch aufgeteilt.
Einerseits schien das dumm zu sein, andererseits aber die einzige, sinnvolle Option – einfach aus der Erkenntnis heraus, dass so die Wahrscheinlichkeit viel größer war, tatsächlich jemanden ausfindig zu machen.
Und ... nun ja.
Auch deshalb, weil so das Risiko, dass einer von uns dem anderen an die Gurgel ging, beachtlich sank.
Oder besser: Das Risiko, dass Liam oder ich Ryan an die Gurgel gingen, weil dieser es sich zur Lebensaufgabe gemacht zu haben schien, sich ununterbrochen ganz persönliche Minuspunkte einzuhandeln.
Ich hatte das Gefühl, dass Liam ihm schon dreimal eine geklatscht hätte, wäre ich nicht anwesend. Zum Glück hatte Liam diese Gefahr irgendwann ebenfalls erkannt und dann von sich aus vorgeschlagen, sich in den Stockwerken aufzuteilen – einer blieb an der Treppe zurück, falls dort jemand vorbeikam, während sich die beiden anderen jeweils eine Gangrichtung des quadratischen Blocks vornehmen und sich in der Mitte treffen sollten sollten.
Ryan hatten wir einstimmig zum Treppendienst verdonnert, bevor er selbst auch nur einen Mucks von sich geben hatte können – ein Schicksal, das er mit resigniertem Achselzucken in Kauf genommen und sich der Entscheidung gefügt hatte. Wenigstens war er klug genug, nicht auch noch deshalb einen Konflikt anzuzetteln.
Trotzdem hatte ich mich bereits mehrmals dabei ertappt, mir an Ryans Stelle Zayn als Begleiter herbeizuwünschen. Klar, er war ein provokanter Hitzkopf, ein recht unsensibler noch dazu, aber zumindest hätte ich mir bei ihm keine Gedanken darüber machen müssen, was zum Henker er von uns wollte. Oder von mir.
Leider änderten meine Wunschvorstellungen wie immer nichts an der Realität.
Bei den ersten drei Vorlesungssälen hatte mir das Herz noch bis zum Hals geklopft und meine Hand hatte das Helligkeit spendende Smartphone so fest umschlossen gehalten, dass meine Fingerknöchel geschmerzt hatten.
Aber irgendwann, als jede offene Tür aufs Neue ergebnislos geblieben und mir kein Axtmörder entgegengesprungen war, hatte meine Nervosität deutlich nachgelassen und war einem Anflug von Langeweile gewichen.
Zweifel keimten nun in meinem Kopf auf, was zur Hölle wir denn eigentlich taten – und ob das alles hier überhaupt real war. Träumte ich vielleicht nur? Oder übertrieben wir allesamt? Gab es für alles eine rationale Erklärung, die keinen psychotischen Möchtegernkiller oder eine Horde Axtmörder beinhaltete?
Falls die Theorie mit dem Killer der Wahrheit entsprach, waren wir eigentlich schön blöd, einen schützenden, von innen abschließbaren Raum zu verlassen, um wie Freiwild auf den Gängen herumzupilgern. Noch dazu getrennt.
Wenn wir bereit waren, das trotzdem zu tun, konnte die Gefahr ja nicht so groß sein, oder?
Oder wir waren wirklich einfach nur blöd.
Wie auch immer.
Jedenfalls hielten sich Angst und Vorsicht durchaus in Grenzen, als ich die viel zu schwere Tür des sechsten Vorlesungssaals aufzog – und aus diesem Grund ein wenig überrumpelt war, als ich realisierte, dass ich schon den neuen, großen Stufensaal erreicht hatte, zu dem man sowohl von diesem Stockwerk als auch vom Erdgeschoss aus Zugang hatte.
Für diesen Saal, der als Reaktion auf die anwachsende Zahl an Studenten erst vor ein paar Jahren fertiggestellt worden war, hatte man den ursprünglich rein kastenförmigen Stockwerkbau auf einer Seite erweitert, damit knapp fünfhundert Leute hier auf den Klappstühlen Platz finden konnten.
Zwar wirkte das Gebäude von der Draufsicht nun unförmig und ein wenig wie ein ästhetisches Missgeschick, aber es erfüllte seinen Zweck, was schließlich die Hauptsache war. Unzählige Großversammlungen hatten hier schon stattgefunden, deren Besucheranzahl man ohne diesen Saal stark einschränken hätte müssen.
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EXIT (Niam, Larry)
Fiksi PenggemarEine Nacht lang eingeschlossen in den kalten, dunklen Räumlichkeiten der Universität, ohne Kontakt zur Außenwelt, ohne Strom, ohne Möglichkeit zur Flucht. Um das Gebäude herum tobt ein Unwetter, keine Menschenseele ist auf den Straßen unterwegs, Sma...