Sonntag, 2. Dezember, 05:32 Uhr

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Heftiges Zerren und Metall, das sich in die offene Wunde an meinem Handgelenk bohrte, ließen mich zusammenzucken und setzten meinen berüchtigten Vorahnungen ein abruptes Ende.

Mit einem Zischen wirbelte ich zu Romy herum, die eben ein wenig zu grob an den Handschellen gerissen hatte.

„Au! Verdammte Sch-..."

„Halt die Klappe, du blondiertes Riesenbaby", fuhr Romy mir verärgert über den Mund. Dafür, dass ich sie immer für einen stummen, einfältigen Fisch gehalten hatte, war sie nun verdammt herrisch, wenn es darum ging, den Ton anzugeben. Vielleicht waren es die Panik und die ernstzunehmende Todesangst, die uns alle ein wenig verändert hatten.

Aber nur ganz vielleicht.

„Ich krieg es nicht auf. Wir brauchen den Schlüssel."

Warnend hob sie die Hand, als ich erneut etwas von mir geben wollte. Inzwischen waren die Schritte zu einer schnellen Abfolge übergegangen, die sich verdächtig danach anhörte, als wäre gerade jemand dabei, eine Treppe hinabzulaufen.

Was Ryan vermutlich auch gerade tat, nämlich die Kellertreppe. Es würde sich nun also nur noch um Sekunden handeln, bis er hier war.

Kurzerhand packte ich Romy mit meiner freien Hand am Arm. „Verschwinde. Los. Es bringt nichts, wenn er uns beide an die Heizung kettet. Außerdem ist es besser für dich, wenn er nicht erfährt, dass du von ihm weißt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er dich dann-..."

„Spar dir das, Niall." Grob schüttelte sie meine Hand ab, trat jedoch von der Heizung zurück, das Gesicht zu einer konzentrierten Grimasse verzerrt. „Wenn du denkst, ich verpiss mich jetzt und schau dann in aller Seelenruhe zu, wie er dich auch noch abmurkst, hast du wirklich ein komplett falsches Bild von mir. Was du vermutlich aber sowieso schon von Anfang an hattest, also sollte ich mir wohl gar keine Mühe mehr geben, das zu ändern, richtig?"

Mit diesem nachgeschobenen Statement brachte sie mich augenblicklich zum Schweigen. Ganz einfach deshalb, weil es der Wahrheit entsprach. Wir waren so ungehalten darüber gewesen, unsere Band gezwungenermaßen erweitern zu müssen, dass wir nicht damit gezögert hatten, Colin und Romy sofort in eine Schublade zu stecken, ohne ihnen die geringste Chance zu geben, jemals wieder daraus hervorzukommen.

Romy hätte jedes Recht dazu, mir das jetzt vorzuhalten. Warum sie sich nun selbst sogar in Lebensgefahr begab, um wiederum mir das Leben zu retten, war mir in diesem Kontext durchaus ein Rätsel.

Für mich stand jedenfalls fest: Nie wieder würde ich jemanden so schnell verurteilen.

Die Schritte waren nun schon unmittelbar vor der Tür und für einen kurzen Moment wunderte ich mich, wie Ryan es sich leisten konnte, so laut durch die Hallen zu walzen. Doch dann ging mir auf, dass er ja das Smartphone mit den Überwachungsmonitoren bei sich trug. Er wusste genau, wann und wo und warum er leise sein musste und wann und wo nicht. Aber ... warum hatte er Romy und Liam hier im Bandraum dann nicht bemerkt? Oder gab es hier drin womöglich gar keine Kameras?

Wieder riss Romy mich aus meinen Überlegungen, indem sie sich blitzschnell bückte, um mir die zuvor hinuntergefallene Wasserflasche in die Hand zu drücken. Dann hechtete sie ohne ein weiteres Wort über ein Cajon hinweg und verschwand hinter der Kunststofftrennwand, die den Bandraum in zwei Bereiche trennte.

Mein Puls raste, als ich mich gegen die gepolsterte Lehne der Couch zurücksinken ließ, in der Hoffnung, keinen allzu verdächtigen Eindruck zu erwecken, nur um dann trotzdem zusammenzufahren, als nur wenige Augenblicke später die Tür aufging.

Wie erwartet trat Ryan ein, den Blick geistesabwesend auf sein Smartphone geheftet. Noch immer lag seine Stirn in Falten, doch nun wirkte er um Welten ruhiger als bei seinem überstürzten Aufbruch – offenbar war sein Abstecher in den Kühlraum ergebnislos geblieben. Und offenbar hatte er nicht bemerkt, dass die USV verschwunden war.

EXIT (Niam, Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt