Sonntag, 2. Dezember, 04:27 Uhr

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Mein Mund wurde trocken.

Bei dem Ding, das ich eben aus dem Handtuchspender gegraben hatte, handelte es sich nicht um die vermisste USV, sondern um eine Kamera.

Eine kleine, offenbar batteriebetriebene, gottverdammte Überwachungskamera.

Die sich garantiert schon die gesamte Nacht hier befunden und alle Ereignisse, die hier abgegangen waren, auf Band festgehalten und womöglich auf irgendeinen Bildschirm gesendet hatte. Diese Linse hatte höchstwahrscheinlich den Mord aufgezeichnet.

Meine Gedanken schwammen.

Jemand hatte Kameras versteckt. Ganz zufälligerweise auch in dem Raum, in dem danach ein Mord stattgefunden hatte.

Zufall? Garantiert nicht.

Hieß das dann also, dass dieser Jemand dieses ... Ereignis bewusst hier geplant hatte? Um es aufzeichnen zu können? Aber wozu? Um sich an dem Blutbad zu erquicken? Oder an unserem Entsetzen, als wir Colin gefunden und uns in die Waschbecken übergeben hatten?

Gab es womöglich noch andere Kameras, die im gesamten Gebäude verteilt waren, genauso gut versteckt wie dieses Exemplar, das ich nun in der Hand hielt, sodass wir keine einzige davon ausfindig machen hatten können?

Bei dem Gedanken daran, dass jemand unsere Panik live wie eine Sportveranstaltung verfolgt, sich darüber amüsiert und wie bei einem Film gespannt abgewogen hatte, was wohl als Nächstes passieren mochte, kam mir Gift und Galle hoch.

Und erst dann ging mir voller Entsetzen auf, dass derjenige, der Zugang zu den Aufzeichnungen hatte, genau in dieser Sekunde mein Gesicht in einwandfreier Großaufnahme auf dem Bildschirm haben musste.

Wie vom Blitz getroffen ließ ich das Gerät sinken, reflexartig den Daumen auf die Linse gepresst, um deren Sicht zu blockieren.

Meine Atmung ging stoßweise.

Was zur gottverdammten, verschissenen Hölle lief hier?!

Und als sich den Bruchteil einer Sekunde später, wie aus dem Nichts, eine Hand auf meiner Schulter platzierte, war es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung.

Ein lauter Aufschrei entschlüpfte meinen Lippen, als ich panisch herumwirbelte und rückwärts in die Lücke zwischen den Waschbecken zurückzuckte. Mein Rücken kollidierte hart und schmerzhaft mit dem offenstehenden Tuchspender, sorgte dafür, dass sich ein neuer Schwall der darin verbliebenen Papiertücher aus der Box über den Boden ergoss.

Die kleine Kamera entglitt meinem Griff, als sich all meine Körperreflexe darauf versteiften, dafür das lichtspendende Handy umso fester zu umklammern, die nun freigewordene Hand zur Faust zu ballen, auszuholen und-...

Finger schlossen sich um mein Handgelenk.

Ehe ich reagieren konnte, fand sich mein Arm in einem unnachgiebigen Klammergriff wieder, und im nächsten Moment wurde ich noch ein Stück weiter rückwärts gedrängt, bis mein Rücken mit der kalten Fliesenwand in der Lücke zwischen Handtuchspender und dem Spiegel über dem danebenliegenden Waschbecken in Kontakt trat.

Alle meine Sinne kreischten vor Panik. Die Ränder meines Blickfeldes flimmerten und ich wollte nichts lieber tun, als-...

„Niall. Niall! Hey!"

Ich brauchte mehrere Sekunden, um die Stimme zu registrieren, und noch ein paar zusätzliche, um sie einer Person zuordnen zu können. Erst dann stellte mein Körper den Verteidigungsmodus langsam ein.

Wie durch ein Wunder hielt ich in meiner einen Hand noch immer mein Handy umklammert, sodass der Lichtschein direkt in das blasse, mit Sonnensprossen übersäte Gesicht der Person strahlte, die sich so hinterhältig an mich herangeschlichen hatte, während ich viel zu sehr mit meinem Entsetzen beschäftigt gewesen war, um meiner Umgebung Beachtung zu schenken.

EXIT (Niam, Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt