11. Back to skool

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꧁Taehyung꧂

Die letzten Tage vergingen wie im Traum. Zusätzlich habe ich mit der Familie kein einziges Wort gewechselt. Ich hatte ihnen nichts zu sagen. Mein Vater spielt nun den Unnahbaren, Yejin wagt es seit unserem Zwischenfall mich nicht einmal mehr anzuschauen und ihr Sohn ist für mich nicht existent. Diese kleine, miese, lügende Ratte ist in meinen Augen nicht mehr als Luft.

Heesung ist wie vom Erdboden verschwunden. Egal wie oft ich versuche ihn zu erreichen, zwischen uns ist es totenstill. Zusätzlich, ich traue mich nicht Yoongi zu benachrichtigen. Unsicher betrachte ich immer wieder unseren Chat. Ohne eine Nachricht auch nur geschrieben zu haben, schließe ich die App wieder. Überwiegend verbringe ich meine Zeit damit, mich im Keller aufzuhalten. Zwischen gestapelten Kisten, in denen ausschließlich meine Besitztümer aus meinem Kinder-/Schlafzimmer verstaut sind, und ungeöffneten Möbelkisten, die nur darauf warten aufgepackt zu werden, harre ich aus und bange dem Tag entgegen, an dem ich auf die neue Schule gehen muss.

Für ein einziges Jahr.

Ich scheine es immer noch nicht wirklich begriffen zu haben, wieder ein fast komplett neues Leben zu starten. Alles wirkt so surreal. Vor einer Woche sind mein Freund und ich noch Abends an der Themse spazieren gegangen, waren essen. Nun. Nicht einmal sieben Tage später, bin ich wieder der störende und ungehorsame Sohn meines Vaters. Ein Kind.

Als der Tag meiner eigentlichen Abreise anbricht, habe ich mit dem Gedanken gespielt, das Flugticket zu benutzen, das bereits im Voraus von mir gebucht wurde. Als ich dessen digitale Version allerdings noch einmal in Augenschein genommen habe — eine kleine Tasche habe ich aus Sicherheit schon mal gepackt — ist mir aufgefallen, dass es bereits seit Anfang der Woche storniert ist. Diese Erkenntnis hat sich verhalten, wie ein Klos in meinem Hals.

Dieser Zustand hat angehalten, bis zu dem Moment, an dem ich in neuer Schuluniform vor einem Gebäude stand, das mir fremd ist. Ich fühle mich wieder wie der 16-jährige Schüler, der von zu Hause weggerannt ist, nachdem seine Mutter nicht mehr für ihn da sein konnte. Der Vater war unfähig sich um ihn allein zu kümmern.

Das Klingeln der Schulglocke reißt mich aus den Gedanken. Unzählige weitere Schüler stürmen an mir vorbei, um zu ihren Klassensälen zu gelangen. Ich hingegen, ich habe es nicht eilig. Bedrückt schaue ich noch einmal auf das Display meines Handys, vielleicht hat Sung ja doch endlich geantwortet. Seufzend stecke ich es wieder weg und beginne über den Schulhof zu schlendern. Mittlerweile sind alle anderen Schüler verschwunden. Es ist still geworden.

Die neue Schule befindet sich mitten in der Stadt, etwa eine Halb- bis Dreiviertelstunde zu Fuß und mit dem Bus —, wenn er nicht ausfällt — etwa 15 Minuten. Die Architektur wirkt karg, wenige Pflanzen, nur das Nötige. Ringsum befinden sich nur geschnittene Hecken. Ich schlucke hart, als ich das Gebäude betrete und mich nach dem Sekretariat umschaue. Vielleicht sollte ich einfach wieder gehen. Es kann kein Schüler vermisst werden, von dem gut die Hälfte noch nicht einmal weiß, dass es ihn gibt.

„Taehyung? Kim Taehyung?"

Ich fühle mich wie in einem schlechten Film. Überrumpelt drehe ich mich der Person zu, die mich angesprochen hat. Mein Rucksack rutscht mir beinahe von den Schultern. Es ist eine Frau mittleren alters, Haare dunkel und nach oben gesteckt. Ihre schlichte Kleidung ist ordentlich und wirkt dennoch elegant an ihrer schlanken Gestalt. Sie trägt einen zarten Lippenstift.

„Sie müssen unser Neuzugang sein. Sie waren bereits das Gespräch des Kollegiums. Ein Spitzenschüler aus einem der angesehensten Colleges aus dem Vereinten-Königreich. Ich freue mich, Sie kennenzulernen." Ich benötige erst einen Moment, um mit der Information umzugehen, die sie mir gerade an den Kopf geworfen hat. An der Schule bin ich bereits Gespräch gewesen? Wo bin ich hier gelandet?

„Nur keine falsche Eitelkeit. Ihre Leistungen sind bemerkenswert, Hr. Kim. Ihr Vater muss stolz auf Sie sein."

Bei der Erwähnung meines Vaters schaue ich auf den gefliesten Boden. Egal, was ich tue, mein Vater ist präsent und es ist mir unangenehm. Ich möchte wieder zurück. Zurück zu Sung, meinem Leben.

„Das muss jetzt alles eine ziemliche Veränderung für Sie sein. Kommen Sie. Ich bringe Sie zu ihrer neuen Klasse. Neue Gesichter zum Kennenlernen, das wird ihnen guttun." Sie fordert mich lächelnd auf, ihr zu folgen, was ich auch mehr oder weniger tue. Als würden tonnenschwere Gewichte auf meinen Schultern lasten, schleiche ich ihr nach.

Um zu der gemeinten Klasse zu gelangen, müssen wir in das zweite Obergeschoss. Wir folgen einem langen Gang, in welchem sie am Ende auf der rechten Seite haltmacht und mir die Tür öffnet. Schneller als es mir liebt ist, stehe ich in Angesicht von 24 verdutzten Paar Augen. Mindestens genauso überfordert schaue ich zurück. Alle Schüler sitzen auf ihren Stühlen und haben zuvor mit ihren Nachbarn gesprochen. Trinkflaschen und Brotboxen stehen auf den Tischen.

„Guten Morgen, Klasse. Wie ihr bereits wisst, wird Taehyung hier ein neuer Teil unserer Gruppen. Heißt ihn bitte willkommen und helft ihm schnell zurechtzufinden. Taehyung, möchten Sie vielleicht kurz etwas über sich erzählen. Das würde die Klasse und mich sehr freuen." Der zu Beginn fragenden Blicke wandeln sich in Skeptische. Unsicher schaue ich mich um. Ich fühle mich unwohl.

„I-Ich... Mein Name ist Taehyung, Kim Taehyung. Ich bin 18 Jahre und—" Nachdenklich halte ich inne. Ich benehme mich kaum besser als ein schüchternes Kätzchen, das nur darauf wartet von hungrigen Wölfen gejagt und zerfetzt zu werden. Den Blicken der anderen nach zu urteilen, entspricht meine Vermutung der Wahrheit. Einer von ihnen mustert mich besonders feindlich, als wäre ich in sein Territorium vorgestoßen. Fremde Pfoten auf fremdem Grund.

„—Und lasst mich alle einfach in Frieden. Ich danke vielmals."

Overlooked | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt