꧁Jungkook꧂
Die Tür fällt donnernd ins Schloss. Das alte Holz ächzt. Ängstlich zucke ich zusammen, aber ich darf nicht stehen bleiben. Die Schritte hinter mir nehmen immer weiter an Lautstärke zu; sie kommen näher.
Ich lasse mein Zuhause hinter mir. Alles, was mir darin lieb und wichtig ist, lasse ich zurück. Papa steht am Fenster und schaut mir nach. Ich werde ihn vermutlich nie wiedersehen. Meine Füße fliegen förmlich über den Asphalt, als ich in die nächste und wieder nächste Seitenstraße einbiege. Ich schlage Hacken, wie ein Feldhase auf der Flucht vor dem hungrigen Fuchs.
Eine Mauer tut sich vor mir auf. Über sie ist nicht hinweg zu klettern. Eine Sackgasse.
Zu meinem Rücken höre ich das Knurren, wie der Speichel der hungrigen Meute auf den Boden tropft. Auf der Mauer sitzt jemand gehüllt in Schwarz. Ich reiche der Person die Hand. Sie kann mich nach oben ziehen, mich beschützen. Ihre Augen mustern mich. Sie sind braun. Der Ausdruck der Person gleicht der einer Statue. Die Meute scheint auf mich zuzustürmen. Wir schauen uns gegenseitig in die Augen, die Blicke ineinander verworren.꧁꧂
Es ist warm und mein Körper liegt weich. Erinnerungen daran, wie ich hier hergekommen bin, habe ich keine. Meine Lider, die sich anfühlen, als würden sie Tonnen wiegen, kann ich bloß schwerfällig öffnen, als mein Verstand wieder zu sich kommt. Zwei braune Augen, durchzogen von Sorge und Furcht, sind das Erste, auf das ich treffe.
„Taehyung."
Ich scheine mein Gegenüber mit meinem ausgesprochenem Wort etwas zu verschrecken. Scheu weicht er von mir ab. Erst jetzt bemerke ich, dass ich auf dem weichen Polster des Zuhauses meiner Mutter und ihren Ehemann liege. Mein Körper ist in eine warme Decke gekuschelt. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Tee liegt in der Luft.
„Tut dir etwas weh? Kann ich etwas für dich tun? Liegst du bequem?"
Die Fragen überfordern mich. Es ist mir zwar möglich zu erkennen, wo ich mich befinde und mit wem ich mich befinde, doch schaltet mein Verstand noch nicht so, wie zuvor. Bin ich auf den Kopf gefallen? Den Schmerzen nach zu urteilen, könnte es so sein.
Um auf Taehyungs Fragen zu antworten, schüttele ich sachte den Kopf. Ein Fehler, bemerke ich kurz darauf.
„Beweg' dich nicht! Ich bringe dir eine Tasse Tee. Die sollte dir etwas helfen. Du musst trinken."
Verdutzt folge ich dem Sohn meines Stiefvaters mit den Augen, wie er von dem gegenüberliegenden Couchpart aufspringt und hastig in die Küche eilt.
Beinahe stolpert er noch über etwas auf seinem Weg. Wenige Momente später reicht er mir eine Tasse, deren Inhalt noch stark am Dampfen ist. Mit einer Warnung über die akute Hitze des Getränks, hilft er mir einen kleinen Schluck davon zu nehmen. Ich spüre die Flüssigkeit meinen Hals herunterlaufen. Es wärmt mich auf.„Warum tun die dir das an, Jungkook?"
Das Getränk kommt in meinem Magen an. Sie ist immer noch warm, so sollte sich die Temperatur der Flüssigkeit eigentlich auch ausbreiten, mir ein angenehmes Gefühl von innen spenden.
„Warum hilft dir denn keiner?"
Ich wende den Kopf zur Seite, darauf aus, Taehyungs fragende Augen zu meiden. Als würde das Eis eine blühende Wiesen im frühen Frühling bei Nacht erstarren lassen, hindert seine Frage meinen Körper daran sich aufzuwärmen. Alles erstarrt.
„Warum hast du dich denn nicht zur Wehr gesetzt?"
Die Kälte, das Eis weitetet sich über alles und jeden aus, verschlingt es förmlich. Farben werden blass, Licht schwächt ab und der letzte Funken Wärme verglüht.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.„Warum—"
Taehyungs eindringlicher Blick, der auf mir haftet wie ein auf das Ziel gerichteter Pfeil, verleiht dem Eis Risse und lässt es splittern. Sie bohren sich in mein Inneres.
„Warum hasst du mir nicht geholfen?"
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Overlooked | Taekook
FanfictionFür die Hochzeit seines Vaters und dessen neuer Frau kehrt Taehyung aus Großbritannien zurück und erfährt kurzerhand, dass er von nun an einen Stiefbruder haben wird. Dieser scheint das ideale Gegen- und Ersatzteil zu dem freigeistlichen Sohn zu sei...