21. Remember, we're on our own

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꧁Jungkook꧂

Der Wecker klingelt. Es ist 6:45 Uhr, morgens. Wieder ist eine Nacht vergangen, in der ich kaum ein Auge zugemacht habe. Ich sehne mich nach Ruhe. Allerdings rasselt Taehyungs Handy schrill in meinen Ohren. Vor Schreck habe ich beinahe meine Tasse vom Tisch gestoßen. Das gedimmte Deckenlicht bringt den übergeschwappten Tee auf der Tischplatte zum Glitzern.

Ein Grummeln dringt von der Wohnzimmercouch zu mir vor. Mir stockt der Atem. Ich muss mich beeilen endlich aus der Küche zu verschwinden, das Weite zu suchen. Ich darf mich nicht ein weiteres Mal von dem Älteren erwischen lassen. Ein weiterer Konflikt halte ich nicht aus. Nicht... nicht nach—

Ich stehe kurzerhand vom Essenstisch auf, packe meine wenigen Zeichenutensilien ein — es ist mir ein wahrhaftes Rätsel wie das eingeschaltete Licht aus dem Esszimmer Taehyung bislang nicht wecken konnte; ich sitze beinahe jede Nacht hier — und werfe mir anschließend eine Strickjacke um die Schulten. Sie hat einmal meinem Vater gehört. Mein Körper rebelliert bei den Bewegungen, die ich vollbringe, um meine Arme in die gehörigen Ärmel zu stecken. Es zieht, drückt und brennt. Der vergangene Tag, es tat weh, mehr als sonst. In wenigen Tagen ist es aber wieder vorbei. Alles ist dann vorbei. Die blauen Flecken werden auch verblasst sein. Es wird nie etwas passiert sein, wenn kein weiterer davon—

Beim Aufheben meines Zeichenblocks, haben meine Hände keine Kraft mehr das Federmäppchen ebenfalls festzuhalten. Hilflos kann ich nur noch dabei zusehen, wie es auf den Boden fällt. Die hellen Geräusche von Stiften, die auf Grund treffen, hallen durch den Raum. Es durchfährt mich und ich ziehe den Atem ein.

Als sich mein Herz ebenfalls bemerkbar macht, ich die Schläge in meinen Ohren spüre, löse ich mich aus meiner Starre und knie mich nach meinen Sachen. Ich muss sie unverzüglich wieder wegräumen, die Schmerzen in meinem Körper ignorieren. Er darf mich hier nicht wieder sehen.

Der Ort, der vor seiner Ankunft bei Nacht mein gewesen ist.

Die Utensilien sind beinahe beisammen, ich greife nach dem letzten Stift, als sich ein Schatten über mich legt. Es schauen mir zwei emotionslose Augen entgegen. Zögerlich schaue ich auf.

Ich habe ihn geweckt.

„E-Es tut mir leid, Taehyung", hauche ich und verstaue den letzten Stift in meinem Mäppchen.

„I-Ich wollte d-dich nicht wecken. Glaub mir das!"

Seine Augen scheinen etwas geschwollen, als hätte er die vergangene Nacht geweint. Solange, bis ihn der Schlaf geholt hat. Auf wankenden Beinen erhebe ich mich, keinen weiteren Gedanken daran verschwendend, und bringe unverzüglich Distanz zwischen uns. Er trägt noch immer die gleiche Kleidung wie am vergangenen Tag. Gott sei Dank, ist er nicht derjenige gewesen, der sein eigenes Blut auf dem Hemd hatte. Er hatte Glück. Wieder musste ich die Kleidungsstücke entsorgen, damit Mama nichts davon erfährt.

„Schon in Ordnung", entgegnet er, die Stimme so rau, wie die verkrustete Oberfläche einer Wunde. Es läuft mir eiskalt den Rücken herab.

„Mach' dir... nichts draus." Er möchte seine Hand auf meiner Schulter ablegen. Erschrocken zucke ich zusammen. Er stoppt.

Für einen Augenblick schauen wir uns einfach nur stumm an. Er scheint zu überlegen, mir etwas sagen zu wollen, doch kann er die Worte einfach nicht dazu bringen von seiner Zunge zu springen. Bis auf ein Seufzen geschieht nichts für das Erste.

Taehyung trägt beinahe den identischen Ausdruck wie am Tag zuvor. Er hat alles gesehen. Er weiß es.

„Sie haben mich übergangen, weißt du?"

Taehyung tritt an mir vorbei, unsere Schultern streifen einander. Ich weiß nicht, was ich auf seine Aussage antworten soll. Es verwirrt mich. Er verwirrt mich.

„Du und ich sind auf uns allein gestellt. Wir haben gar keine andere Wahl, verstehst du?", haucht er und der heiße Atem trifft auf mein Ohr. Ich schlucke hart.

Der Ältere verschwindet ohne ein weiteres Wort in Richtung Badezimmer des untersten Stocks. Seine Schultern hängen. Sein Ausdruck wirkt erloschen. Eine Gänsehaut überzieht derweil den Großteil meines Körpers. Ich weiß nicht, was ich denken soll; ihm zu antworten wäre ohnehin keine Option.

Seitdem er hier ist, ist es noch schwerer meine Eskapaden vor meiner Mutter geheimzuhalten. Sie weiß zwar, dass ich in der Vergangenheit darunter gelitten habe, doch glaubt sie mir wenigstens im Augenblick, dass sie nicht weiter zu befürchten hat.

Ich halte das aus, ich schaffe das.

Die Angst vor Taehyungs Zorn, die mich die letzten vergangenen Minuten wie ein Dämon gejagt hat, lenkt mich davon ab, auf was der Sohn meines Stiefvaters treffen könnte, wenn er das Badezimmer betritt.

Hoffentlich wird er die verbluteten Taschentücher nicht finden. Dass er bereits gesehen hat, was diese...

I-Ich muss ihn dringend darum bitte mich nicht zu verraten.

Overlooked | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt