꧁Taehyung꧂
Am Essenstisch sitzen mir drei Paar Augen gegenüber, die alle etwas Unterschiedliches ausstrahlen. Hätte mir die Überraschung vorhin nicht schon eins reingewürgt, würde es jetzt so weit sein. Ich verstehe nichts mehr. Hat mein Vater seine Drohung von damals nun wirklich in die Tat umgesetzt? Unser letzter Streit ist Jahre her, aber befinden sich seine Worte seither stets in meinem Hinterkopf.
„Wundere dich nicht, wenn du immer das Weite suchst — nur weil es dir zur viel wird —, dass man dich eines Tages nicht mehr wahr nimmt, dich ersetzt. Du wirst zu einem rastlosen Hai, um nicht zu ersticken."
Meine Augen richten sich auf den Dritte der Runde. Stumm starrt er auf seinen Schoß, die Schultern hängen. Ist das nun eine Art Ersatz für mich?
Mein Vater trägt wie immer seinen streng-monotonen Blick. Die einzige, die der Situation etwas Gutes abgewinnen kann, ist Yejin. Sie lächelt mir friedlich entgegen. Ich würde ihr am liebsten einfach den Kopf abbeißen.„Na, mein Lieber, wie war dein Flug? Bist du gut angekommen? Hast du schon gegessen?"
So viele Fragen kann ich im Augenblick nur halbherzig beantworten. Gut 90% meiner Aufmerksamkeit haftet auf meinem Vater, auf einem Mundwinkelzucken, einem flüchtigen Blick nach links oder recht.
„Gut. Soweit schon. Ja - ich meine nein."
Ich warte auf eine Erklärung, ein einfaches Wort. Irgendetwas, doch er bleibt wie bekannt starr und stumm. Eigentlich hätte ich mir das schon fast denken können.
„Papa? W-was hat das alles zu bedeuten", werfe ich die Frage nun selbst in den Raum, obwohl sie mein Vater von meinem Gesicht bereits hatte ablesen können.
Wir kennen uns zu gut.
„Hör zu, Tae. Da Yejin hier selbstverständlich nun endlich eingezogen ist und dein Zimmer nur leer gestanden hat, hat Jungkook es übernommen. Für dich wird aber der Keller sehr bald umgebaut, also mach' dir keinen Kopf. Ein paar Nächte auf der Couch werden dich schon nicht umbringen."
Die Erklärung meines Vaters macht mich sprachlos. Nicht nur hat irgend so ein dahergelaufener Teenager mein Zimmer an sich gerissen, jetzt muss ich mich auch noch mit der Couch zufriedengeben? Ich hätte England nie verlassen sollen.
„Ist das euer— wo sind all meine Sachen?", unterbreche ich mich selbst. Über den Verbleib meiner ganzen Habseligkeiten habe ich mir bislang noch gar keine Gedanken gemacht. Was ist, wenn meine Schallplatten allesamt kaputtgegangen sind?
„Im Keller. In Kisten. Jetzt beruhige dich. Wir werden das in der Zukunft schon arrangiert bekommen, mach' dir mal nicht ins Hemd, Taehyung." Die Aussage meines alten Herrn bringt das Fass zum Überlaufen. Woher kommt auf einmal diese Gelassenheit? So kenne ich ihn gar nicht. So ist er nie gewesen. War nicht einer der Gründe, weshalb ich gegangen bin, diese ständigen Spannungen zwischen uns?
„Genau, Tae. Wir machen es dir hier so gemütlich wie nur möglich. Sei kein Miesepeter. Das wird unsere erste Amtshandlung als eine Familie. Freu dich doch."
Ich muss mich wirklich verhört haben. Diese Szene spielt sich ab, wie in einem schlechten Film. Wut kocht in mir auf. Ob Angst oder Hass die Verursacher sind, das weiß ich nicht — kann ich nicht einschätzen. Ruckartig springe ich anschließend einfach auf. Dieser Junge — sein Haar ist dunkel und seine Kleidung weist einige Schrammen auf — zuckt unmerklich zusammen. Die Augen meines Vaters, wie die seiner Zukünftigen, weiten sich.
„Diese Familie kann mich mal. Habt' mich doch sowieso bereits ersetzt. Entschuldigt mich, aber das ist mir einfach zu dumm." Unter einem Monsun von Gefühlen tanzend, verlasse ich das Esszimmer. Die Augen folgen mir. Kaum habe ich die Garderobe im Flur erreicht, ziehe meine Schuhe an und stürme ins Freie. Mit einem „Ich bin bei Yoongi", lasse ich die Haustür ins Schloss fallen und mache mich auf zu meinem ältesten Freund. Die Distanz hat unserer Freundschaft nichts anhaben können.
Er ist immer für mich da.
Eine kurze Nachricht kündigt mich bei ihm an. Das reicht. Ihm wird das nichts ausmachen. „Das darf doch alles nicht wahr sein", klage ich, den Gehweg entlang laufend, während die Sterne bereits am Himmel stehen. In dieser Gegend lässt sich der Nachthimmel immer gut beobachten.
Ich öffne Heesungs Chat.
You
Hey, love <3, ich bin angekommen. Nur noch sieben Tage von nun an also.
Miss u...
Sent: 09:35 a.mYou
Dir würde Seoul gefallen. Hab' voll vergessen wie schöns' hier eigentlich ist. Mit dir wärs' aber wirklich perfekt...
Sent: 10:23 a.mYou
Babe, bist du wach?
Sent: 11:31 p.mHeesung
Last seen: yesterday 09:22 p.mEr hat mir immer noch nicht geantwortet, geschweige denn die Nachrichten überhaupt geöffnet. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es für den Tag sein zu lassen. Wenn ich bei Yoongi ankomme, lege ich mich gleich schlafen. Dieser Tag war die reinste Hölle.
Heesung
Sry... kann nicht. Gute Nacht.
Sent: 02:34 a.m꧁꧂
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Overlooked | Taekook
FanfictionFür die Hochzeit seines Vaters und dessen neuer Frau kehrt Taehyung aus Großbritannien zurück und erfährt kurzerhand, dass er von nun an einen Stiefbruder haben wird. Dieser scheint das ideale Gegen- und Ersatzteil zu dem freigeistlichen Sohn zu sei...