꧁Taehyung꧂
Der Tadel des Lehrers ist bereits versiegt, als ich eine sachte Berührung an meiner Schulter spüre. Meine Gedanken sind die ganze Zeit völlig woanders gewesen. Ich habe den Blick aus dem Fenster gerichtet, sehe ich allerdings nur meine Erinnerung an Heesung.
Unser erstes Date, unsere kleinen Zankereien, unser erster Kuss, unser erstes—
„Hr. Kim, wenn Sie schon so gelangweilt aus dem Fenster schauen, wissen Sie doch bestimmt bereits eine Antwort auf meine Frage."
Verwirrt wende ich den Blick auf den alten Lehrer in Front einer Tafel beschreiben mit nur einem Satz. Meine Stirn ist leicht in Falten gelegt, als ich versuche die Worte in meinem Kopf sinnvoll zu einem Satz zusammenzusetzen.
Ist man für sein Handeln selbst verantwortlich?
Die Frage des Lehrers lässt mich verwirrt die Stirn runzeln. Zu Beginn scheine ich sie nicht einmal ordentlich zu verstehen, bis sich ein Schalter umlegt. Auf das Zögern meinerseits hat der Lehrer bereits gewartet, komme ich ihm allerdings mit einer Antwort zuvor. Seine miefenden Worte bleiben ihm im Halse stecken.
„Wenn Sie Personen fragen, deren Horizont reicht, wie der 99%, der Anwesenden dieses Kurses, würde ich ihrer Frage zustimmen. Die Wenigsten schauen weiter als über ihren eigenen Tellerrand, wenn es sich um Konsequenzen und Folgen des eigenen Tuns handelt. Sie sind blind für Beeinflussungen von außen oder nehmen es einfach hin.
Beschränken wir uns aber auf die Minderheit, die das Offensichtliche sieht, fühlt, aber oft auch nur tatenlos dabei zusehen kann, wie ihr Handeln von Dritten sabotiert wird und Pläne zunichtegemacht werden. Aber pendeln wir auch zwischen diesen zwei Stadien oft hin und her. Die Gutmütigkeit oder Schwäche vieler drängt sie allerdings oft auf Wege, die sie nicht beschreiten wollten oder hätten müssen." Ich mache eine kurze Pause.„Aber was rede ich da. Meine Antwort lautet: Nein, man ist für sein Handeln nicht selbst verantwortlich. Oft tun wir, was andere für richtig halten, ob wir es wollen oder nicht."
Ich lehne mich in meinen Sitz zurück und richte den Blick wieder aus dem Fenster. Zuvor habe ich noch ein zufriedenes Grinsen auf Namjoons Gesicht aufblitzen sehen. Der Lehrer lässt uns Schüler bis Ende der Stunde still arbeiten. Wir hören von ihm kein weiteres Wort.
In der Pause schlendere ich nichtsahnend durch den Flur und bin auf dem Weg zu meinem nächsten Kurs. Umstehende Schüler beachten mich nicht, ich gehe in der Masse unter. Es tut gut.
„Hey! Du!", ertönt es hinter mir. Die männliche Stimme klingt außer Atem.
„D-Du bist doch Jeon Jungkooks Bruder, oder?" Verdutzt bleibe ich drehen und wende mich einem kleineren jungen mit hellen Haare und eindringlichem Blick zu.
„Stiefbruder", korrigiere ich den Jungen.
„Achso... Hast du ihn heute trotzdem schon gesehen? Ich bin Park Jimin, Klassenkamerad von Jungkook, und wir haben heute ein Projekt zusammen, aber ich kann ihn weder finden, noch erreichen." Bilder vom heutigen Morgen blitzen in meinen Gedanken auf.
„Er sollte eigentlich die ersten beiden Stunden mit mir zusammenarbeiten, aber er ist nie aufgetaucht. Auch die Lehrer wissen nicht, wo er stecken könnte."
Jungkooks Augen hatten diesen Morgen etwas an sich, das mich verschreckt hatte. Trotz dessen, dass ich ihm meinen Hass ihm gegenüber bereits habe spüren lassen, hat er mich nicht verraten, nachdem ich ihm nicht zur Hilfe gekommen—
„Ich weiß, wo er sein könnte."
Bei dem Gedanken, an das, oder besser die, bei denen Jungkook gerade sein könnte, wird es mir kalt. Die blutigen Taschentücher im Müll heute Morgen sind derzeit bestimmt Jungkooks geringste Sorgen.
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Overlooked | Taekook
FanfictionFür die Hochzeit seines Vaters und dessen neuer Frau kehrt Taehyung aus Großbritannien zurück und erfährt kurzerhand, dass er von nun an einen Stiefbruder haben wird. Dieser scheint das ideale Gegen- und Ersatzteil zu dem freigeistlichen Sohn zu sei...