꧁Taehyung꧂
Ich renne gegen unzählige Schüler, winde mir einen freien Weg, um schnellstmöglich den Ausgang des Pausenhofes zu erreichen. Ich weiß ganz genau, an welchem Ort sich Jungkook im Augenblick befindet.
Jimin hat Mühe mit mir mitzuhalten, auch er stößt mit einigen Schülern auf dem Weg zusammen. Ihm bleibt jedoch nichts anderes übrig, als ihnen eine notgedrungene Entschuldigung nachzurufen.
„Wo rennst du hin? Warte doch!", ertönt es hinter mir außer Atem. Dafür ist aber keine Zeit. Unbeirrt stürmte ich weiter und erreiche kurz später das offen stehende Tor des Pausenhofs, trotz dessen, dass ich die Angst in meinen Adern bereits aufkochen spüren kann. Ich lege den gleichen Weg hinter mich, den ich bereits vor einige Tagen entlang gelaufen bin. Wieder führt es mich zu dieser einen Gasse. Ich kann Jimins entfernte Schritte hören. Er holt langsam auf.
Vor der Einmündung dieser Gasse, aus der mich meine Feigheit zuvor gescheucht hatte, komme ich zum Stehen. Keine Sekunde später spüre ich die Präsenz des kleineren Jungen an meiner Seite. Er atmet schwer.
„Was sollte das, wo ist—" „Psst!", unterbreche ich ihn und linse vorsichtig in die abgelegene Straße, nicht weit von meinem Zuhause und der Schule entfernt. Hier verirren sich aber nur selten Leute hin. Der ideale Ort für die Fantasien von Jungkooks Peinigern.
„Die Flecken sind vom letzten Mal ja noch richtig schön zu sehen. Tun sie auch noch weh?" Wieder hat es dieser Kerl auf Jungkook abgesehen und wieder wird er von den zwei weiteren Schlägern an der Wand fixiert und den Misshandlungen ihres Anführers ausgeliefert. Er zittert, er weint und bei den Berührungen des einen an seinen intensiv blauen Flecken, entkommt ihn ein schmerzverzerrtes Keuchen und Jammern.
„Oh Gott!", flüstert Jimin schockiert und hält sich die Hände vor den Mund. Er wird bei dem Anblick seines Klassenkamerads völlig blass, während sich meine Hände zu Fäusten ballen.
„Mal sehen, wie schwul du noch sein willst, nachdem ich mit dir fertig bin."
Meine Atmung setzt für kurze Zeit aus. Wie von einem Schlag getroffen, erstarre ich, kann mich nicht rühren und bloß zusehen. Ich bin so ein Feigling.
Ihr Anführer greift nach den Haaren meines Stiefbruders. Die Finger müssen böse über seine Kopfhaut kratzen. Tränen rennen ohne Halt, aber wehren tut sich Jungkook auch nicht. Hat er schon aufgegeben?
Er drückt Jungkook vor sich auf die Knie. Er, die Person, die in diesem Moment den reinsten Ekel in mir auslöst. Seine Begleiter stehen rechts und links und tragen ein widerliches Grinsen auf den spröden Lippen. Sie wissen ganz genau, was er vorhat. Jimin scheint es schlecht zu werden, als Jungkooks Kopf dem Asphalt entgegengedrückt wird, etwas dagegen tun ist ihm allerdings auch nicht möglich. Der Schock und die Angst macht uns beiden mit zu Tätern. Tatenlos schauen wir zu. Jungkooks bereits verschrammte Haut trifft auf den rauen und dreckigen Grund.
Er weint.
„Hey!" Er weint und seine Augen haben den identischen Ausdruck, als ich meine Wut, meinen Zorn und Machtlosigkeit an ihm ausgelassen habe.
„Lasst ihn gefälligst in Ruhe!" Die zuvor in mir brennende Furcht ebbt ab, aber die Flamme bleibt bestehen. Sie schlägt um in Wut, in Hass. In all das, was ich in der vergangenen Zeit gespürt habe.
Ich lasse alles raus.
Als wäre ich ein jagendes Raubtier, springe ich aus der Deckung in das Geschehen und stürme auf den Kopf der Gruppe zu. Voller Wucht trifft meine Faust das Gesicht des Anführers, sodass er getroffen zur Seite kippt.
Verdutzt bleibt er zunächst reglos liegen. Rot tropft aus seinem Mund. Ein verlorener Zahn wird seine letzte Sorge sein.„Alles in Ordnung?"
Die Helfer des Schlägers scheinen nicht gleich zu verstehen, was geschehen ist. Das gibt mir die Change nach Jungkook zu schauen. Er befindet sich noch immer auf den Knien und sein Kopf ist gen Boden geneigt. Er wirkt gebrochen.
„Jungkook, hörst du mich? Ich bin es Tae— " Er blickt auf, doch sind seine Augen geweitet. Verwirrt drehe ich den Kopf und sehe wie der Anführer sich aufstellt. Sein Verstand scheint wieder für ihn klarer zu werden.
„Ich kenn' dich doch! Na warte!", verlautet er und möchte gerade zu einem Gegenschlag ausholen, während seine Komplizen nach meinen Armen greifen und mich an Ort und Stelle festhalten.
Gerade als ich denke, dass die Retourkutsche des Schlägers nicht mehr abzuwenden ist, geriet dieser durch einen geübten Tritt aus dem Gleichgewicht und wird durch einen weiteren endgültig ausgenoggt. Wie ein Sack stürzt er zu Boden und bleibt reglos liegen.
„Macht, dass ihr davon kommt, oder es ergeht euch wie eurem Freund hier!" Die Worte sind einziges Fauchen und gehören zu dem kleinen Jungen, der mich in der Pause angesprochen hatte. In ausbalancierter Form und festem Fuß steht Jimin in genügender Reichweite, um den Komplizen ebenfalls gefährlich zu werden. Erschrocken lassen sie von mir ab und suchen keinen Wimpernschlag später das Weite.
„Lasst auch ja nie mehr in unserer Nähe blicken!" Er ruft ihnen böswillig nach, doch seine Haltung entspannt sich. Erleichtert blicke ihn einfach an. Damit hätte ich nie gerechnet.
„Wie hast du...?"
„Kampfsporterfahrung", lächelt er. „Ich war jahrelang im Kampfsport tätig." Kaum hat Jimin zu Ende gesprochen, fällt Jungkook kraftlos zur Seite. Es ist mir gerade so noch möglich seinen kleinen Sturz zu verhindern. Seine Augen sind fest verschlossen, als ich ihn auf meinen Schoß ziehe.
„Wir müssen die Polizei verständigen. Das muss endlich ein Ende haben."
„Du wusstest davon", erkunde ich mich bei Jimin, der Jungkook gerade das Gesicht mit seinem Ärmel von dem Dreck der Straße befreit.
„Jeder tut das. Das ist ein offenes Geheimnis an der Schule." Beschämt, schaut er zur Seite.
„Warum tut denn keiner was. Das darf doch nicht wahr sein." Er fasse es nicht. Wie kann jeder denn bloß zuschau—„Du kennst die Menschen doch. Jeder kann mit dem Finger darauf zeigen, doch wirklich etwas dagegen tun, können die Wenigsten. Wir sind nicht besser als der Rest. Der arme Jungkook kennt das von uns alles am besten." Er streicht dem Ohnmächtig zärtlich über die Wange.
„Es ist doch die Pflicht der Lehrer, den Schülern zu helfen. Niemand kann doch nichts gesehen haben. Ich meine, schau ihn dir doch an!" Jimin schüttelt bloß sachte den Kopf, sodass sein Haar leicht mitschwingt.
„Die meisten Übergriffe müssen außerschulisch geschehen sein und da Jungkook sich anscheinend nie wirklich dazu geäußert hat, haben sich die Lehrer nicht dafür zuständig gefühlt. Auch hat Namjoon sich erst eingeschaltet, nachdem du in den Gesprächen der Lehrerversammlung aufgetaucht bist."Verwirrt runzele ich die Stirn.
„Hat sich keiner davor für ihn interessiert? Hat er wirklich nichts gesagt?" Mitleidig blicke ich den Jungen auf meinem Schoß an. Hätte ich das gewusst, hätte ich ihn dann dennoch derart behandelt? Das schlechte Gewissen kribbelt in meinen Adern.
„Ich denke Teilen der Lehrerschaft war es nur recht, seitdem bekannt wurde, dass Jungkook schwul ist."
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Overlooked | Taekook
FanfictionFür die Hochzeit seines Vaters und dessen neuer Frau kehrt Taehyung aus Großbritannien zurück und erfährt kurzerhand, dass er von nun an einen Stiefbruder haben wird. Dieser scheint das ideale Gegen- und Ersatzteil zu dem freigeistlichen Sohn zu sei...