꧁Jungkook꧂
Polternde Geräusche dringen von dem Eingangsbereich des Hauses zu mir hervor. Es muss bereits weit nach drei in der Nacht sein. Ich stehe von meinem Sitzplatz am Essenstisch auf, fahre mir kurz mit dem Ärmel durch das verschlafene Gesicht und blicke in Richtung Hausflur. Das kleine Licht im Flur brennt. Ich höre Schlüssel klappern und wie sie am Schlüsselbrett befestigt werden. Unerkennbares Getuschel und Gemurre lässt mich allerdings in meiner Bewegung erstarren. Die Laute kommen gefolgt von Schritte — sie kommen auf mich zu — zügig schalte ich die Deckenlampe aus und verstecke mich hinter der Couchgarnitur. Werde ich entdeckt, hätte das Folgen.
Wie so oft konnte ich nicht schlafen. Ob es das Rebellieren meines Körpers war oder die kreiselnden Gedanken. Eigentlich spielt es keine Rolle; ich habe kein Auge zubekommen. Meine Zeichnungen, die mir bei solchen langen Nächten immer Gesellschaft leisten, liegen derweil im ganzen Raum verteilt; zum Aufräumen bin ich schließlich nicht mehr rechtzeitig gekommen. Selbst auf dem Stoffpolster liegen noch vereinzelte Zeichenutensilien.
Da Taehyung in dieser Nacht bislang nicht aufgetaucht ist — die leere Couch stellte sich daher als der geeignetste Ort zum Zeichnen dar — habe ich diese übergangsweise eingenommen.
Ein mir bekanntes Seufzen lässt mich zusammenfahren. Ich habe wirklich nicht mehr damit gerechnet, doch ist Taehyung wieder nachhause gekehrt. War er etwa nur spazieren? Innerlich bete ich, dass er erst nochmal einen Abstecher ins Badezimmer macht, damit ich meine Habseligkeiten von seinem provisorischen Schlafplatz holen kann.
Würde er die Zeichnungen sehen, wäre unser letztes Aufeinandertreffen im Vergleich ein gemütlicher Tanz gewesen. Glücklicherweise werden die Schritte leise, was bedeutet, dass meine Hoffnungen in Erfüllung gehen.
Geduckt harre ich weiter hinter der Garnitur aus, den Kopf weiterhin geduckt und mein Atem geht immer noch flach. Ich danke, wem auch immer, dass der Ältere von uns nicht das Licht eingeschaltet hat; das wäre mein Todesurteil gewesen.
„Autsch! Das darf doch nicht wahr sein!"
Ein Quieken entkommt mir, als ich spüre wie sich jemand auf der Couch niederlässt. Ich habe gefühlt den gesamten Inhalt meines Mäppchens auf den Polstern verteilt, sie beim Aufstehen vorhin mit einer Decke unachtsam und nichtsahnend verdeckt. In Gedanken kann ich mir nur zu gut vorstellen, wie es für dem Älteren sein muss, die Spitzen der Stifte auf einmal in seinem Rücken und Hinter zu spüren.
Erst jetzt wird mir klar, dass ich mich durch den losgelassenen Laut vor Schreck verraten habe. Als ich aufschaue, leuchtet mir das Licht von Taehyungs Handy entgegen. Geblendet blinzele ich und halte mir die Hände vor Augen.
Ich muss hier weg.
Gesagt, getan. Als ich das Böse in den Augen des anderen erkenne, nachdem ich mich allmählich an das grelle Licht gewöhnt haben, springe ich auf, um so schnell wie möglich die Treppe nach oben zu erreichen. Mein Herz springt mir beinahe aus der Brust. Es mag zwar dunkel sein, doch erkenne ich genug, dass ich weiß, dass mich nur noch wenige Schritte—
Etwas packt mich am Kragen und hindert mich meiner Flucht weiter nachzugehen.
Zwei starke Hände wandern zu meinen Oberarmen und halten mich dort fest, drücken sich in mein Fleisch. Meine Füße berühren nicht mehr den Boden, als ich mit dem Rücken auf die nächstgelegene Wand treffe. Ich kann mich nicht bewegen. Ob aus Angst oder wegen des Älteren; ängstlich neige ich den Kopf zur Seite und schließe die Augen.„Papa, du und deine Mutter — ihr habt alles kaputt gemacht..." Seine Nägel bohren sich in meine Haut. Er schmerzt.
„Er hat mich ersetzt und streut nun weiter Salz in die Wunde. Er ist selbst Schuld, dass ich gegangen bin. Ich. Hatte. Keine. Wahl!" Der Geruch von Alkohol beißt mir in der Nase und lässt sie mich rümpfen. Tränen rennen mir die Wangen herab. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
„Du hättest gern' mein Ersatz sein können, solange ich es nicht sehen muss. Aber nein!" Er macht eine Pause. Ich höre nur mein rasendes Herz.„Und du spielst bei der ganzen Sache noch mit, du elender Lügner. Schämst du dich nicht, deinem neuen Papa so ins Gesicht zu lügen? Hm?" Ein schmerzhafter Ruck durchfährt meinen Körper als er mich noch einmal gegen die Wand stößt. Seine Handlung war nicht von fester Hand, doch hat er nicht wissen können, dass selbst mein Rücken von blauen Flecken übersät ist. Daran trägt er keine Schuld.
„Antworte!" Ich entgegne ihm einzig mit Wimmern und Weinen. Solche Attacken sind für mich nicht fremd, doch diese in einer Art von Zuhause zu erleben, lässt meine innersten Albträume zur Realität werden.
„E-Es tut m-mir leid", presse ich kaum hörbar hervor, den Kopf mittlerweile mit aller Kraft und überstrecktem Hals an die Wand gedrückt, um ihm irgendwie zu entkommen. Ich zittere am ganzen Leib und meine Wangen sind beinahe gänzlich von Tränen überzogen.
„Ich hasse dich, aber du bist nicht einmal Schuld daran." Er lacht bitter und lässt mich los. Verwirrt sinke ich zu Bode und benötige erstmal einem Moment, um mich zu sammeln. Bis auf das gedämpfte Schnarchen unserer jeweiligen Eltern ist nichts zu hören. Mir ist das Blut in den Adern gefroren. Mein Verstand liegt lahm.
„W-warum?", ist das einzige, was mir hauchend über die Lippen kommt. Taehyung steht immer noch vor mir und schaut auf mich herab.
„Du bist so, wie mein Vater mich haben wollte", tief atmet er ein.
„Aber du kennst mich doch gar nicht."
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Overlooked | Taekook
FanfictionFür die Hochzeit seines Vaters und dessen neuer Frau kehrt Taehyung aus Großbritannien zurück und erfährt kurzerhand, dass er von nun an einen Stiefbruder haben wird. Dieser scheint das ideale Gegen- und Ersatzteil zu dem freigeistlichen Sohn zu sei...