27. Rooftop

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꧁Jungkook꧂

Hastig eile ich aus dem Klassensaal, um schnellstmöglich mein kleines Versteck außerhalb des Schulgeländes zu erreichen. Dort findet mich keine Seele. Bin ich schnell genug, wird mich keiner vorher abfangen — dann bin ich sicher.

Ich spüre die Blicke der anderen Schüler auf meinem Rücken, als ich parallel mit dem Klingeln zur Pause, den Saal hinter mir lasse. Ihr Getuschel bleibt mir ebenfalls nicht fern. Gleichgültig schüttele ich den Kopf.

Ich darf das nicht an mich heranlassen.

Die Stufen unter mir werden von meinen Schuhsohlen bloß gestreift. Ich habe kaum noch Zeit. Jeder Schritt zieht sich in Form eines heißen Ziehens quer durch meinen Körper. Schwach sind meine Knie und können mich kaum halten. Unbeirrt jage ich weiter.
Der Weg führt vorbei an Schulräumen, in denen die Lehrer wie so oft die Stunden überziehen, auch komme ich an der Aula vorbei, in der für eine Konferenz zwischen den Schülervertretern und Lehrern bereits alles vorbereitet wird.

Als ich das Treppenhaus erreiche, das mich zum Erdgeschoss führen soll, spüre ich einen kalten Windzug an mir vorbeiziehen. Ich richte den Blick die Stufen heraus in den nächsten Stock. Bis auf eine verschlossene Tür, die auf das Dach des Gebäudes führt, ist dort aber nichts zu finden.

Neugierde packt mich, als ich einfallendes Licht erkenne, das nur von dieser Tür zum Dach stammen kann.
Ich hapere einen Moment mit mir selbst, da bereits die ersten Schüler auf die Flure treten.

Mir rennt die Zeit davon.

„Dann habe ich endlich einmal etwas zu bereuen", murmele ich und spreche mir indirekt Mut zu. Alle negativen Gedanken abschüttelnd, erklimme ich die letzten Stufen und trete vorsichtig durch die eiserne Tür, nachdem ich sie auf der linken Seite des obersten Flures erreicht habe. Dieser ist schmäler und um Längen kürzer. Es riecht nach Moder. Hier haben Schüler eigentlich nichts zu suchen.

Kaum setzte ich einen Fuß ins Freie begrüßt mich direkt eine kalte Brise verstärkt durch Regentropfen. Ich kneife die Augen zusammen und halte mir den Arm vor das Gesicht.

Wieso steht bei so einem schlechten Wetter die Tür zum Dach überhaupt offen? Bis auf die Rohre der Lüftungsanlage, ist an diesem Ort nichts zu finden. Gerade möchte ich mich wieder auf den Weg zurück machen — überall hin, nur raus aus dem Regen — erkenne ich eine kleine Gestalt, die sich hinter einer der Röhrenkonstruktionen versteckt hat.

„Taehyung?", frage ich einfach heraus und schenke ihm einen fraglichen Blick.

Was hat er hier zu suchen?

„Du bist ja völlig durchnässt", bemerke ich und gehe vor ihm in die Knie. Er sitzt, die Beine eng an den Oberkörper herangezogen, an das Hauptrohr der Konstruktion gelehnt, die einer futuristischen Achterbahn ähnelt. Das Metall ist teilweise von Rost überzogen. Der Regen prasselt laut.

Taehyung straft mich mit Schweigen. Stille. Bis auf den Regen redet keiner.

„A-alles in Ordnung" Ein Nicken ist seine einzige Antwort, nachdem ich den Kopf skeptisch zur Seite neige. Er ist ein Lügner. Seufzend setzte ich mich an seine Seite. Eine Armbreite trennt uns. Mir ist kalt.

„Seit dem wir uns das erste Mal gesehen habe, machst du immer auf stark und unbezwingbar. Wie schaust du denn aus, wenn du das nicht tust?"

Er zuckt mit den Schultern. Von der Seite aus erkenne ich seine glasigen Augen. Er muss geweint haben.

Du bist doch auch nur ein Mensch, Taehyung.

„Mein Freund hat mich betrogen und verlassen. Und ich kann nicht einmal um ihn kämpfen. Ich sitze hier." Der Ältere atmet brüchig ein und wieder aus. Diese Person muss ihn sehr stark verletzt haben.

„Aber was spielt das denn schon für eine Rolle? Ich kann ja doch nichts dagegen tun. Ich bin ohnmächtig."

Ich verziehe die Lippen zu einem Strich. An manchen Punkten mag er zwar recht haben, doch sollte ihm das nicht den Blick auf die Zukunft vernebeln.

„Wenn ich mich so fühle wie du gerade, denke ich an Dinge, die ich in ein paar Jahren erleben möchte", erzähle ich und lehne meinen Kopf an seine Schulter. Taehyung strahlt eine unmenschliche Wärme aus. Sie tut mir gut. Ich fühle mich zu ihr hingezogen.

„Und das wäre? Einmal nach Hawaii, oder was?"

Ein Kichern kann ich mir nicht verkneifen. Nach Hawaii wollte ich wirklich schon immer einmal reisen.

„Nein, nicht sowas." Wieder betrachte ich ihn, wieder schenkt er mir keine Regung in seinem Gesicht. Aber wenigstens spricht er.
„Ich möchte die Schule abschließen, auf dem Abschlussball mit jemandem tanzen und meinen Traumberuf finden. Reisen kann ich, wenn ich genügend Zeit habe."

Stille.

„Warum bist du vorhin so still geworden und bist ohne ein weiteres Wort gegangen, nachdem Yoongi und Jimin uns gefunden haben?"

Ich bringe wieder eine gewisse Distanz zwischen uns, nachdem Taehyung diese Frage an mich gerichtet hat. Kälte beginnt beinahe unverzüglich meinen Körper zu umhüllen. Wie ein Mantel für den tiefsten Winter. Doch anstatt mir Wärme und Geborgenheit zu spenden, wird mein Körper völlig starr.

„Jimin und Yoongis Verhalten haben mich an jemanden erinnert." Es schüttelt mich. Die Erinnerungen treffen mich und ich schließe reflexartig die Augen. Der Regen nimmt derweil ab, doch ist der Himmel noch immer wolkenverhangen. Die Pause hat schon längst geendet.

„Mir hat auch mal jemand so wehgetan wie dir", gestehe ich ihm.

Es tut bis heute weh. Die Worte, die Taten, einfach alles. Hätte ich das nur geahnt. Vielleicht würde ich jetzt in Frieden jeden Tag zur Schule gehen können, meinen Abschluss endlich in den Händen halten, mit einer besonderen Person auf dem Schulball tanzen.

„Das war mein erster Freund. Ich hatte nie gedacht, dass man sich so verlieben kann." Ich sehe sein Lächeln noch immer nachts vor mir— „Und dass man so blind dabei sein kann", und wie er mich verrät.

„Er hat allen von uns erzählt. Er war so stolz darauf schwul zu sein. Er hat keinen Hehl daraus gemacht. Das alles nur, um der gesamten Schule zu beweisen, dass ich es auch bin." Ich schlucke hart, die Sicht wird verschwommen.
„Erst als es alle wussten, hat er sein wahres Ich gezeigt."

Er ist der Grund, weshalb es diese Schüler auf mich abgesehen haben, weshalb sie ihre Komplexe an mir aus lassen. Es vergeht nicht ein Tag, an dem ich es nicht bereue, dieser Beziehung zugestimmt zu haben.

Wie oft habe ich nachts darum gebeten nie mehr die Augen öffnen zu müssen?

„Jungkook, und, was sagst du zu meinem wahren Ich?"

Overlooked | Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt