Wenn Engel fliegen pt.1

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Triggerwarnung: Erwähnung von Tod; Erbrechen (mit Sternchen markiert).

Jungkooks POV

Mein Problem ist nicht, dass ich weine. Zumindest ist es nicht mein Hauptproblem. Es ist seltsam, mich selbst in dieser so verletzlichen Position zu befinden, mich so ungeplant zu öffnen. Ich bin so überrascht von meinen eigenen Emotionen, dass ich fast lachen könnte, weil ich aus dem Nichts plötzlich völlig aufgelöst bin und schluchzend in Helens Armen liege. Irgendwie kam es über mich, als sie in den Raum gekommen ist. Diese Selbstverständlichkeit, als würde sie hierher gehören. In meine Wohnung und zu mir. Dass sie sich so gut zurechtfindet, als wäre sie hier zu Hause, als wären wir... Als wären wir ein Paar. Ein richtiges Paar, das wirklich und für immer zusammengehört. Diese Kleinigkeit, dieses alltägliche, muntere Plappern über das "sich zu Hause fühlen", während sie die beiden Tassen so vorsichtig wie möglich in ihren Händen trägt, um nichts zu verschütten, hat mich derart aus der Bahn geworfen, dass ich meine Gefühle und meine Tränen auf einmal gar nicht mehr im Griff hatte. Und das ist wirklich seltsam.

Es ist seltsam, aber ich fühle mich nicht direkt schlecht deswegen. Es ist sowieso verwunderlich, dass sie in all der Zeit, die wir schon miteinander verbracht haben, noch nicht Zeugin meiner eigenen Emotionalität wurde. Ich fühle mich sicher bei ihr. Geborgen. Verstanden. Und es ist leichter, weil Helen selbst unglaublich nah am Wasser gebaut ist. Auf der anderen Seite schmerzt es mich, dass mein Kummer ihr Kummer bereitet und dass sie selbst schniefend die Nase hochzieht, während sie mich besorgt anschaut. Dennoch ist es nicht so, als würde ich mich für meine Emotionen schämen. Sie sind echt und sie sind ehrlich und ich vertraue Helen. Sehr. Mein Problem ist also auch nicht, dass sie mich weinen sieht.

Mein Problem liegt vielmehr darin, dass ich niemals die Worte aussprechen wollte, die sie gerade zu hören bekommen hat.

"Ich will nicht, dass du gehst."

Ich hätte den Mund halten sollen. Ich hätte wirklich den Mund halten sollen. Denn ich weiß genau, wie Helen tickt. Es wird sie wahnsinnig machen, dass sie jetzt ganz offiziell weiß, dass ich unglücklich sein werde, wenn sie geht. Gäbe es einen Weg, alle Menschen in ihrem Leben zufrieden zu stellen, würde sie ihn gehen, wäre er auch noch so beschwerlich. Und ich weiß ganz genau, dass ich ihre Gefühlslage mit meinen Worten verschlimmert habe, weil sie jetzt nicht mehr so tun kann, als hätte ich nie den Wunsch geäußert, dass sie in Seoul bleiben soll. Bei mir.

"Jungkook.", flüstert sie und ich hasse es, wenn sie meinen Namen auf diese Weise sagt. Entschuldigend und verzweifelt. Weil sie mir nicht das geben kann, was ich will. Und ich hasse es noch viel mehr, dass ich nicht das bekommen kann, was ich will. Das, was ich brauche.

Ich bin so egoistisch, dass es kaum auszuhalten ist. Mir war nicht einmal bewusst, dass ich dieses Gefühl überhaupt in solchem Maße verspüren kann. Ich würde nahezu alles tun, damit sie mich nicht verlässt, wenn der Sommer kommt. Nicht für sie, für mich. Weil ich sie bei mir haben will. Weil ich mir nicht vorstellen kann, wie es ist, sie nicht mehr am Morgen in meinen Armen zu halten oder in ihren aufzuwachen. Weil ich nicht darauf verzichten kann, sie zu küssen, sie mit zärtlichen Worten und Gesten in Verlegenheit zu bringen und ihr zuzuhören, wenn sie übersprudelnd von ihrem Leben erzählt. Weil ich nicht möchte, dass dieses Glück endet. Mein Glück.

"Es tut mir leid, dass ich es ausgesprochen habe." Ich schlucke und bin froh, dass meine Tränen endlich versiegen. "Vergiss es einfach."

"Wie kann ich das einfach vergessen?", fragt sie. Ihre Unterlippe zittert und ich würde mir selbst am liebsten eine Backpfeife geben, dass ich sie in diese Situation gebracht habe. "Weißt du, wie schwer mir meine Entscheidung sowieso schon fällt?"

Willkommen in Seoul [BTS Fanfiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt