Angebot und Nachfrage

1.1K 62 106
                                    

Wenn ich mich vorher darüber beschwert habe, dass es in Seoul nie regnet, scheint mir die Stadt nach unserer Rückkehr genau das Gegenteil beweisen zu wollen. Es regnet in Strömen, schon seit wir vorgestern gelandet sind und es hat nach achtundvierzig Stunden auch noch immer nicht aufgehört.

Ich sitze in der Bahn, bin auf dem Weg zur Arbeit und höre Mono, Namjoons neues Mixtape, das gestern erschienen ist. Irgendwie passt die Musik perfekt zu meiner Stimmung und ich sehe dramatisch aus dem Fenster, auch wenn wir uns in Tunnelsystemen befinden und ich nichts als Dunkelheit erblicken kann.

Paris scheint mir Lichtjahre entfernt zu sein. Am nächsten Morgen hätte ich mich selbst ohrfeigen können, weil ich aufgewacht bin und halb über Jungkook lag, mein Bein um seine Hüfte geschlungen und meine Hand fest mit seiner verschränkt hatte. Ich lerne auch einfach nie dazu.

Ich habe geheult, weil Mia zurück nach Deutschland geflogen ist und mich gefreut, weil ich Hannah endlich wiedergesehen habe. Und dann waren wir mit einem Wimpernschlag schon wieder in Seoul und der Alltag hatte uns direkt wieder in seinen Fängen, während die Zeit in Deutschland und Paris wie ein Traum wirkt. Ein langer, wunderschöner Traum.

Mit hochgezogenen Schultern haste ich durch die Straßen zur ERIS Redaktion und seufze erleichtert auf, als mich die Wärme des Foyers empfängt. Ich werde nickend von allen Seiten begrüßt und schlängele mich direkt durch in Lee Haes Büro.

"Guten Morgen.", begrüßt sie mich und bedeutet mir mit einer Kopfbewegung, mich hinzusetzen. Ich ziehe meine tropfnasse Jacke aus und nehme Platz.

"Was habe ich verpasst?", frage ich erwartungsvoll. "Was steht an?"

"Motiviert wie immer.", sagt Lee Hae mit einem Lächeln, das ich sofort erwidere. Kaum zu glauben, dass wir zu Beginn ständig angeeckt sind und ich sie innerlich mehr als einmal verflucht habe.

"Es ist schön, wieder hier zu sein.", sage ich ehrlich. Ich mag meine Arbeit hier. Die Medien- und Unterhaltungsbranche hat mich schon immer begeistert und bietet einem viele Möglichkeiten, selbst kreativ zu werden.

"Hören Sie...", sagt Lee Hae langsam und ich werde hellhörig. Das klingt nicht gut. "Wir hatten in den zwei Wochen, die Sie in Deutschland verbracht haben, eine Vertretung für Sie hier und dabei ist mir etwas klargeworden."

"Bitte feuern Sie mich nicht!", platze ich heraus und blicke sie mit großen und vermutlich auch sehr verzweifelten Augen an. Sie kann mich nicht rauswerfen. Was soll ich denn dann tun? Ich merke, wie meine Hände ganz schwitzig werden. Wenn die Vertretung so gut war, dass Lee Hae sie direkt einstellen will, muss sie entweder ein Phänomen oder ich einfach grottig gewesen sein.

"Helen-ssi...", sagt sie und ich merke, dass mein Gesicht heiß wird und sich meine Kehle zuschnürt, weil sich Tränen anbahnen. Was mache ich denn dann?

"Helen-ssi, ich will Sie nicht feuern, keineswegs.", sagt Lee Hae und lächelt mich an. "Nachdem Sie weg waren, haben das Team und ich realisiert, wie sehr wir Ihre Arbeit schätzen. Ich will Ihnen ein Jobangebot machen."

"Was?" Ich höre sie nur wie durch Watte. Ein Jobangebot? Aber ich habe doch schon einen Job. "I-ich verstehe nicht."

"Ich biete Ihnen an, dass Sie hier anfangen können. Fest. Als Vollzeitkraft. Wir lassen Sie ausbilden.", erklärt Lee Hae und ich brauche eine Ewigkeit, um zu begreifen, was das bedeutet. Ich könnte in Seoul bleiben. Für immer.

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll." Mit weit aufgerissenen Augen und immer noch zittrigen Händen sitze ich vor ihr.

"Vielleicht erstmal gar nichts.", schlägt Lee Hae vor und ich muss lachen. "Ich weiß, dass dieses Angebot für Sie viele Veränderungen bedeuten würde und dass Sie eigentlich nur für ein Jahr hier in Südkorea bleiben wollen, aber es ist ein Angebot, das ich Ihnen mache, falls Sie aus irgendeinem Grund Ihre Meinung ändern sollten und doch bleiben."

Willkommen in Seoul [BTS Fanfiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt