Nach dem Regen kommt noch mehr Regen

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Hoseoks POV

"Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Weinflasche entkorke, wirklich nicht.", versichere ich den Zuschauerinnen und Zuschauern, während ich dem Stück Korken, das ich bereits erfolgreich abgebrochen habe, einen schnellen Seitenblick zuwerfe. "Ich weiß nicht, warum das jetzt gerade nicht so funktioniert, wie ich es haben möchte."

Seit guten fünf Minuten sitze ich jetzt schon mit meiner Weinflasche, dem Flaschenöffner und meinem Handy an dem großen Schreibtisch in meinem Hotelzimmer. In weniger als einer halben Stunde werde ich 26 Jahre alt. Oder 25, wie Helen extra betonen würde, die sich mit der Altersreglung in Südkorea noch nie anfreunden konnte. Wir befinden uns in Fukuoka und haben vor weniger als zwei Stunden unser letztes Konzert hier in Japan beendet. Es war ein herrliches Konzert, nicht zuletzt, weil die Jungs mich auf der Bühne beglückwünscht und die Fans ein verfrühtes Geburtstagsständchen für mich gesungen haben. Ich bin glücklich, durch und durch.

Allerdings wäre ich noch ein bisschen glücklicher, wenn ich endlich ein Glas Wein trinken und die Zuschauer des Livestreams auf der V-App offiziell begrüßen könnte. Bisher müssen sie sich bloß ansehen, wie ich mich verzweifelt mit meinem Wein abmühe. Ich drehe die silberne Spirale des Flaschenöffners noch ein bisschen tiefer in das weiche Material des Korkens - oder in das, was davon noch übrig geblieben ist - und ziehe ganz vorsichtig. Mit einem leisen Plopp gleitet der Korken endlich aus der Flasche und ich präsentiere mein Werk freudig den Zuschauern.

"Ich bin heute hier auf die V-App gekommen, um meinen Geburtstag zu feiern.", erkläre ich, während ich die rote Flüssigkeit vorsichtig in ein Glas gieße und die Flasche dann vorsichtig drehe, um keinen Tropfen zu vergeuden. "Ich habe sogar einen Kuchen."

Bereits auf dem Konzert habe ich die Ankündigung gemacht, heute Abend noch einen Livestream für die Fans zu machen. Irgendwie ist es nun doch später geworden als gedacht und ich habe noch nichtmal mehr eine ganze Stunde, bis die Uhr Mitternacht schlägt.

Ich beuge mich mit dem Gesicht etwas näher zum Bildschirm, um die Kommentare unter die Lupe zu nehmen, die in Sekundenschnelle an meinen Augen vorbeischießen und es kaum möglich machen, einen von ihnen richtig zu lesen. Meine Mundwinkel wandern in die Höhe, als ich die ganzen lieben Geburtstagsnachrichten sehe und ich wünschte, ich könnte sie alle verstehen.

Happy Birthday, j-hope.

Das verstehe ich. Das ist kein Problem. Und von diesen Kommentaren bekomme ich eine ganze Menge. Doch alles, was darüber hinausgeht und nicht auf Koreanisch ist, übersteigt meinen Sprachenhorizont. Ich seufze innerlich und beginne endlich ganz offiziell mein Geburtstagslivestream.

Es macht mich immer ein bisschen nervös, die Kamera anzumachen. Unwiderruflich geht eine Benachrichtigung hinaus in die Welt, dass ich, Jung Hoseok, jetzt in diesem Moment hier sitze und mit meinen Fans sprechen möchte. Vielleicht ist es die Tatsache, dass ich allein bin oder dass es so persönlich ist, die mich immer ein wenig kribbelig macht. Aber es fällt mir sicher hundertmal schwerer, einen Livestream zu starten, als auf der Bühne zu stehen.

Doch wenn ich erst einmal angefangen habe, geht es plötzlich immer ganz leicht und die Zeit verfliegt regelrecht. Mein Weinglas wird leerer und ich achte sorgfältig darauf, immer auch genug Wasser zu trinken, um nicht zu schnell beschwipst zu werden. Mittlerweile weiß vermutlich jeder Mensch auf der Welt, der es gerne wissen möchte, dass ich nicht nur einer Tomate gleiche, wenn ich mal ein Glas Wein trinke, sondern dass es auch erstaunlich schnell geht, dass der Alkohol durch meine Venen rauscht und mir gut und gerne mal zu Kopfe steigt.

Doch im Moment brauche ich das einfach ab und an. Ein Gläschen Wein, damit ich gut einschlafen kann. Damit ich aufhöre zu denken. Ich trinke nicht viel, nein. Nur genug, um meinen Kopf zum Schweigen zu bringen.

Willkommen in Seoul [BTS Fanfiction]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt