33: Die Wahrheit

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Newt griff mich am Unterarm und zog mich den Weg zu den Löchern entlang. Ich genoss seine warme Haut an meiner doch fröstelte kurz, als die kalten, nassen Grashalme gegen meine nackten Schienbeine strichen. Der Nebel hatte sich auf die Lichtung gelegt und ich konnte bereits die Sonnenstrahlen im Gesicht spüren, die sich langsam über die Mauern tasteten. Es würde ein heißer Tag werden - und ich musste im Loch sitzen und in der Hitze brutzeln. "Newt-" "Versuchs gar nicht erst. Regeln sind Regeln, Strafen sind Strafen. Wenn du Scheiße baust, musst du sie wieder ausbaden. Und da kann ich dir auch nicht helfen, wenn hier keine Meuterei ausbrechen soll", unterbrach mich Newt sofort mit seinen Belehrungen und ich seufzte schwer. Er hatte Recht. "Hüpf rein" Ich folgte Newts Blick in die dunkle Kuhle hinab und spürte, wie sich alles in mich sträubte. Es war dunkel und nass - kleine Pfützen hatten sich gebildet. "Jetzt sonst muss ich dich reinschmeißen", sagte Newt neben mir und ich grinste. "So wie am ersten Tag?" "So wie am ersten Tag", bestätigte der zweite Anführer mit einem ebenso breiten Schmunzeln. Wir erinnerten uns Beide an meine Flucht, als ich aus der Box gekommen war. Newt hatte mich danach in die Löcher gebracht und grob hinein geschubst, bevor er mich auf Albys Anweisung hin wieder zu einem Ratstreffen geholt hatte. Um den Stoß vom zweiten Anführer nicht zu provozieren, lies ich mich langsam nieder und sprang in die schwarze Kuhle hinein. "Newt-" "Nein- du bekommst kein Essen. Du hast eh schon Glück, dass dir nichts Schlimmeres aufgedrückt wurde. Jetzt verhalt dich zumindest für diesen Tag wie ein normales Mädchen", unterbrach er mich erneut und ich runzelte die Stirn, während er die Seile verknotete, die mich hier drin einsperrten. "Ein normales Mädchen?" "Du weißt schon- diese Wesen, die sich über ihre Haare beschweren und meckern, wenn ihre Nägel abbrechen" Er grinste mir frech zu und ich schüttelte belustigt den Kopf. "Mädchen, die nicht versuchen, hier auszubrechen", fügte der zweite Anführer jetzt hinzu und ertappt schmunzelte ich. Er hatte genau gewusst, was ich vorhatte. "Bis Sonnenuntergang meine Hübsche" Mein Herz machte einen Satz, als Newt sich verabschiedete und aus meinem Sichtfeld verschwand. "Meine Hübsche?", fragte ich leise und musste lächeln, während ich mich auf dem kühlen Erdboden sinken lies. Ich liebte es, wenn er mich so nannte. Irgendetwas anderes als Frischling oder Y/n. Tief seufzte ich, während mein Blick über die trostlosen Erdwälle wanderte. Nichts, womit ich mich beschäftigen konnte. Alle meine Freunde arbeiteten und im Endeffekt würde es mir nichts nützen, auszubrechen. Bestimmt würde irgendjemand abchecken, ob ich noch brav im Loch meine Strafe absaß. Und wenn ich dann nicht da wäre, würde mich etwas Schlimmeres heimsuchen als ein Tag im Loch ohne Essen. Das würde ein langer Tag werden.

Ich wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war, doch an irgendeinem Punkt war ich eingeschlafen. Jetzt weckten mich laute Rufe und ich öffnete langsam die Augen. Die Sonne stand tief, bestimmt waren es nur noch ein paar Minuten bis sie hinter den Mauern verschwand und die Dämmerung Einzug auf die Lichtung hielt. Dann endlich würde ich wieder frei sein und - essen dürfen. Ich spürte meinen Bauch knurren und seufzte. Mein Mund war trocken und Schweiß stand mir auf der Stirn. Der Tag war heiß und noch heißer ohne Wasser. Langsam erhob ich mich mit knackenden Gliedern und streckte mich erst einmal ausgiebig, bevor ich gähnend an den Gitterstäben stand und nach draußen blickte. Auf der Lichtung herrschte geschäftigtes Treiben. Die Hackenhauer banden in weiter Ferne etwas an den Weinreben, die Schlitzer waren mit Kühen auf der Weide und ein leckerer Duft nach geröstetem Fleisch wehte mir um die Nase. Die Köche arbeiteten also auch schon. Mein Blick wanderte weiter zu den Schuppen der Baumeister und verweilte dort. Gallys Handlanger eilten beschäftigt auf der großen Holzplattform umher und ihre Hammerschläge drangen bis hier rüber. Doch ihr Hüter war nirgends zu entdecken. Wo steckte er bloß? Wahrscheinlich heckte er einen neuen Plan aus, um mich loszuwerden. Warum nur hasste er mich so sehr? Das einzige Mal, in dem wir ein Missverständnis gehabt hatten, war an meinem ersten Tag auf der Lichtung gewesen. Er hatte mich ständig bemängelt, bis ich mich dagegen gewehrt hatte. Und das war der Punkt gewesen, an dem alles aus dem Ruder gelaufen war. Die Blicke, die Manipulation, die Angriffe seiner Leute und die Folter im Wald. Er hasste mich und machte es mir nicht leicht, auf der Lichtung angenommen zu werden. Er selbst war Teil von ihr und die Jungs hier mochten ihn - mehr als mich, weil sie ihn schon länger kannten. Manche schon seit drei Jahren. "Na wie gehts denn unserer Gefangenen?" Wenn man vom Teufel sprach- Ich blinzelte hinauf in Gallys vor Genugtuung verzogenes Gesicht. "Gut", antwortete ich simpel und trat einen Schritt zurück, als er vor dem Gitter in die Hocke ging. "Was tust du hier, Gally?", wollte ich wissen und blickte ihn kalt an. "Kontrollieren ob dich deine kleinen Freunde rausgelassen haben oder du noch deine verdiente Strafe absitzt", antwortete er mit einem ernsten Blick und ich schnaubte. "Verdiente Strafe? Ich hab mich gewehrt, das ist alles!" "Gewehrt? Du hast ihn verprügelt", antwortete der Hüter und innerlich wollte ich aufschreien, als er sich vor dem Gatter bequem niederließ. Er sollte sich verziehen und mich in Ruhe auf Sonnenuntergang warten lassen - nicht mit mir über meine Strafe diskutieren. "Schon schwach das er sich von einem Mädchen verprügeln lässt", änderte ich mit einem leises Grinsen meine Taktik und sah mit Genugtuung, wie seine Hände sich zu Fäusten ballten. Gally antwortete mir nicht und ich lies mich langsam wieder auf den Erdboden sinken. Schweiß perlte von meiner Stirn und ich seufzte lautlos. Hier drinnen war es stickig und die Hitze wurde von allen Seiten widergestrahlt. "Weist du, ich will gar keinen Ärger", sprach ich leise und starrte auf den Boden vor mir. Die Pfützen waren schon längst getrocknet und hatten nichts außer eine kleine Schlammkuhle hinterlassen. "Ist mir egal. Ich will auch vieles", antwortete Gally über mir und ich rollte mit den Augen. "Zum Beispiel mich loswerden" "Oh ja. Zum Beispiel" Meine Bemerkung war sarkastisch gemeint gewesen, doch sie war ernst genommen worden. Und jetzt wusste ich genau, das er mich loswerden wollte. Er hatte es gerade selbst bestätigt - nur hatte ich keine Zeugen. Und er wusste das, sonst hätte er es nicht zugegeben. "Und ich hab schon so viel versucht - aber jedes einzelne Mal scheitert es. Egal was ich tue, egal, wen ich schicke - du schaffst es ja doch, dich immer irgendwie aus der Situation zu retten" Ich lauschte aufmerksam und zwang mich dazu, nicht wütend aufzufahren. Ich bekam gerade wichtige Informationen mitgeteilt, die alle meine Befürchtungen bestätigten. Wenn ich sie jetzt unterbrach, schaufelte ich mir mein eigenes Grab. "Aber glaub mir Frischling - ich werde dich loswerden und wenn es das Letzte ist, was ich tue" Ich blickte nicht auf, als Gally sich erhob. Stattdessen lauschte ich seinen Schritten, die sich langsam entfernten und schließlich im Geräuschtumult der Lichtung untergingen. Das war seine offizielle Kriegserklärung gewesen und wen er es so wollte, dann würde ich nicht weichen. Ich musste nun immer bereit sein für Angriffe aus allen Richtungen, von jeder Person, zu jeder Zeit. Ungeduldig wippte ich mit dem Fuß, wartend auf den Sonnenuntergang. Die Sonne schien es heute besonders wenig eilig zu haben, noch erleuchteten ihre hellen, goldenen Strahlen die Lichtung. Nachdenklich erhob ich mich erneut und blickte weit hinaus über die Wiesen, als plötzlich eine laute Glocke herüber schallte. Jetzt war Essenszeit. In genau der Sekunde, in der ich bereits ungeduldig werden wollte, verschwanden die letzten Strahlen der Sonne hinter den Mauern und eine rötliche Dämmerung hielt Einzug auf die Lichtung. Jetzt müsste bald jemand kommen. Ich krallte mich an das Gitter und blickte erwartungsvoll hinaus. Die Lichter strömten aus allen Richtungen zum Essensplatz, niemand bog zu den Löchern ab. Stirnrunzelnd beobachtete ich noch weiter das Geschehen. Ihre lauten fröhlichen Stimmen drangen zu mir herüber und das Besteck klapperte. Ein entfernter Geruch von gebratenem Fleisch und Zwiebeln wehte mir flüchtig um die Nase und ich spürte meinen Bauch knurren. Das konnte doch wohl nicht war sein - nicht einmal Chuck tauchte auf. Ich bezweifelte aber auch, dass er von meinem Tag im Loch wusste- schließlich war das gestern eine geschlossene Versammlung gewesen. Unwichtige Positionen hatte ich nicht auf den Bänken entdeckt. Ungeduldig wippte ich mit den Füßen und wusste- wenn ich jetzt nicht hier raus kam, dann würde das morgige Frühstück meine erste Mahlzeit sein. Nichts da. Nach einem letzten umsichtigen Blick bückte ich mich und lies meine Hand in meinen Schuh gleiten. Irgendwo musste doch- "Ah- hier!" Freudig zog ich den kleinen Dolch aus der Sohle und grinste. Auf Newts Ausrüstung war Verlass. Ich hatte ihn oft abends beobachtet, wie er seine kleinen Messer und Dolche in den kuriosesten Dingen verschwinden lies. Einmal hatte er einen Dolch in das Futter einer Jacke eingenäht oder die Sohle meiner Schuhe aufgerissen, um ein Messer reinzulegen. Jener Schuh, den ich vorsichtshalber heute morgen angezogen hatte. Ich richtete mich wieder auf und schob die Arme durch die Gitterstäbe. Ich brach keine Regel und entfloh auch nicht meiner Strafe. Ich wurde schlicht und einfach vergessen und musste mir nun selbst helfen. Die Sonne war untergegangen und es war mein gutes Recht, jetzt frei herumlaufen zu dürfen. Die Seile waren dicker und widerspenstiger, als ich erwartet hatte - doch Newts Dolche waren geschliffen. Und zwar so scharf, dass sie ein Blatt Papier wie Butter schneiden konnten. Ich rollte mit den Augen, als ich an die zahlreichen Abende in der Hütte dachte. Spätabends, als der Mond schon hoch am Himmelszelt stand und sein silbriges Licht auf die Wiesen draußen warf, saß Newt mit einer Kerze am Tisch und schliff leise seine Messer und Dolche. Man sollte meinen, dass irgendwann Alle scharf waren. Fest umklammerte ich die Seile und lies die Klinge durch die Luft sausen. Mit einem leisen 'Ritsch' fielen die dicken Taue durchtrennt zu Boden. "Haha!" Triumphierend steckte ich den Dolch zurück in die Hose und klappte das Gitter auf, bevor ich mich keuchend die hohe Erdwand hinaufzog. Das hier war echt anstrengend - und nun waren meine ganzen Klamotten staubig. Augenrollend klopfte ich mir einmal übers Tshirt, fuhr mir durch die Haare und leckte mir über die trockenen Lippen, während ich mich auf den Weg zu den Planen machte. Als ich den Essensplatz erreichte, blickte ich mich in den kauenden Lichtern um. Schließlich entdeckte ich Newt und Chuck nebeneinander und lief durch die Tischreihen auf sie zu. Newts Blick erfasste mich beinahe sofort und überrascht hob er den Kopf. "Rutsch mal", forderte ich und zog Chuck leicht an den Locken. Mampfend nickte er und zog seinen Teller mit sich, als er ein Stück von Newt wegrutschte. Zufrieden lies ich mich auf den freien Platz fallen und griff beherzt nach Teller und Essen. Ich hatte bereits angefangen, mir das Fleisch in den Mund zu stopfen, als ich einen Blick bemerkte. Newt blickte mich an, als erwartete er eine Erklärung. "Du hast mich im Loch gelassen also musste ich selbst rauskommen", erklärte ich nach dem Runterschlucken und stopfte mir bereits das nächste Stück Fleisch in den Mund. "Wie...?" "Mick dem Meffer", kaute ich als Antwort, doch sein Gesicht verzog sich nur noch mehr in Verwirrung. "Aus der Sohle" "Du hast- Mädchen! Das Messer- du- das ist für absolute Notfälle!", antwortete Newt perplex mit gesenkter Stimme. Ich runzelte die Stirn und schluckte mein Essen. "Das war ein absoluter Notfall!" "Nein war es nicht! Ein Notfall ist sowas wie'n Angriff oder ein Kampf um Leben und Tod!", widersprach mir der hübsche Junge und ich rollte mit den Augen. "Das war ein Kampf um Leben und Tod! Ich war kurz vor dem Verhungern!" "Schluss mit Diskutieren. Das Messer wird nur in Notfällen benutzt", beendete Newt unser Gespräch und wandte sich wieder seinem halb vollen Teller zu.
Ich zuckte mit den Schultern und machte mich daran, meinen Teller ebenfalls zu leeren. Nach meiner dritten Portion fühlte ich mich satt und müde. Gähnend streckte ich meine Arme und erhob mich von der Bank. Kaum hatte ich mich herum gedreht um zu Newts Hütte zu laufen- als plötzlich eine Stimme hinter mir erklang. "Abend Frischling" "Hey Winston", antwortete ich etwas müde, als mein Hüter hinter mich trat und freundlich anlächelte. "Morgen gehts auf die Weide mit den Jungtieren-" "Mit den ganz Kleinen?", unterbrach ich ihn und er nickte. "Aber Frischling-"
"Sie heißt Y/n", unterbrach Newt hinter mir meinen Hüter und ich riss den Kopf herum. Mahnend funkelte ich den zweiten Anführer an. "Echt? Du weißt deinen Namen wieder?", fragte Winston hinter mir wieder komplett aus dem Kontext gerissen und starrte mich an.
"Y/n", antwortete ich simpel und wartete auf eine Reaktion. "Hübscher Name für ein hübsches Mädchen" Ein Arm legte sich um meine Taille und wirbelte mich kurz einmal im Kreis, während mich ein bekannter Geruch einhüllte. Minho lies mich los und warf mir ein breites Grinsen zu. "Danke Minho ich-"
"Fömer Mame? Wer hat eimem fömem Mamem? Iff?", nuschelte nun Chuck mit vollem Mund hinter mir und verwirrt blickte er von seinem voll beladenen Teller auf. "Der Frischling. Sie heißt Y/n", antwortete Winston ihm sofort und plötzlich drehten sich immer mehr Köpfe in unsere Richtung. Spätestens jetzt wusste die ganze Lichtung was hier gerade geschah und sofort entstand ein unschönes Tuscheln. "Hey Y/n!", rief nun jemand aus der Menge und ich zog peinlich berührt den Kopf ein. Immer mehr Rufe nach mir erklangen und ich presste mir die Hände auf die Ohren, als es zu einem ohrenbetäubenden Gekreische und Gejohle anschwoll. "KLAPPE", brüllte Newt nun über den allgemeinen Trubel und augenblicklich kehrte Totenstille ein. Ich war noch immer überrascht von dem Respekt, den die Lichter ihrem zweiten Anführer entgegen brachten. Nun erhob Alby sich und seine Stimme und der gesamte Aufmerksamkeitspol lag nun auf ihm. "Y/n ist jetzt offiziell Teil der Lichtung. Ihr werdet sie genauso empfangen und willkommen heißen wie euch selbst auch"

Verborgen im SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt