Kapitel 10

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Wie jeden Morgen stand Aine vor dem Spiegel und betrachtete sich, während draußen vor dem Fenster der letzte Schnee einem sanften Frühling platz gemacht hatte. Zarte Blümchen, die die erste Farbe auf die Welt zeichneten. Knospen, die sich öffneten und die Bäume Stück für Stück aus ihrem Winterschlaf erwachen ließen. Und wie die Welt begann auch Aine langsam die dunkle Zeit hinter sich zu lassen. Eine Zeit, die gefüllt war mit dem allgegenwärtigen Gefühl des Verlustes. Aine wollte dem Neuanfang eine ehrliche Chance geben, denn ihre Mutter hätte niemals gewollt das sie bis in alle Ewigkeit Trübsinn blies. Sie hätte gewollt, das ihre Tochter glücklich war und es war der Frühling der Aine daran erinnerte. Es änderte nichts an ihrem Plan. Aine wollte noch immer ihre Mutter zurückholen, doch es gab ihr Frieden. Jetzt gönnte sie es sich wieder einfach den Abend fern zu schauen. Serien durchzusuchten. Wie es wohl jeder andere junge Erwachsene in ihrem Leben tat. Mit einem gewaltigen Unterschied. Sie war eine Hexe mit einem eigenartigen Mahl auf ihrem Oberarm. Eines das sie nachdenklich im Spiegel betrachtete. Gefühlt zum tausendsten Mal fragte sie sich, ob sie es nicht doch noch Lexa zeigen sollte, während sie leicht ihren Oberkörper drehte um es besser sehen zu können. Sie wusste selbst nicht warum sie es Lexa nicht gezeigt hatte. Vielleicht, weil sie Angst hatte das es etwas gefährliches war. Oder aber, weil sie diesen Abend mit diesem Fremden zu ihrem kleinen Geheimnis erklärt hatte. Was auch immer der wirkliche Grund war. Fakt war, das sie sich bewusst ein Tshirt statt einem Tanktop anzog, damit Lexa es nicht sehen würde. Erst dann wandte sie sich ab und lief die Treppen hinab. Noch immer lag der Geruch des frisch gebrühten Kaffees in der Luft. Das Frühstück war längst vorbei und trotzdem hörte Aine wie neuer Kaffee vom Filter Tropfen für Tropfen in die Kanne floss. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen, als sie ins Wohnzimmer trat und die Ältere bereits mit verschränkten Armen auf dem Sessel saß. „So viel Kaffee ist wirklich ungesund Lexa." Begrüßte Aine ihre Meisterin. Die Blonde blickte auf und verzog grimmig den Mund. „Wie oft willst du mir das noch sagen? Ist doch besser als wenn alles nach Rauch stinkt. Außerdem läuft grad der Entkoffeinierte durch." Aine blieb verblüfft stehen ehe sie glücklich strahlte. „Du probierst ihn also wirklich?" Aine hatte ihn im Tchibo entdeckt und Lexa einfach ein Päckchen mitgebracht. Sie hatte nicht vor ihre Meisterin an einen Herzinfarkt zu verlieren. „Ja. Ich probiere ihn. Damit du endlich aufhörst mir mit diesem Thema in den Ohren zu liegen." Lexa klang verschlossen, doch Aine kannte die Ältere nun besser. Obwohl Lexa scheinbar kein Interesse an Aine zeigte, hatten sie jetzt einen Internetanschluss. Sie zahlte Aines komplette Versorgung und die einzige Bedingung, die sie gestellt hatte war, das Aine sich ihr Taschengeld in der Bar verdienen sollte. Dafür war Aine ihr dankbar. Sehr sogar. Aine wusste auch, das sie ohne Lexa nicht gelernt hätte die Bilder ihrer Vergangenheit zu ertragen. Vermutlich würde sie nichtmal mehr Leben. Und so sah sie zu der grimmigen Hexe in deren Augen sich ein Leuchten verbarg, ehe diese aufstand. „Dann probieren wir mal deinen Kaffee. Bau schonmal auf." Aine nickte und machte sich sofort ans Werk. Sie holte den Eimer und füllte ihn mit Wasser ehe sie eine Kerze auf den Boden sinken ließ und alles auf den Tisch stellte. Sie war gerade fertig als die Ältere mit ihrer Tasse bewaffnet zurück ins Wohnzimmer kehrte. Sofort sah Aine auf. „Uuund wie ist er?" Fragte sie neugierig, während Lexa einen Schluck nahm und sich wieder setzte. Kurz ließ Lexa Aine einfach herumstehen, ehe sich doch ein Lächeln auf das Gesicht der alten Hexe verirrte. „Gar nicht übel. Besser als ich dachte." „Siehst du ich habs dir gesagt! Und das ist viel gesünder!" Antwortete Aine sofort und Lexa verdrehte einfach nur die Augen. „Jaja und jetzt los. Fang schon an. Du hast es fast." Aine verzog kurz ihren Mund. Sie wusste das Lexa niemals richtig zugab wenn jemand anderes Recht hatte, doch diesen Sieg hätte sie Aine ruhig schenken können. Doch es half nichts. Also blickte Aine hinein in den Eimer und sammelte sich. Sie konnte jetzt nichts gebrauchen, das sie ablenkte. Sie brauchte ihre gesamte Konzentration. Kurz schloss sie die Augen und atmete ein paar mal tief ein und aus ehe sie ihre Augen endlich öffnete und die Lunte betrachtete. Doch innerlich dachte sie nicht einmal an die Lunte und schon gar nicht an Gefühle. Sie wollte ihre Macht endlich ohne rufen und so kehrte sich ihre Aufmerksamkeit auf ihr Innerstes. An eine Stelle an der ungefähr auch ihr Herz lag. Sie versuchte sich die Wärme vorzustellen, die sich von dort aus in ihr ausbreitete. „Lass es schwingen." Hörte sie Lexas ruhige Stimme. Lass es schwingen. Lass es fließen. Aine stellte sich vor wie ein Feuer in ihrem Herzen glühte das Wärme durch ihre Adern pumpte. Das dem Blute so ähnlich durch sie hindurchfloss und sich bis in ihre Fingerspitzen ausbreitete. Pulsierend und kräftig. Und dann spürte sie es tatsächlich. Wie die Wärme erschien, die sie suchte und wie sie einem Tsunami gleich durch ihr Innerstes wütete. „STOP!" Sofort riss Aine die Augen auf und erst jetzt hörte sie das Klirren der Fensterscheiben. Sie atmete erschöpft als wäre sie gerade gesprintet. „Lexa... Ich weiß nicht ob ich das wirklich hinkriege.. Es schaltet so schnell um..." Begann Aine zögerlich als Lexa einfach aufstand. Ihre Augen weiteten sich. „Nein bitte noch kein Ende!" Sagte sie sofort als Lexa vor ihr stehen blieb und ihre Hände auf Aines Schultern legte, ehe sie in die Hocke ging um mit Aine Aug in Aug zu sein. „Schließ deine Augen." Verwirrt starrte Aine ihre Meisterin an, ehe Lexas Augenbraue zuckte und so folgte Aine der Anweisung. Schloss wieder ihre grünen Augen und kehrte zu ihrem Inneren zurück. „Ok. Folge einfach dem Klang. Versuch es zu fühlen wie du die Klänge fühlst und wenn das Lied stoppt öffnest du die Augen." „Lied?" Fragte Aine verwirrt und öffnete noch einmal die Augen doch ein strenger Blick erwartete sie. Sofort schloss sie ihre Augen wieder. Dann hörte sie es das erste mal. Hörte wie Lexa begann sanft zu singen, als hätte sie nie etwas anderes gemacht auf einer Sprache die Aine noch nie gehört hatte und die sie doch an Italienisch erinnerte. War das Latein? Aine schaffte es nicht im Geringsten auf ihr Innerstes zu achten. Sie war zu gebannt von dem was sie hörte und noch nie gehört hatte. Kaum das sie es hörte, wünschte sie sich es würde nicht enden. Den entgegen Lexas harter Schale schwang etwas warmes in ihrer Singstimme. Etwas das Aine an ihre Mutter erinnerte und an die vielen Frühstücke, die sie geteilt hatten. Allein dieser Gedanke reichte und schon spürte Aine die Wärme in ihrem Inneren. Doch kaum das sie es spürte kehrte ihre Aufmerksamkeit zu dem Lied zurück. Es schien als wiederholte Lexa es mit endloser Geduld und Aine gönnte es sich einfach darauf zu hören, während sie die Wärme in ihrem Inneren zuließ. Einfach fließen ließ. Es war als atmete ihr Körper durch und füllte eine Leere, die ihr davor niemals klar gewesen war. Geborgenheit löste das Lied aus und Geborgenheit löste diese Wärme aus. Dann plötzlich hörte Lexa einfach mit dem Singen auf. „Stopp!" Erklang Lexas strenger Befehl schlagartig und es war dieses Stopp das all die Wärme und Geborgenheit wegbließ. Fort von Aine und sofort sehnte sie sich wieder danach. Sie öffnete ihre Augen nur um in Lexas hineinzublicken und erst jetzt wurde ihr klar, das sie weinte. Lexas Hände lösten sich von Aines Schulter und die Ältere stand auf um Aine ein Taschentuch zu holen und es ihr in die Hand zu drücken. „Du hast es also gespürt." Erkannte Lexa. Während Aine den Kloß in ihrem Hals versuchte herunterzuschlucken. „Was war das?" Fragte sie während sie das Taschentuch endlich nutzte und ihre Tränen fortwischte. „Das war das echte Gefühl Magie zu rufen. Es ist ein Gefühl von tiefer Sicherheit und Wärme. Tröstend, belebend, wärmend, sanft. Bis jetzt kanntest du nur die Magie die deine Gefühle riefen. Jetzt kennst du die Gefühle die deine Magie rief. Das war nicht der heiße Ausbruch, der dich droht von ihnen heraus zu verbrennen. Das war Magie, wie sie in Wirklichkeit ist." Aine musste kurz die Augen schließen um das Gefühl nicht zu vergessen. Um es noch einmal zu spüren. „Es ist so... wunderschön." Erkannte Aine noch immer gerührt. Sie war noch immer auf sich selbst und ihr Innerstes fokussiert, weshalb sie nur in den Augenwinkeln etwas fernes in Lexas Blick wahrnahm. „Ja das ist es." War alles was Lexa dazu zu sagen hatte. „Bitte Lexa. Können wir das noch einmal machen!" Aine blickte auf und es erwartete sie ein trauriger Blick. „Werden wir, aber du wirst es nicht so schnell noch einmal spüren." „Was warum?" Fragte Aine fassungslos und kurz blickte Lexa fort. Hinaus aus dem Fenster. „Weil du es jetzt erwartest. Weil du es suchst. Doch man kann es nicht suchen. Es kommt wenn man es nicht sucht sondern fühlt. Deine Erwartung steht dir jetzt eine Weile im Weg. Aber jetzt bist du bereit." „Bereit?" Fragte Aine verwirrt. „Für die Kerze?" Etwas amüsiertes huschte über Lexas Gesicht ehe sie ihre Schülerin wieder musterte. „Nein, die Hexensprache." Schlagartig wurden Aines Augen riesig. Lexa hatte es schon einmal angedeutet, doch Aine hatte es in all der Zeit vergessen. „Heißt das du lehrst sie mich jetzt?" Ein Zittern jagte vor Anspannung durch ihren Körper und Lexa schenkte ihr tatsächlich noch ein Lächeln. „Ja. Ich lehre sie dich jetzt. Wir werden ab jetzt beides machen. Erst Magie und dann Hexensprache. Doch es gibt eine wichtige Regel." Sofort seufzte Aine. Wieso gab es überall Regeln? „Und welche?" „Du wirst die Hexensprache nicht laut sprechen, wenn du die Wärme fühlst. Egal wie schwach die Wärme auch sein mag." „Sonst zaubere ich?" Lexa nickte. „Genau, sonst zauberst du."

Slomanyye I - The Last WitchWo Geschichten leben. Entdecke jetzt