TRIGGERWARNUNG: Spielsucht
Ich möchte euch meine Geschichte erzählen.
Ich war 15, als ich anfing, mit meinem gefälschten Personalausweis, den mir mein bester Kumpel Klaus besorgt hatte, die kleinen Rubbellose zu kaufen. Jede Woche, immer mittwochs nach dem Nachmittagsunterricht, kaufte ich mir ein Los. Manchmal gewann ich zwei Euro, aber meistens verlor ich. Und die 1,3 Millionen gewann ich nie.
Mit 16 kam ich in eine höhere Klassenstufe, ich besuchte das Gymnasium. Der Stundenplan änderte sich und in den jetzt zwei wöchentlichen Mittagspausen ging ich zum Bäcker, kaufte mir mein Mittagessen und ein Los dazu. Irgendwann kannte man mich und ich bekam die Los-Urne schon zugeschoben, ohne dass ich noch etwas sagen musste. Einmal kontrollierte ein neu eingestellter, ambitionierter Azubi meinen Ausweis. Durch meinen schon leicht vorhandenen Bartwuchs sah ich älter aus und hielt dem prüfenden Blick des Azubis stand.
Mit 18 Jahren war ich bereits dazu über gegangen, Losscheine auszufüllen und am ganz großen Gewinnspiel teilzunehmen. Der Kick, den mir das Ausfüllen der Felder gab, trieb mich dazu an, dreimal die Woche einen Lottoschein zu kaufen und auf das ganz große Glück zu hoffen. Mein gesamtes Taschengeld ging für dieses kleine Hobby drauf.
Mit 20 hatte ich meinen Schulabschluss in der Tasche, war ausgezogen und hatte eine Ausbildung in der Lakiererei unserer Kleinstadt begonnen. Jeden Tag der Woche ging ich Lotto spielen. Aber dann gewann ich 8.000 Euro und schwebte auf Wolke 7. Das war, was ich erreichen wollte, das war das große Ziel. Ich holte mir das Geld ab und kaufte mir damit die nächsten fünf Lose. Ich zahlte die Miete der letzten drei Monate nach und die Raten für mein Auto damit ab. Den Rest legte ich zurück, nur um ihn in den nächsten Wochen in Lottoscheinen anzulegen. Aber der Gewinn kam erst einmal nicht mehr.Ich zog zu meiner Freundin in eine andere Stadt. Ich weigerte mich, mein tägliches, kostenspieliges Glücksspiel als eine Sucht oder Krankheit anzusehen und verschwieg ihr, dass ich aus diesem Grund mein Auto nicht mehr halten konnte. Ich sagte ich nur, dass ich es aufgrund der günstigen, zentralen Lage der Wohnung in der Stadt nicht mehr brauchte. Der Verkaufsgewinn des Autos floss nach und nach wiederum in die Finanzierung der Lose.
Mit Anfang 20 zog ich mit Freunden nach dem Club durch die Stadt und kam an einem Casino-Schaufenster vorbei. Die einladenden Plakate wirkten mythisch und verheißungsvoll und gleichzeitig verboten, wie eine besondere Süßigkeit oder eine Frucht. Exotisch. Ich ging an diesem Abend ins Bett und konnte nur noch daran denken, wie ich das Casino betreten, am Pokertisch sitzen und gewinnen und gewinnen würde. Ich konnte an nichts anderes mehr denken.
Am darauffolgenden Tag fuhr ich in die Innenstadt und ging in dieses Casino. Ich setzte mich an den Pokertisch und spielte. Ich weiß nicht mehr, wie lange, aber es war bereits dunkel, als ich wieder an die frische Luft kam. Ich hatte um die 10.000 Euro gewonnen und war Feuer und Flamme. Statt Lotto zu spielen, ging ich ab diesem Zeitpunkt so oft ich konnte ins Casino. Schaffte ich es an einem Tag nicht, drehten sich all meine Gedanken nur noch um das Spielen. Ich fing an, zu rauchen, um den Stress, nicht spielen zu können, im Zaum zu halten. Kurze Zeit später probierte ich im Freundeskreis das erste Mal Weed. Dieses euphorische Gefühl des Highs war so berauschend, dass ich anfing, vor dem Gang ins Casino zu kiffen. Täglich. Rückblickend muss ich sagen, dass ich in diesem Moment hätte bemerken müssen, dass irgendetwas schief läuft. Glücksspiel und Drogen sind nie besonders förderlich. Nicht in der Kombi und vor allem nicht jeden Tag.
Mit 23 verlor ich meine Anstellung, nachdem ich nach meinem Ausbildungsabschluss von der Lackiererei übernommen worden war, weil ich mich auch zu diesem Zeitpunkt auch während der Arbeitszeiten, im Alltag, von meinem Marihuana abhängig machte. Statt eine Zigarette in der Pause zu rauchen zog ich an meinem Joint. Aufträge erschienen mir schier unmöglich zu bewältigen, sobald ich nicht high war. Irgendwann kam das raus, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, wie. Ob mich jemand beim Chef verpfiff oder ob er selbst es mir an meiner fahrlässigen, schlampigen Arbeit ansehen konnte. Ich flog raus. Ich ging weiterhin ins Casino und verschleuderte den mir noch ausgezahlten, letzten Lohn.
Meine Freundin, der ich verschwieg, dass ich meinen Job verloren hatte und die Arbeitszeit jetzt im Casino verbrachte, und ich mussten in eine kleinere, günstigere und weniger zentral gelegene Wohnung ziehen, weil wir die Miete nicht mehr bezahlen konnten. Ich verschwieg ihr auch den Grund meines Geldmangels und log mich heraus. Mir ist nicht mehr präsent, wie ich mich herausschwindelte, welche Lüge ich ihr auftischte.
Wenige Zeit später hatte ich kein Geld mehr. Ich wurde aus dem Casino herausgeworfen, weil ich nicht mehr zahlen konnte. Großes Geld hatte ich schon lange nicht mehr gewonnen. Ich fing an, Geld zu leihen. Meinen Freunden erzählte ich, dass der Job momentan nicht so viel Geld abwerfe und ich meiner Freundin einen schönen Urlaub gönnen wollte. Als ich anfing, meine Freundin um Geld anzupumpen, traf sie die einzig richtige Entscheidung und beendete unsere Beziehung. Ich wurde aus der Wohnung herausgeworfen und landete auf der Straße.
Und jetzt bin ich hier. Auf der Straße. Ohne windsicheres, wasserfestes Dach über dem Kopf. Mit einem Schlafsack, der mich nicht in den kältesten Nächsten wärmen kann. Ich schlafe auf Karton als Matratze und esse, was ich im Müll finde oder was ich mir von dem Erbettelten kaufen kann. Ich habe Hausverbot im Casino, sodass ich das, was mir übrigbleibt, wieder in das Lottospielen investiere. Ich schaffe es nicht, davon wegzukommen. Meine Freunde haben sich von mir abgewandt, ihnen schulde ich fünfstellige Geldbeträge. Meine Eltern wissen nicht, was mit mir passiert ist. Ich schäme mich zu sehr, um Kontakt zu ihnen aufzunehmen.
Hier bin ich also. Hoch verschuldet. Obdachlos. Arbeitslos. Arm. Ausgebrannt.
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divers
Truyện NgắnEin Band voller Kurzgeschichten zu den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens der wohl unterschiedlichsten Menschen. Keine Schnulzen, nicht unbedingt happy Ends, meist offene Enden. Wer also nicht immer und immer wieder die gleichen Bücher mit de...