„Klingt nach einem Plan“, ist alles, was er noch sagt, bevor er sich von mir löst, sein Bier austrinkt und von seinem Hocker aufsteht. Ich tue es ihm nach, so hastig, dass ich fast an meinem Bier ersticke. Grinsend klopft er mir sacht auf den Rücken. Arsch, grinse ich zurück, sobald ich wieder atmen kann. Ich lasse die leere Flasche auf dem Tresen stehen, als er mich schon an der Hand nimmt und ziemlich eilig zum Ausgang strebt. Ich muss in mich hineinlächeln, so verrückt finde ich diese Situation. Und sein Verhalten. Als ob er es nicht noch zwei Minuten länger aushalten könnte.
In unsere Jacken gehüllt stehen wir bald wieder draußen auf dem Fußgängerweg, seine Hand um meine geschlungen. Sein Blick auf mir macht mich nervös, der Gedanke daran, dass er mich gerade abschleppt, macht mich noch nervöser. Aber er grinst, unterbricht unseren Blickkontakt und deutet nach oben. Meine Augen fokussieren sich auf das unendliche Schwarz über unseren Köpfen, das fleckenweise von den Straßenlaternen erhellt wird. Ich will schon fragen, was er meint, als mir eine kleine Schneeflocke ins Gesicht fällt. Ich bin ein Winterkind, sollte an dieser Stelle angemerkt werden. Ich liebe den Schnee, wenn er denn in der heutigen Zeit einmal vom Himmel rieselt. Ich strecke die Zunge raus und fange eine andere, größere Flocke. Ich lache vergnügt, als ich ihn ansehe und ihm eine auf die Nase fällt. Er grinst, reckt den Flocken das Gesicht entgegen und schließt für einen Moment genießerisch die Augen. Für einen kurzen Augenblick kann ich ihn mustern, kann ihn anstarren, ohne, dass er es merkt. Er sieht wirklich gut aus, mit all den kondensierenden Schneeflocken im Gesicht, denke ich grinsend. „Was ist so lustig?“, neckt er mich, hat mich erwischt. „Ich liebe den Schnee“, erwidere ich nur. Er nickt nur. „Ich auch.“ Er grinst und kommt einen Schritt näher an mich heran. Unsere Blicke so hartnäckig ineinander verschränkt, dass ich nicht wegsehen kann, selbst wenn ich es wollte. Und jetzt kommt er auf mich zu.
Ich hebe ihm den Kopf entgegen, studiere seinen Gesichtsausdruck, auch wenn ich überhaupt nichts daraus lesen kann. Aber ich will wissen, was er vorhat, was er will. Sein Daumen senkt sich auf mein Kinn, schickt eine kleine Ladung Gänsehaut über meine Haut, bevor sein Finger beginnt, kleine aber größer werdende Kreise auf meinen Kiefer zu malen und seine Fingerspitze dabei meine Lippe sacht antippt. Ich halte den Atem an, meine Lippen teilen sich atemlos unter seiner Berührung. Es ist, als würde er mich durch seine Berührungen narkotisieren. Als könnte ich gar nicht anders als ihn zu fühlen. Als wäre ich zu nichts anderem fähig. Er lehnt sich ein Stücken näher, wirft seinen Schatten über mich und sein Blick hat sich an meinen Lippen festgesaugt. Meine Augen fallen leicht zu. Ich ziehe die Luft in meine Lungen, spüre die leichten Schneeflocken auf meinem Gesicht und seinen warmen Atem an meiner Wange. Ich bin Wachs in seinen Händen. Mein Kopf fällt leicht zurück und ich halte die Spannung fast nicht mehr aus. Sein Daumen liebkost meinen Mundwinkel und dann ist da sein Mund. Sein köstlicher, warmer Mund auf meinem kleinen Wangengrübchen. Ich versuche wirklich, mich zusammen zu reißen und ihm nicht derart offen zu zeigen, wie sehr er mich erregt, aber mir entweicht ein kleines Ministöhnen und verrät mich. Ich spüre, dass sich seine Lippen auf meiner Haut leicht verziehen, wahrscheinlich zu einem Lächeln. Weil ich mich hier lächerlich mache. Mir auf offener Straße von meinem baldigen One-Night-Stand die Sinne verwirren lasse. Und trotzdem kann ich nichts dagegen tun, dass ich enttäuscht seufze, als seine Lippen mein Gesicht verlassen und er wieder einen Schritt zurücktritt. Ich linse unter meinen künstlichen Wimpern zu ihm hinauf, erkenne aber kein Lächeln. Da ist ein entschlossener Zug um seine Mundwinkel, etwas, das mir zum Einen etwas Angst macht und zum Anderen meinen Magen aufgeregt und begeistert springen lässt. Ich brauche einen Moment, bis ich mich von seiner Nähe wieder erholt habe, bevor er mir den Arm anbietet und ich hake mich bei ihm unter, dankbar für die Stütze und die Wärmequelle. Immer noch geistig umnachtet laufe ich neben ihm her, ohne groß darauf zu achten, wohin er mich führt. Pass lieber auf!, rufe ich mir selbst zu, sonst verschleppt er dich und du weißt nachher nicht mehr, wie du zurück nach Hause kommst! Ich grinse in mich hinein und lache mich selbst aus, auf der anderen Seite verfalle ich fast ins Grübeln, ob ich wirklich zu einem Wildfremden nach einem gemeinsamen Abend mit nach Hause gehen sollte. Davor bewahrt mich allerdings der heraufgezogene, leichte Schneesturm, der mich lachen und grinsen und meine gegenwärtigen Sorgen vergessen lässt. Er grinst zu mir herunter und da kann ich einfach nicht mehr aufhören zu lächeln. Sein Grinsen ist so ansteckend.
„Wohin müssen wir?“, frage ich nach, weil ich absolut keine Ahnung habe, wo seine Wohnung ist und ich doch nicht ganz so orientierungslos durch die Nacht laufen will. „Wir nehmen den nächsten Bus in Richtung Zentrum. Dann müssen wir noch ein bisschen zu Fuß gehen, aber das ist unter diesen Bedingungen ja nicht schlimm.“ Er grinst mich an. Ich weiß nicht, ob er meine Begleitung oder den Schnee meint, aber mir macht es nichts aus. Ich liebe es, nachts durch die Stadt zu laufen. Würde ich nicht in einem Viertel mit solch einem schlechten Ruf und üblen Nachbarn wohnen und hätte ich einmal tatsächlich die Zeit und Energie dafür, könnte ich das vielleicht auch mal machen. Wir laufen also zur nächsten Bushaltestelle, warten auf den Bus und steigen ein. Die warme Luft schlägt mir entgegen, mein Gesicht kribbelt und vergnügt reibe ich mir die Hände, hoffnungsvoll, dass sie sich dadurch wieder ein bisschen aufwärmen. Plätze sind frei, aber er stellt sich in den Mittelteil mit dem Rücken ans Fenster, also nehme ich an, dass wir nicht weit fahren und stelle mich vor ihn. Er ist größer als ich, nicht um sehr viel, aber es reicht, dass ich den Kopf etwas in den Nacken lege, um ihm bequem ins Gesicht zu schauen. Auch wenn der Größenunterschied eigentlich ideal ist, fühle ich mich trotzdem winzig, wie ich da vor ihm stehe, mich mit einer Hand an einer Haltestange festhalte und seinem Blick begegne. Er hat nichts Bedrohliches an sich. Er wirkt offen und warm. Ich würde mich anlehnen, wenn ich dem Bus und der unebenen Strecke genannt Straße vertrauen würde. Sein Blick ruht auf mir, meine Augen mustern ihn. Wir reden nicht, wir sagen nichts, nehmen nur den Anblick des Anderen in uns auf. Seine Augen fesseln meinen Blick, und für einen Moment durchfährt mich etwas, das all meine beruhigten Nerven wieder aufflattern lässt. Aber dabei sehen wir uns einfach nur an und fahren in diesem Bus, bis er an der scheinbar richtigen Haltestelle hält und wir aussteigen.
Wir steigen aus dem Bus, meine Hand auf seinem Arm, und wir marschieren. Jetzt hat er es wieder eilig. Mein Blick schweift, scannt meine Umgebung. Wir laufen an einem Fluss entlang, es schneit und ich bin ziemlich heiß auf diesen Mann neben mir. Aber diese Atmosphäre gerade, dieses kleine bisschen Ruhe berauscht mich noch mehr. Ich werde langsamer, bremse ihn aus, und bleibe schließlich ganz stehen. Der Blick, den er mir zuwirft, lässt mich zittern. Er wendet sich mir zu, kommt einen Schritt heran, drängt mich mit dem Rücken an das Geländer hinter mir, dass vor einem Sturz in den Fluss schützen soll. Sein Gesicht kommt meinem näher, seine Augen ruhen auf mir, rutschen zu meinen Lippen und versenken sich dann in meinem Blick, bis er so nah ist, dass sein Mund nur noch Millimeter über meiner Haut schwebt. Sein Atem geht schwerer, sein Geruch und der Duft von Schnee erfüllt mich. Mein lauter Herzschlag hallt in mir wider, bevor sich seine Lippen auf meinen Mundwinkel senken. Kontrolliert, ruhig, genießend. Meine Augen fallen zu, als seine Zunge hervorschießt, mich kostet und mir ein Seufzen entlockt, während er aufstöhnt. Er wandert und knabbert leicht, drückt seinen Mund auf meinen. Beherrscht. Nur solange, bis ich unter seiner Berührung und seinem Kuss aufstöhne, den Kopf in den Nacken fallen lasse und meine Zunge hervorschießt und gegen seine Lippen prallt, ihn neckt. Er wird rastloser, unbeherrschter. Seine Zunge kontert, nutzt meinen Angriff zum Gegenangriff, versenkt sich in meinem Mund und erfüllt mich. Mit meinen Händen stütze ich mich auf dem beschneiten, kalten Geländer ab, während er über mich und mein Mund über seinen herfällt. Wir kosten voneinander. Und werden fast wahnsinnig, als der Geschmack des jeweils Anderen auf unserer Zunge explodiert und wir die Kontrolle verlieren. Er stößt etwas hervor, was wie ein Knurren verstanden werden kann, aber mein Puls ist so laut und das Blut rauscht so laut in meinen Ohren, dass ich nicht sicher sein kann. Seine Hände schließen sich um mich, bringen uns näher zusammen, vervielfachen unseren Körperkontakt.
~~~~~\\\~~~~|||||~~~~~~《~~》~~~~~~\|~
1469 wordsEin kleines VorWochenend-Special 🥰
Hoffe, es gefällt 😇
Mich würde mal interessieren, wie ihr euch die beiden so vorstellt 🤩
Lasst gerne einen Kommentar dazu da 😊Und danke, danke für über 530 Reads!😍
DU LIEST GERADE
divers
Historia CortaEin Band voller Kurzgeschichten zu den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens der wohl unterschiedlichsten Menschen. Keine Schnulzen, nicht unbedingt happy Ends, meist offene Enden. Wer also nicht immer und immer wieder die gleichen Bücher mit de...