Ich fahre mit dem Bus in die Stadt, um ins Fitnessstudio zu gehen. Ich bin mit meinem Abi fast durch, ich habe nur noch mein Geschichtskolloquium vor mir, deswegen habe ich auch keinen Unterricht mehr. Es ist Freitagmittag, das Studio ist am Bahnhof und mein Bus fährt direkt da hin.
Die nächsten zwei Stunden widme ich mich meiner Fitness, ich habe meine Kopfhörer an, blende alles und jeden um mich herum aus und beginne auf dem Laufband. Ich laufe bereits die letzten Minuten, als ich aus den Augenwinkeln einen Boy bemerke, der mich abcheckt. Ich grinse nur in mich hinein, passe mich wieder dem Beat der Musik in meinen Ohren an und laufe die letzten zwei Kilometer zu Ende. Meine kurze Hose nicht mehr so locker wie zu Beginn, jetzt klebt sie an meinen Oberschenkeln. Immerhin ist das Shirt atmungsaktiv. Ich stinke noch nicht, also mache ich weiter mit den Gewichten. Mein Atem geht immer noch schwer, meine Beine zittern leicht, aber das hält mich nicht davon ab, mir 40 Kilo auf jeder Seite auf die Stange zu packen und mich auf die Drückbank zu legen. Der Boy ist nicht mehr zu sehen oder ich habe ihn nicht wiedererkannt.
Nach anschließenden Klimmzügen widme ich mich intensiver meinem Sixpack, auf das ich sehr stolz bin.
Als ich anschließend unter der Dusche stehe, entspanne ich meine brennenden Muskeln unter dem heißen Wasser. Es ist eine Gemeinschaftsdusche, aber im Moment ist Niemand außer mir hier drinnen.
Da fällt die Tür zum Duschraum zu und aus den Augenwinkeln seh ich den Kerl von vorhin, jetzt nackt, mit einem Shampoo in der Hand zur gegenüberliegenden Dusche gehen. Ich schaue nicht zu ihm hin, auch wenn ich merke, wie sein Blick über meine Kehrseite nach unten rutscht. Der Schauder, der mich überläuft, ist wärmer als das Wasser, das immer noch auf mich niederprasselt. Ich stelle es ab, schäume mich ein. Ich drehe mich nicht zu ihm um, ich bleibe mit dem Gesicht zur Wand stehen, ich traue mich nicht, dem Hottie am anderen Ende des Raumes in die Augen zu sehen. Meine Hände sind gründlich, aber sie zittern. Das Wasser der anderen Dusche wird abgestellt. Ich bemühe mich, konzentriere mich darauf, meine Hände weiter zu bewegen, nicht innezuhalten und meine unnötige Nervosität zu verraten.
„Hey." Seine Stimme schallt leicht durch den leeren Raum. Ich drehe mich halb zu ihm um, gerade so viel, dass ich ihn ansehen kann. Einen Moment lang passiert nichts. Dann:
„Hast du Bock, 'n Eis essen zu gehen?"
„Jetzt gleich?", frage ich nach, etwas verunsichert und unentschlossen, was ich davon halten soll.
„Ja, jetzt gleich." Er grinst, der Schalk blitzt in seinen Augen auf.
Jetzt, da ich sein Gesicht sehen kann, bin ich wie hypnotisiert. Kann gar nicht mehr wegsehen. Er steht mit dem Rücken zur Wand, bietet mir die Gelegenheit, ihn ungeniert zu betrachten, als er die Augen schließt und sich einschäumt und abwäscht. Seine Muskeln spielen, als er sich den Schaum aus den Haaren wäscht, sein Gesicht ist absolut göttlich, und sein Schwanz ...
Als würde er meine Gedanken lesen können, grinst er mich an, genießt es anscheinend, von mir bewundert zu werden.
Er ist perfekt.
Sofort als er das Wasser abstellt, antworte ich ihm.
„Wartest du draußen am Haupteingang?"
Er grinst nur und marschiert hinaus. Ich beeile mich, damit ich fertig werde. Während ich mich abspüle, wandert das Bild seines Anblicks in Endlosschleife durch meinen Kopf. Verglichen mit mir hat er definiertere Muskeln und allgemein ist er ansehnlicher und attraktiver als ich. Deswegen fühl ich mich umso geschmeichelter, dass er mit mir ein Eis essen will. Ich ertappe mich dabei, wie ich unter dem laufenden Wasser stehe und an die weißen Fliesen vor mir an der Wand starre. Ich reiße mich zusammen, stelle das Wasser ab und vergesse fast mein Duschgel, als ich die Duschen verlasse und mich in einer Kabine im Vorraum umziehe. So sehr habe ich mich beeilt. Meine Sportsachen lasse ich im angemieteten Spind, die sperrige Tasche kann ich jetzt nicht brauchen. Ich renne schon fast aus dem Studio zur Tür hinaus und nur knapp nicht in diesen perfekten Mann hinein.
Er grinst nur. Ich bleibe stehen. Er hat seine Sonnenbrille aufgesetzt. Die Welt bleibt einen Herzschlag lang stehen. Er sieht gut aus. Soo gut.„Gehen wir?" Er reißt mich aus meiner Starre und geht los.
„Äh ... ja, klar!" ich schließe schnell auf und schlendere neben ihm her, die Fußgängerzone entlang.
Wir sprechen nicht, und ich suche fieberhaft nach einem Gesprächsthema, das uns beide betreffen könnte. Aber bevor mir etwas einfallen kann, biegt er in eine Nebenstraße ab. Ich erkenne mein Lieblingscafé vor uns wieder, aber ich bin bisher immer von der anderen Seite hier hergekommen.
„Was willst du für Eis?", fragt er mich.
„Ich nehm die Trüffelcrème und Stracciatella." Er schaut mich überrascht an. Jetzt bin ich derjenige, der grinst.
„Ich kenne das Café. Ich liebe die Trüffelcrème hier."
„Na dann." Er lächelt, er hat kleine Grübchen um den Mund.
Cute, denk ich mir.
Er bestellt sich eine Kugel Tiramisu und eine Kugel Schlumpfeis. Ich amüsiere mich im Stillen über seine Wahl, aber er muss mir wohl etwas angemerkt haben, denn er wird etwas timid und erklärt: „Das esse ich, seit ich Eis essen durfte."
Süß.
Wir setzen uns an einen der zahlreichen Tische vor dem Café und lecken an unserem Eis. Unsere Blicke schweifen und treffen sich, verhaken sich ineinander und ich kann nicht wegsehen. Er hat seine Sonnenbrille abgenommen, und jetzt kann ich ihm zum ersten Mal richtig in die Augen sehen. Sie haben einen Braunton mit so vielen, unglaublichen Schattierungen, dass man darin eintauchen und sie erforschen möchte. Dass man gar nicht mehr wegsehen will. Und wir sitzen da und sehen uns an. Er lächelt nicht, er grinst nicht, er sieht mich nur an. Und von irgendwo her durchrieselt mich eine Wärme, die mich überrascht. Wir sitzen in der Sonne und das Eis schmilzt.
Als es mir auf die Hand tropft, lecke ich es weg, sehe ihn wieder an und frage das, was mir seit einer gefühlten Ewigkeit auf der Zunge brennt.
„Warum wolltest du mit mir Eis essen gehen?"
Sein Blick verändert sich etwas und ich bereue, dass ich gefragt habe. Wenn er mich einfach nur geil fand und nichts weiter, dann habe ich gerade die Stimmung zerstört. Und zwar gewaltig. Aber er zerschlägt meine aufkommende Verzweiflung.
„Du hast was an dir, das ich kennenlernen will. Und Jemand total fremden in der Dusche anzumachen kommt oft nicht so gut." Jetzt grinst er wieder. Innerlich atme ich auf. „Deswegen habe ich das auf jetzt verschoben."
Bitte was?, denke ich mir. Er will mich anmachen? Mich?
Ich widerstehe, mir mit der Hand Luft zuzufächeln, und sehe ihn nur weiter an. Meine Wangen sind etwas wärmer, aber das könnte ich auch auf die Hitze schieben. Im Radio läuft der neue Hit von Shawn Mendes.
Mein heißer Gegenüber fährt sich mit der einen Hand durch die noch leicht feuchten, aber jetzt zum größten Teil luftgetrockneten, Haare. Mein Magen macht einen kleinen Sprung.
Er ist nicht der Erste, mit dem ich mich treffe, aber er ist der Erste, der mit mir ein Eis essen gehen wollte, ohne mich zu kennen. Er gibt mir keine Gelegenheit, mir länger darüber den Kopf zu zerbrechen, auf was genau er aus ist.
Er sieht mir wieder in die Augen, total unerschrocken, direkt und selbstbewusst. Hoffnungsvoll. Er hält meinen Blick fest. Ich kann wieder nicht wegsehen.
Die Welt um uns herum gerät in den Hintergrund. Ich nehme nichts anders wahr, als seine unglaublichen aufregenden Augen und sein absolut perfektes Gesicht.

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divers
Short StoryEin Band voller Kurzgeschichten zu den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens der wohl unterschiedlichsten Menschen. Keine Schnulzen, nicht unbedingt happy Ends, meist offene Enden. Wer also nicht immer und immer wieder die gleichen Bücher mit de...