Menschen scheinen dazu zu neigen, die gegebenen Voraussetzungen ausreizen zu wollen, vor allem, wenn es sich bei diesen Voraussetzungen um gesellschaftliche Regeln, oder noch besser, Gesetze handelt.
Das zeigt sich, ganz eindeutig, bei Verkehrsregeln. Hier wird ein Stopp-Zeichen überfahren, ohne die vorgegebenen drei Sekunden anzuhalten. Hier wird über eine rote Ampel gedüst und gehofft, dass es keiner gesehen hat. Die Tempolimits werden grundsätzlich um mindestens fünf Kilometer pro Stunde überboten, auf der Autobahn können es dann schon mal zwanzig km/h schneller werden.
Dieses Phänomen zeigt sich aber auch in Gesetzen und Regeln, die sich auf das menschliche Verhalten untereinander in einer Gesellschaft beziehen. Dazu zählt unter anderem, ganz aktuell, auch die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung, oder auch geläufig einer Maske in öffentlichen Transportmitteln wie Züge, Busse, Bahnen und so weiter. Aktuell haben wir knapp zwei Jahre der Pandemie hinter uns. Wir haben immer noch steigende Infektionszahlen, aber die Länder scheinen die Situation nicht mehr als allzu gefährlich einzustufen, weshalb sich aktuell auch nicht wieder die Präventionsmaßnahmen verschärfen. Die Maskentragepflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln ist aber geblieben. Und augenscheinlich fällt es einigen Individuen in dieser Gesellschaft zunehmend schwer, sich an diese einfache Regel, eine Maske in einem öffentlichen Transportmittel zu tragen, zu halten. Die Maske wird, statt über Mund und Nase, unter der Nase, oder auch ganz klassisch, unter dem Kinn getragen.
Und da sollte man ins Gespräch kommen. Natürlich fühlen wir uns seit knapp drei Jahren eingeschränkt, wir waren „eingesperrt“ für zwei Lockdowns, durften nichts und niemanden treffen. Wir mussten uns an Reglementierungen halten und mehr als nur ein paar Wenige unter uns denken im Nachhinein sehr negativ über diese Beschränkungsmaßnahmen. Die Masken sind unangenehm, sie nehmen uns gefühlt die Luft zum Atmen. Wir allen fühlen uns so.
ABER.
Gelingt es uns nicht, uns an so einfache Maßnahmen, die uns schützen sollen, zu halten, die uns nicht weiter einschränken, versagen wir als Gesellschaft. Können wir uns nicht an einfache Regeln halten, wie sollen wir als Gesellschaft etwas erreichen.Let’s look at the bigger picture.
Werden die kleinen Regeln nicht eingehalten, die uns schützen sollen, wie sollen dann Richtwerte, neu aufgestellte Regeln, Normen in unserer Gesellschaft überstehen, wenn sich so wenige schon nicht an die kleinen, vielleicht eher unbedeutenden Gesetze halten kann?
Wie sollen wir einen Wandel in der Gesellschaft vollbringen, wie sollen wir etwas von den schief laufenden Dingen in unserer Society korrigieren, wenn wir es anscheinend nicht schaffen, gemeinsam für eine gewisse Zeit an einem Strang zu ziehen?
Diese Feststellung frustriert mich. Dass wir es vermutlich nicht schaffen werden, etwas zu verändern. Etwas zum Besseren zu wenden.
Lasst mich dabei noch nicht einmal von den wirklich großen Problemen wie den Klimawandel und dessen Bekämpfung, die Inflation, Nachhaltigkeit, die Bekämpfung von Sexismus oder von stereotypischen Geschlechterrollen in der Gesellschaft und so weiter.
Lasst mich über kleine, scheinbar unbedeutende, scheinbar leicht zu lösende Probleme in der Gesellschaft reden. Der Leistungsdruck. Nicht einmal der allgemeine, der von sich selbst an sich gerichtete Leistungsdruck, sondern der Druck, der auf die Kinder ausgeübt wird. Die Kinder können sich diesem Druck nicht entziehen, sondern leben damit beziehungsweise leiden darunter. Man könnte ihn bekämpfen, indem man alle weiterführenden Schularten als gut anzuerkennen, indem nicht jedes Kind darauf geprügelt wird, die Noten zu erzielen, die es vielleicht nicht erzielen kann oder möchte, um es auf das Gymnasium schaffen. Natürlich ist das Gymnasium der „einfachste“, der kürzeste Weg. Aber nicht der Angenehmste, nicht der Beste. Als würde der Wert jedes Kindes nicht am Kind selbst, sondern nur an den erzielten Noten gemessen werden. Gut, vielleicht ist das wirkliche Problem auch das deutsche Schulsystem, aber ist es nicht unsere Aufgabe als Eltern, Lehrer, Pädagogen, Erwachsene, die Kinder zu unterstützen und sie auf ihrem Weg zu begleiten? Und dabei spielt es keine Rolle, auf welche weiterführende Schule, in welche Ausbildung, Lehre oder Studium dieser Weg führt.
Kleine Probleme wie Vorurteile, die sich auf alle Altersgruppen, alle Geschlechter, alle Hautfarben, alle Ethnien, alle Menschen beziehen. Erwachsene beurteilen andere Erwachsene, leben es den Kindern vor. Die Erwachsenen mobben andere Erwachsene und machen es den Kindern vor. Erwachsene reden abfällig über andere Erwachsene und die Kinder schauen sich dieses Verhalten ab. Die Kinder lernen, dass es in Ordnung ist, negativ über andere Menschen zu reden, dass die eigene Meinung am wichtigsten ist, dass jeder das Recht hat, dem andere seine Meinung aufzudrücken, seine Meinung über andere kundzutun. Darauf folgt das Mobbing. Das äußert sich vielleicht erst mal in Auslachen, Schadenfreude tritt in diesem Kontext häufig auf. Die Kinder verinnerlichen, negativ über diejenigen zu sprechen, auf die sie neidisch sind, statt ihren eigenen Neid zu reflektieren und an sich selbst zu arbeiten. Stattdessen lachen sie aus. Das kann zu schubsen, zerstören der Spielzeuge des anderen Kindes, auf das sich der Neid bezieht. Übles Nachreden, Lästern kann in den Jugendjahren folgen, und schlussendlich kommt es zum Ausschluss anderer Individuen, das „Hinausekeln“. All das passiert, weil die Kinder dieses Verhalten oder zumindest die Grundlagen, die Grundeinstellung dazu, von ihren Eltern gelernt haben.Das ist das Schlimmste. Wenn Eltern, wenn Erwachsene sich nicht bewusst sind, welch ein großes Vorbild sie für die Kinder, für die Mitmenschen sind, sowohl positiv als auch sehr negativ. Aber Mobbing, Lästern, Nachrede, Ausschluss anderer ist nicht fair, nicht gerechtfertigt gegenüber den Betroffenen, denn sie machen nichts falsch gemacht, nichts getan, was solch ein Verhalten rechtfertigen würde. Es liegt an den Lästerern, den Mobbern, den Nachrednern, die neidisch sind auf die Erfolge, das Aussehen, das Können der Anderen. Und das nur, weil sie sich nicht eingestehen können, dass sie neidisch sind, dieses Verhalten reflektieren und ändern. Stattdessen projizieren sie ihre Unzufriedenheit auf Andere und geben diese schlechte Charakter- und Verhaltenseigenschaft an ihre Kinder, an ihre Mitmenschen weiter.
Viel zu wenig Menschen reflektieren ihr Verhalten. Viel zu wenig Individuen in dieser Gesellschaft machen auf dieses Problem aufmerksam und rufen uns dazu aus, uns an der eigenen Nase zu packen und unser Verhalten, unsere Denkweisen zu ändern.
Statt sich darüber zu echaufieren, dass eine Frau einen „viel zu kurzen Rock“ trägt, könnte man sich schon beim Denken stoppen und sich fragen, warum genau es ein Problem ist, dass sie sich entschieden hat, diesen Rock heute zu tragen. Beeinträchtigt uns ihr Rock? Hindert er uns an etwas? Nein? Liegt es vielleicht einfach nur daran, dass wir es gut finden, wie sie in ihrem Rock aussieht? Dass wir neidisch sind, dass wir denken, dass so ein Rock an uns nicht gut aussehen würde? Dass wir uns nicht trauen würden, solch einen Rock zu tragen, obwohl wir gerne würden? Okay, aber das ist wieder nur unser Problem, nicht das der Frau.
Also, wir erkennen, es liegt an uns.
Und das findet sich sowohl in den kleinen Problemen als auch den größeren, internationalen Problemen, die es in der heutigen Zeit zu lösen gilt, um unseren Kindern und uns selbst eine soziale, freundliche Welt zu ermöglichen, wieder.

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divers
KurzgeschichtenEin Band voller Kurzgeschichten zu den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens der wohl unterschiedlichsten Menschen. Keine Schnulzen, nicht unbedingt happy Ends, meist offene Enden. Wer also nicht immer und immer wieder die gleichen Bücher mit de...