drei Jahre später

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840 Die Jahre in der 101. Trainingseinheit verging wie im Flug und zu Eysas Überraschung hielt sie bis zum Schluss durch.
Dank Erwins Trainingsstunden, schaffte sie es bestimmt eine handvoll Male andere Gegner zu Boden zu ringen.
Nur bei Erwin und Mike schaffte sie es weiterhin nicht, was sie schon frustrierte.
Mittlerweile begann das Wetter sich abzukühlen und bereitete sich auf den Herbst vor, als Eysas 17 Geburtstag bevorstand und die Jungs beschlossen am darauffolgenden Wochenende zu feiern.
Nile machte sich stetig über sie lustig, das sie als das Küken der Runde noch nie Alkohol getrunken hatte, weswegen er ihr kameradschaftlich auf den Rücken klopfte und lautstark verkündete, das sie zur Feier des Tages in eine Bar gehen sollten.
Eysa war sich nicht sicher was sie davon halten sollte, da Alkohol nichts war, das sie unbedingt probieren musste, wenn sie daran dachte, was er mit Menschen anrichten und in was für Lagen er einen bringen konnte.
Zudem wusste Eysa nicht, ob Nile wegen ihr einen Trinken gehen wollte, oder weil er Panik vor der Abschlussprüfung in der kommenden Woche hatte.
Aber vermutlich sollte sie sich darüber nicht so viele Gedanken machen und es einfach hinnehmen.
Es war Sonntag, als sie in ihren Uniformen, jedoch ohne das Gurtsystem, in die Stadt Karanese gingen und dort eine Bar betraten.
Nile grinste breit, als er Eysa auf einen der Stühle niederdrückte.
„Gut das du nicht alleine hier bist Eysa, ohne uns, würde dir nie jemand glauben, das du fast 17 Jahre bist", scherzte er und Eysa sah ihn grimmig an und protestierte: „Ich wachse noch."
Nile lachte los, Erwin und Mike hingegen schmunzelte nur in sich hinein.
„Weißt du, es ist nicht nur die Größe", begann nun Erwin und Eysa sah ihn verwirrt an: „Was denn noch?"
„Deine ganze Erscheinung", lachte Nile und Eysa runzelte die Stirn.
„Hast du dich mal im Spiegel angesehen? Du siehst aus wie damals, als du mit 14 der Trainingseinheit beigetreten bist."
„Das ist nicht wahr!", protestierte sie und fragte sich unwillkürlich, ob es nicht vielleicht stimmte, was er ihr da an den Kopf warf.
„Doch, das ist es", wandte nun Mike ein und Eysa, welche es wohl nicht richtig bestreiten konnte, sah Mike dennoch böse an, da er ihr in den Rücken fiel.
„Aber wie auch immer, was möchtest du trinken?", fragte Nile und Eysa blickte unsicher drein.
Sie wusste nicht einmal was es für alkoholische Getränke alles gab.
Erwin, der ihre Notlage zu bemerken schien, lächelte leicht: „Fangen wir doch mit einem Brandy an."
„Damit sich ihre Kehle aufwärmt, meinst du?", lachte Nile.
„Es ist etwas härter, jedoch denke ich nicht das du viel aushältst und darum solltest du etwas trinken das gut ist, ehe du etwas Trinkst das nicht ansatzweise verdient der erste Trunk zu sein", erklärte Erwin seine Wahl und sah Eysa mit seinen hellen, blauen Augen an, was sie leicht erröten ließ.
„In Ordnung."
Nile winkte daraufhin zum bestellen und kurz darauf erklang eine liebliche Stimme an ihrer Seite: „Hallo, mein Name ist Marie, was kann ich euch bringen?"
Als Eysa aufblickte, stand vor ihnen eine wahre Schönheit, mit langen, geflochtenen, braunen Haaren, haselnussbraunen Augen und einer Figur, wie eine Königin.
Sie hatte einen blassen Teint, volle, rosige Lippen und wirkte wie eine kostbare Puppe in Eysas Augen.
Sie konnte kaum die Augen von der schönen Frau nehmen, doch als Nile kein Wort herausbrachte, sah Eysa zu ihm hinüber und erkannte voller Staunen, das ihr Freund von dieser Frau mehr als fasziniert war.
Doch was sie zuerst belustigte, bekümmerte sie im nächsten Moment, als sie bemerkte, das auch Erwin von dieser Frau gefesselt zu sein schien.
Ein sonderbares Gefühl bemächtigte sich Eysas.
Es war ein bitterer Stich in die Brust und der unerklärliche Gedanke sich zum ersten Mal in ihrem Leben zu wünschen, ebenfalls so schön und auffallend wie diese Frau zu sein.
Wenn Eysa sich selbst im Spiegel betrachtete, sah sie ein dürres, kleines Mädchen, mit aschblonden, mittlerweile Taillen langem Haar, leichten Sommersprossen auf Nase und Wangen, einer sonnen braunen Haut und großen, dunkelblauen Augen.
An ihr war nichts außergewöhnlich schön oder atemberaubend, wie bei dieser Kellnerin, welche Erwin dazu brachte, den Mund leicht offenstehen zu lassen.
Sie lächelte erst wieder, als sie Mikes Blick auf sich ruhen spürte und versuchte unbekümmert zu ihm zu blicken.
Er erwiderte ihr Lächeln, doch bemerkte Eysa durchaus, wie Mike fast schon unauffällig Erwin mit dem Ellenbogen anstieß, welcher daraufhin zur Besinnung kam und den Mund schloss.
„Wir nehmen vier Mal den Brandy bitte", gab Nile, welcher sich wohl auch gefangen hatte, nach einem Räuspern, von sich.
Die Kellnerin lächelte sanft: „Kommt sofort." und als sie davonging, atmete Nile hörbar auf: „Man, was für eine Frau."
Eysa fühlte sich zum ersten Mal in ihrem Leben unzulänglich, was ein sonderbares Gefühl war, da Erwin und Nile doch immer nur gute Freunde waren, oder nicht?
Zumindest bei Nile war sie sich sicher, das er „nur" ein Freund war, was sie zu Erwin blicken ließ, welcher dieser Marie immer noch nachblickte.
Wieso tat es so weh, zu sehen, wie er einer Frau nachblickte und von ihr regelrecht fasziniert zu sein schien?
„Wirst du deinen Geburtstag bei deinem Vater und deiner Schwester sein?", fragte Mike sie unvermittelt und dankbar sah sie zu ihm auf, da er allem Anschein nach das Thema wechseln wollte.
„Ja, er wollte Kuchen backen und sicherlich wieder davon schwärmen, das ich der Militärpolizei beitrete, sollte ich es unter die 10 Besten schaffen. Er möchte unbedingt das ich im Mauerring Sina lebe, es gut habe und in Sicherheit bin."
Mike runzelte die Stirn: „Aber du gehst nicht zur Militärpolizei, nicht wahr?"
Sie hatten nie mehr darüber gesprochen, wohin Eysa nun eigentlich gehen wollte, doch hatte Mike natürlich Recht, sie würde nicht in diesen begehrten Trupp eintreten.
„Selbst wenn ich es unter die 10 Besten schaffen sollte, was ich nicht glaube, werde ich nicht zur Militärpolizei gehen, da hast du Recht", bestätigte sie ihm, „ich denke, ich möchte nicht in Sicherheit leben, während ich doch versuchen könnte für meine Schwester, eine neue, offene Welt, ohne Mauern zu erringen."
Und das war nicht einmal gelogen.
Im Laufe der Jahre in der Trainingseinheit, hatte sie außer der Tatsache das sie Erwin in den Aufklärungstrupp folgen wollte, noch eigene Beweggründe für sich entdeckt, dorthin zu gehen.
„Verstehe", lächelte Mike.
„Mein Vater erzählte mir einst, das er glaubte, hinter den Mauern würden Menschen leben", begann nun Erwin ernst und erstaunt darüber, das Erwin davon erzählte, sah sie ihn an.
Nile und Mike sahen ihn ebenso erstaunt, wegen seines abrupten Einwurfs, an.
„Was redest du da?", lachte Nile, welcher Erwins Aussage für einen Scherz zu halten schien, doch dieser blieb völlig ernst.
„Wir hatten Geschichtsunterricht und lernten, wie die Menschheit hinter die Mauern zurückgedrängt wurde. Das was alle lernten. Wir erfuhren, das die Menschheit, keine Aufzeichnungen über ihre bisherige Geschichte retten konnte, als sie hinter die Mauern flohen. Aber das sie damals, obwohl der Großteil von ihnen vernichtet und der Lebensraum knapp war, vom Zeitalter des ewigen Krieges verabschiedeten und das wir dadurch innerhalb dieser Mauern in einer idealen Welt leben würden", erzählte Erwin und sah dabei ernst ins Nichts, „An dieser Stelle, stiegen Zweifel in mir auf und ich stellte meinem Vater eine Frage. Ich fragte ihn, wie man sicher sein konnte, das hinter den Mauern keine Menschen leben würden. Doch ging mein Vater nicht darauf ein, sondern beendete den Unterricht. Am Abend, als wir zuhause waren, gab er mir eine Antwort. Er sagte, in den Geschichtsbüchern, die die königliche Regierung verteilte, gäbe es eine ganze Reihe von Rätseln und Widersprüchen. Was seltsam war, denn selbst ohne schriftliche Aufzeichnungen, könnte die Generation die hinter die Mauern geflüchtet war, ihren Kindern die vorherige Geschichte doch auch mündlich überliefern und die Wahrscheinlichkeit, dass sie alle komplett geschwiegen und die Informationen über die Welt außerhalb der Mauern nicht an die nächste Generation weitergegeben hätten, war verschwindend gering.
Was mein Vater erzählte, hielt selbst ich als Kind, für ziemlich übertrieben, aber ich war klug genug, um zu erkennen, warum mein Vater das nicht in der Klasse erzählt hatte. Ich erzählte also den Kindern im Viertel davon und an dem Tag an dem mich ein Militärpolizist dazu befragte, kam mein Vater nicht nach Hause. Kurz darauf starb er bei einem Unfall."
Betretendes Schweigen breitete sich aus, ehe Erwin begann weiterzuerzählen: „Aufgrund meiner Denunziation, wurde mein Vater von der Regierung ermordet."
„Erwin, das ist nicht wahr", wandte Eysa ein, da sie auf keinen Fall wollte das er sich daran die Schuld gab.
„Doch das ist es. Meine kindliche Naivität, tötete meinen Vater", sprach er hart über sich selbst weiter.
„Irgendwann wurde die Hypothese meines Vaters in mir Gewissheit und ich beschloss mein Leben der Aufgabe zu widmen sie zu beweisen."
Ungläubig betrachteten die beiden anderen ihn, während Eysa ihn nur bedrückt ansah.
„Solch ein Unsinn habe ich noch nie zuvor gehört! Gib es zu Erwin, du nimmst uns aufs Korn", lachte Nile abrupt auf, doch verschloss Erwin lediglich sein Gesicht vor seinem Freund, nicht gewillt Nile zu antworten.
„Du meinst das also ernst?", fragte er nach und sein Lachen verstummte langsam.
„Erwin, da draußen gibt es keine Menschen! Wie sollten sie mit all den Titanen auch leben können? Zudem hätte der Aufklärungstrupp sie nicht längst gesehen, wenn sie da draußen wären?"
Nachdenklich runzelte Eysa die Stirn: „Nicht unbedingt, da es noch gar nicht so viele Expeditionen außerhalb der Mauern gab."
Nach diesen Worten sah Erwin sie überrascht an, hatte er wohl vermutet das sie keine Partei für ihn ergreifen würde, nachdem sie das damals schon nicht konnte.
Doch,... nun war Eysa älter und einiges von dem was Erwin da eben so viel detaillierter als damals erklärte, ergab erschreckend viel Sinn.
Sie wusste nicht ob sie es glauben wollte, oder konnte, aber sie wollte es auch nicht mehr so einfach abtun, wie damals.
„Nicht du auch noch!", protestierte Nile.
„Irgendwann einmal mussten die Menschen diese Mauern erbaut haben und wie sollten sie das, wenn da draußen schon immer Titanen gewesen sein sollten? Warum sollten die Menschen sich in einer Gegend der Welt niederlassen, in denen es vor Titanen nur so wimmelte, nur um dann verzweifelt zu versuchen, Mauern zu errichten? Das hätten sie zeitlich niemals schaffen können und das lässt darauf schließen, das es vielleicht sogar noch Menschen außerhalb der Mauern geben könnte", schloss sie ihre Meinung ab.
Erwin betrachtete sie immer noch überrascht, was darauf schließen ließ, das Eysa schon deutlich eher mit ihm darüber hätte sprechen sollen.
Ihm sagen sollen, das sie von seiner Meinung, wenn auch noch nicht überzeugt, doch nicht mehr so abgeneigt war.
„Das alles klingt ziemlich einleuchtend", murmelte Mike und Niles Gesicht verfinsterte sich zusehends.
„Wenn es stimmt Erwin, dann solltest ihr aufpassen, was ihr sagt. Nicht das ihr am Ende auch bald ermordet werdet, oder?", zischte er wütend und Eysa befeuchtete sich ihre trockenen Lippen.
Er hatte Recht und das machte sie nervös.
„Du hast Recht", gab Erwin ruhig von sich und sah ihn dabei ernst an.
„Zudem klingt es so, als würdest du, während alle anderen bereit sind ihre Leben und das ihrer Kameraden für die Menschheit zu geben, nur deine eigenen Ziele verfolgst!"
Unschlüssig sah Eysa zwischen Erwin und Nile hin und her und hatte das Gefühl, das diese Freundschaft gerade einen gewaltigen Riss bekam, der vielleicht nicht wieder zu kitten war.
Alles geriet gewaltig außer Kontrolle und sie fragte sich, ob Erwin auch sie einfach opfern würde, nur um weiter die These seines Vaters zu beweisen.
Konnte man ihm draußen auf einer Expedition vertrauen?
Aber das hier war Erwin.
Sie kannte ihn ihr Leben lang und sie wollte nun nicht damit beginnen ihm zu misstrauen, wenn sie ihm stets ihr Leben anvertraut hätte.
„Glaub was du willst Nile, ich muss mich vor dir nicht rechtfertigen", gab Erwin ruhig zurück und Nile wäre sicher aufgesprungen vor Wut, wenn nicht in diesem Moment die Kellnerin mit den Getränken zurückgekehrt wäre.
„Der Brandy, bitte sehr", dabei stellte sie jedem von ihnen ein Glas hin und lächelte dann warm in die Runde, als würde sie gar nichts von der Anspannung spüren, die gerade herrschte.
„Wenn ihr sonst noch etwas braucht, fragt einfach nach mir."
Beklemmt, blickte Eysa wieder auf den Tisch, als Nile und Erwin sie erneut einfach nur wie hirnlose Idioten anstarrten.
„Ähm,... ja Marie, das werden wir", gab Nile dann schließlich von sich und sie verließ die Gruppe mit einem glücklichen Lächeln und einen letzten Blick zu Erwin und Nile.
Es schien, als sei sie sich durchaus darüber im Klaren, welche Wirkung sie auf die Beiden hatte.
Eine innere Anspannung verspürend, umklammerte Eysa ihr Glas mit einer Hand, ehe sie abrupt aufsprang und in die überraschten Gesichter der Jungs blickte.
„Ich denke,... mir geht es nicht gut. Feiert doch einfach ohne mich."
Erwin blickte von ihr auf sein Glas hinab und nahm einen Schluck, während Nile seines wütend hinunterstürzte und dann meinte: „Klar doch, geh nur!"
Mikee welcher sich als einziger daran erinnerte, das dies hier eine Feier zu ehren ihres Geburtstags sein sollte, erhob sich ebenfalls: „Ich begleite dich."
Dankbar nickte sie und zusammen verließen sie die beiden Streithähne.
Eysa wusste nicht, ob es ein Fehler war zu gehen, doch fragte sie sich hinterher immer wieder, was geschehen wäre, wenn sie geblieben wären.
Hätten sich die Beiden dann ausgesprochen?
Vielleicht hätten sie das Thema auch einfach vergessen und Spaß gehabt?
Doch dadurch, das Mike und sie gegangen waren, würde sie es nie erfahren, denn Fakt war, das dieser Tag ihrer aller Freundschaft an den Rand einer Klippe geführt hatte und das nicht mehr viel fehlte, ehe sie fiel und unten aufschlug.
Wie hätte sie auch ahnen können, das Marie ebenfalls ein Grund sein würde, weswegen alles zu Bruch ging.
Drei Jahre hatten sie Seite an Seite gestanden und alles war innerhalb weniger Stunden zerstört worden.

Erwin sah Eysa lange nach und verspürte den Drang ihr zu folgen.
Sich zu entschuldigen, ihren besonderen Tag zerstört zu haben, doch Mike folgte ihr bereits und zu seiner Überraschung verspürte er erneut Eifersucht.
Warum war er eifersüchtig auf seinen Freund, wenn dieser doch nie Andeutungen gemacht hatte, das er an Eysa interessiert sei.
Und dann war da auch noch Marie,... Erwin konnte nicht sagen was genau er für Eysa fühlte, aber Marie verschlug ihm den Atem.
Diese Frau, und das war sie, eine Frau, hatte wohl alles, was ein Mann begehrenswert empfand.
Doch hatte nicht nur er das bemerkt, sondern auch Nile und Erwin hatte nicht vor sich mit seinem Freund um ein Mädchen zu streiten.
Zudem hatte Erwin wichtigere Dinge im Kopf.
Die Existenz von Menschen außerhalb der Mauern beweisen, zum Beispiel und dafür konnte er weder Frau noch Familie gebrauchen.
Denn Fakt war doch, das er nicht wusste ob er immer von den Expeditionen die der Aufklärungstrupp anstrebte, zurückkehren würde.
Und eine Familie zurücklassen, wollte er ganz sicher nicht.
Schweigend tranken beide Männer ihre Brandys leer und auch noch die Gläser der beiden anderen, ehe sie sich erhoben, bezahlten und dann aus einem Vorwand, den Erwin nicht einmal mehr benennen konnte, getrennt zur Kaserne zurückkehrten.


Broken Wings of FreedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt