„Du siehst ziemlich beschissen aus", hörte Eysa hinter sich eine Stimme sagen und wandte sich zu ihm um.
Überrascht Levi zu sehen, welcher mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand lehnte und sie betrachtete.
Hatte er seit seiner Rekrutierung je mit ihr gesprochen?
Er stieß sich von der Wand, an welcher er lehnte, ab und kam auf sie zu.
Auf alles gefasst, nachdem er Erwin mit einer Waffe bedroht hatte, sah sie ihn durchdringend an.
Überrascht sah sie auf seinen grünen Umhang hinab, welchen er ihr auf einmal hinhielt.
Verwirrt ergriff sie diesen: „Was...", „Für deine Wange und dein Gesicht", unterbrach er sie ernst.
Ihre Wange?
Und dann erinnerte sie sich wieder.
Als Levi im Untergrund von Mike in den Dreck gedrückt wurde, hatte sie ihm hinterher ihren Umhang gegeben, damit er sich säubern konnte.
War das hier nun ein Gegengefallen?
Versuchte er sich bei ihr zu revanchieren?
„Du musst das nicht...", „Nimm ihn und halt die Klappe", murrte er und ging einfach weg.
Verwirrt, sah sie ihm nach, ehe sie wieder auf seinen Umhang hinabblickte.
Sie rieb den weichen Stoff zwischen den Fingern und lächelte dann.
Sie würde ihn nicht mit ihrem Blut besudeln, morgen früh, würde sie ihm diesen wiedergeben und sich bedanken.
Den Umhang in der Hand, lief sie weiter und entdeckte schließlich einen der Sanitäter.
Er untersuchte ihre Wange, entfernte noch ein paar Splitter ihrer Klinge aus der Wunde, säuberte diese schließlich mit etwas Alkohol, was sie zusammenzucken und die Wunde erneut stärker bluten ließ.
Fest die Zähne zusammenbeißend, ließ sie es über sich ergehen, das er die Wunde, die offensichtlich tief genug gewesen war, nähen musste.
Sie krallte die Hände in den Stoff ihrer Hose und kniff die Augen so fest zusammen, das sie schon Sterne sah.
„Fertig", sagte er schließlich und sie öffnete ihre Augen wieder erleichtert.
„Danke", hauchte sie schwerfällig und stand auf: „Könnte ich mir deine Tasche wohl kurz ausleihen? Ich würde gerne jemanden Versorgen, der bestimmt noch bei keinem Sanitäter war."
Skeptisch betrachtete er sie: „Kannst du das denn?"
„Ich hatte mich damals selbst zur Sanitäterin ausbilden lassen, doch mich dann umentschieden", nickte sie.
„Gut", sprach er leise und reichte sie ihr, vermutlich auch froh, für diesen Abend mit allen Verwundeten durch zu sein.
Eysa verließ ihn und suchte die Halle, in der sich alle aufhielten, da sich dort die Lagerfeuer befanden, mit den Augen ab, doch konnte sie Erwin nirgendwo entdecken.
Als sie jedoch Keith Shadis entdeckte, lief sie auf ihn zu: „Kommandant Shadis, Sir."
Er wandte sich ihr zu und lächelte leicht, was für seine Verhältnisse schon recht viel war.
„Soldat Evergreen, was haben sie denn?"
Sie sah sich erst noch einmal um und dann wieder direkt zu ihm: „Wissen sie zufällig, wo ich Abteilungsführer Smith finde?"
Er sah von ihrem Gesicht zu ihrer Hand mit der Tasche darin hinab und nickte: „Er ist im oberen Stockwerk. Dort die Treppe hinauf. Er wollte nachdenken. Aber versorgen sie ruhig seine Wunde. Wenn er sich weigert, sagen sie ihm, das es ein Befehl war."
Dankbar lächelte sie und verließ die Halle, in der es mittlerweile mollig warm geworden war und folgte dem Weg, die Treppe hinauf.
Oben war es dunkel und sie konnte die Hand vor Augen nicht sehen.
Nur ein zerstörtes Fenster, oder war es ein Loch in der Steinmauer, ließ etwas Mondlicht hinein.
Jedoch zu wenig, als das sie die Stufen unter den Füßen gut sehen konnte.
Ihr war kalt, die Uniform völlig nass, doch vermutlich ging es Erwin nicht anders.
Er stand an diesem Loch, oder war es doch ein Fenster gewesen, eine Kerze neben sich auf der Bank und starrte in den Nachthimmel hinauf.
Woran er wohl dachte, wenn er wie so häufig einfach nur hinaufblickte?
Leise trat sie von hinten an ihn heran, doch als sie ihre Hand nach ihm ausstreckte, wirbelte er herum, packte ihr Handgelenk, sodass sie keuchend die Tasche und Levis Umhang fallenließ und drückte sie gegen die steinerne Wand.
Vor Schmerz zusammenzuckend und mit schreckgeweitete Augen, sah sie zu ihm auf.
Seine Augen blitzten vor misstrauen, doch als er sie erkannte, ließ er sofort von ihr ab: „Eysa, verzeih.... was.... was machst du hier oben?"
Schwer atmend, hatte sie doch mit solch einem Angriff nicht gerechnet, rieb sie ihr schmerzendes Handgelenk.
„Ich wollte nach deiner Hand sehen", murmelte sie leise und sah auf seinen provisorischen Verband hinab, welcher schon mehr als rot durchtränkt von seinem Blut war.
„Es geht schon. Mach dir keine Gedanken", wandte er sich schnell wieder ab und trat ans Fenster zurück.
Also hatte ihn der Angriff auf sein Leben, doch nicht so kaltgelassen, wie er alle hatte glauben lassen wollen.
Besorgt betrachtete sie sein Profil: „Shadis sagte, wenn du es mich nicht freiwillig machen lässt, dann erachte es als einen Befehl", gab sie kühl wieder, was ihn schließlich leicht schmunzeln ließ: „Na wenn das ein Befehl ist, was soll ich da machen?"
Sie lächelte nun ebenfalls und bückte sich nach der Tasche.
Erwin setzte sich währenddessen auf die Bank am Fenster: „Dir muss kalt sein, deine Kleidung ist noch ganz nass."
Mit der Tasche und dem Umhang in der Hand, richtete sie sich wieder auf, setzte sich entschlossen neben ihn und sah dann mit erhobener Braue in sein Gesicht: „Deine auch."
Sanft ergriff sie seine Hand, entfernte langsam und mit bedacht das Stück durchtränkten Stoff von seiner Hand und bemerkte überrascht, das er nicht ein einziges Mal zusammenzuckte.
„das war ziemlich töricht, die Klinge mit deiner Hand aufzuhalten."
„Besser als einen Kopf kürzer", gab er lächelnd wieder, wobei es sie selbst leicht um den Mundwinkel zuckte.
Etwas das sie vor ein paar Stunden beim Anblick von ihm mit der Klinge in der Hand, nicht gelungen wäre.
Zudem hatte sie nicht damit gerechnet, das er sie so oft anlächeln würde, geschweigedenn, das er trotz Befehl zuließ, das sie seine Hand ansah und sich darum kümmerte.
Als der Stoff fort war, verzog sie schmerzhaft das Gesicht.
„Sieht übel aus", murmelte sie, was ihn leise antworten ließ: „Ist nicht so schlimm wie es aussieht. Ich kann noch alle Finger bewegen."
Erleichtert atmete sie auf und legte seine Hand vorsichtig auf seinem Bein ab, während sie in der Tasche nach dem Alkohol zum säubern der Wunde suchte.
Doch zuckte sie überrascht zusammen, als Erwin sanft und unglaublich zärtlich ihre Wange berührte.
Wie erstarrt verharrte sie in dieser Position und spürte das Blut in ihre Wangen schießen, lies es heiß in ihren Adern kochen.
„Du bist verletzt", sagte er noch immer leise, fast schon raus und Eysa versuchte sich an einem Lächeln: „Ist nicht so schlimm, wie es aussieht", übernahm sie seinen Satz und wandte sich ein wenig ab, sodass er seine Hand sinken ließ und sie seine verletzte Hand wieder ergreifen konnte.
„Mike sagte, du wärst fast gestorben."
„Mike übertreibt", murrte sie, da sie nicht begreifen konnte, warum die Beiden noch immer so vertraut miteinander sprachen und sogar über sie, er es aber mit ihr nie versuchte.
Etwas ruppiger als beabsichtigt, goss sie deshalb den Alkohol über seine Hand, was ihn nun doch zucken ließ.
Beschämt über sich selbst, steckte sie die Flasche weg.
„Verzeih", murmelte sie und holte einen Tupfer hervor, mit dem sie versuchte die Wunde soweit zu säubern, das sie ihr ganzes Ausmaß sehen konnte.
„Er scheint nicht so stark ausgeholt zu haben, wie ich zuerst annahm, sonst wärst du jetzt deine Finger und deinen Kopf los", sagte sie leise und er lachte rau auf: „Doll genug, das er mich dennoch hätte töten können, nur eben langsam und vielleicht etwas qualvoller, als das schnelle Enthaupten."
Sie sah zu ihm auf, hing kurz in seinen hellen, blauen Augen und senkte schnell wieder den Blick.
Er verwirrte sie.
Das tat er schon viel zu lange.
Seine Augen wirkten gerade so warm und einladend, fast wie damals, als sie noch eng miteinander befreundet waren, doch wie lange wäre das so?
„Ich denke nähen bringt hier nicht viel. Da es nur immer wieder durch deine Bewegungen mit der Hand, aufbrechen würde. Zudem wird dich der Schmerz immer wieder daran erinnern, wie knapp das war."
Er sagte nichts, als sie seine Hand mit einem sauberen Verband umwickelte.
„Sei bitte beim nächsten Mal vorsichtiger."
„Ja" hörte sie ihn sagen und blickte wieder zu ihm auf, hielt noch immer seine Hanf und er sah ihr direkt in die Augen.
Hatte er sie die ganze Zeit so angestarrt?
„Dich so zu sehen, ist... nicht sehr angenehm", verzog sich sein Mund leicht, als er von ihren Augen, zu ihren blutverschmierten Pullover hinabsah.
Eysa ließ seine Hand langsam los und sah ebenfalls hinab.
Ihr Blut hatte die komplette Vorderseite beschmiert, sowie einen großen Teil ihrer Jacke und Schärpe.
„Ich denke es sieht nur so schlimm aus, weil es geregnet hat."
Er nickte ernst, als sie wieder aufsah: „Ja, vermutlich", murrte er und atmete tief durch.
Er blickte aus dem Fenster und das Kerzenlicht umspielte seine Züge facettenreich.
Wie gerne würde sie das was sie gerade sah auf Papier bannen.
Doch das war albern.
Sie hatte nicht vor Erwin wieder und immer wieder zu zeichnen.
Doch... sie seufzte und wandte den Blick ab.
Sollte sie es dennoch tun wollen, würde sie diesen Moment einfach aus ihrem Gedächtnis wieder aufrufen müssen.
Denn das könnte sie durchaus, wenn es um Erwin ging.
„Du denkst also das Levi dir nichts mehr tun wird?", fragte sie leise, nur um ein Gespräch am laufen zu halten, das es im Grunde nicht wirklich gab.
Sie sah auf Levis Umhang hinab und lächelte leicht.
Dieser Mann, würde nicht wieder auf Erwin losgehen, da war sie sich sicher.
„Ich bin mit sicher. Seine Augen waren mehr als deutlich."
Ihr Lächeln wurde breiter: „Ja, seine Augen scheinen zwar immer den Gleichen, gleichgültigen Ausdruck zur Schau zu tragen, doch... im Grunde hat er sehr viel Gefühl darin."
Erwin sah wieder zu ihr, das spürte sie sofort, doch wagte sie es nicht ihren Blick zu heben: „Was ist nur zwischen uns passiert, Erwin?", murmelte sie leise und bekümmert.
Sie hörte ihn seufzen: „Ich weiß es nicht. Alles hat sich irgendwie... verändert."
Sie krampfte ihre Hände um den Stoff des Umhangs: „Ja, aber warum? Habe ich etwas falsch gemacht?"
Sie schaffte es nicht ihn anzusehen, doch sah sie im Augenwinkel, wie er sich mit der gesunden Hand über das Gesicht rieb und hörte ihn tief durchatmen: „Nein, hast du im Grunde nicht. Ich weiß wirklich nicht woran es liegt. In deiner Nähe... fühle ich mich befangen und teilweise sehr unwohl. Das stört meine Konzentration und als Abteilungsführer und Soldat im Aufklärungstrupp, muss ich konzentriert bleiben."
Er fühlte sich befangen und unwohl in ihrer Nähe?
Verletzt durch seine Worte, schluckte sie schwer.
„Ich... verstehe", aber sie verstand nicht.
Warum auf einmal fühlte er sich so in ihrer Gegenwart?
Was hatte sie getan, das er sie nicht mehr als Freund ansah bei dem er sich wohlfühlen konnte?
„Ich fürchte nicht das du das tust. Ich versteh es selbst nur unzureichend."
Eysa schloss bei seinen Worten kurz die Augen und sah ihm dann in sein verwirrtes und schmerzverzerrtes Gesicht.
„Vielleicht... wenn du es selbst eines Tages richtig verstehst,... könntest du es mit dann sagen? Ich würde alles tun, damit du und ich wieder genauso unbefangen miteinander umgehen können, wie bisher."
Er lächelte leicht und nickte: „Gut. Ich werde es dich wissen lassen, doch ich weiß nicht, ob ich es je herausfinde."
Nun war es an ihr zu nicken: „Bis dahin... bleibe ich an deiner Seite. Als deine Teamleiterin und Kameradin."
Nicht als Freundin.
Von Freundin hatte sie bewusst nichts gesagt und das war ihm auch aufgefallen, dafür kannte sie ihn zu gut.
Er nickte erneut und legte dann kurz und sanft seine Hand auf ihre: „Danke, das du mich versorgt hast. Aber jetzt solltest du dich langsam zum Feuer begeben, damit deine Kleidung trocknen kann. Zudem brauchst du Schlaf."
Er selbst erhob sich ebenfalls, ließ für sie die Kerze stehen, ging zur Treppe hinüber und hinunter zu den Anderen.
Alleingelassen, saß sie auf der Bank und starrte in die Flamme.
Sie fühlte sich leer und allein.
Doch.... warum fühlte sie sich so, nur weil sie einen guten Freund verloren hatte?
Sie hatte doch noch Mike und mittlerweile sogar Hanji.
Wer weiß, vielleicht konnte sie auch Levi irgendwann dazu zählen?
Seufzend schloss sie die Augen, da sie die Antwort doch bereits kannte.
Es lag einfach daran, das er nicht irgendein Freund gewesen war.
Er war der Wichtigste seit ihrer Kindheit und er war Familie und von der hatte sie wahrlich nicht mehr viel.
Langsam erhob auch sie sich, ergriff die Tasche, den Umhang und die Kerze und lief wieder nach unten, wo sie die Flamme löschte, dem Sanitäter dankend seine Tasche zurückgab und sich ans Feuer setzte, damit sie und auch Levis Umhang, wenigstens etwas trocken konnten.
Müde und erschöpft, schlief sie sogar am Feuer ein, ohne sich ein Nachtlager hergerichtet zu haben.
Er lief die Treppe hinab, drückte sich unten angekommen in eine dunkle Ecke und lehnte sich dort an die kühle Steinmauer hinter sich.
Ihre bekümmerte Frage, ob sie einen Fehler begangen hatte in ihrer Freundschaft,... es schmerzte, doch konnte er nicht von seinem Kurs ab.
Er musste darauf vertrauen das er das Richtige tat.
Das er wusste was das Richtige war.
Er sah auf seine Hand hinab, die sie so liebevoll verbunden hatte.
Levis Angriff hatte seine Spuren hinterlassen, nur deswegen hatte er Eysa überwältigt.
Er hatte geglaubt der kleinere Mann würde sei Werk nun doch noch beenden wollen und dann war sie es gewesen, die er gegen die Wand gedrückt hatte.
Der er wehgetan hatte.
Übelkeit breitete sich in ihm aus, als er daran dachte, das er sie in dem Moment der Erkenntnis am liebsten stürmisch geküsst hätte.
Und das nicht einmal wegen ihr selbst, sondern um dieses drückende Gefühl der Gefahr in seiner Brust loszuwerden.
Später dann hatte er dann ihre eigene Verletzung registriert und ihm wurde bewusst, das er sie da draußen fast verloren hatte, wenn er Mikes Erzählung trauen durfte.
Das sie schon im Maul eines Titanen gesteckt und von diesem beinahe hinuntergeschluckt worden war.
Er hatte sie nicht einmal nach ihrem emotionalen Befinden zu fragen, immerhin wurde man nicht jeden Tag beinahe gefressen.
Was war er nur für ein Freund?
Nun lachte er leise und freudlos auf, da er ja gar nicht mehr ihr Freund war.
Was auch seine eigene Schuld war.
Was war er nur für ein jämmerlicher Mann?
Er hätte sie dort oben gerne an sich gezogen, ihr versichert, das sie wieder Freunde sein konnten, das es sie es im Grunde immer waren, doch... er konnte nicht.
Dieses Recht hatte er vertan.
Zudem würde es alles nur komplizierter machen.
Seine Gefühle für sie waren einfach zu stark und selbst wenn sie nicht mit Mike zusammen wäre, würde er sein eigenes emotionales Heil in Gefahr bringen, sollte er sie verlieren.
Was an diesem Tag ohnehin beinahe geschehen war.
Aber... war er emotional nicht ohnehin schon völlig am Ende?
Als er Eysa die Treppe hinab kommen hörte und das Flackern der Kerzenflamme erblickte, drückte er sich tiefer in die Ecke und wartete das sie vorüber war.
Er sah ihr nach, beobachtete sie einen langen Moment, ehe er die Augen geschlossen, die Fäuste ballte, bis es in der verwundeten Hand schmerzte und dann die Ecke wieder verließ.
Das alles musste ein Ende haben!
Er musste endlich aufhören seine Kindheitsfreundin und einstige Vertraute zu wollen.
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Broken Wings of Freedom
RomanceEysa Evergreen, welche zusammen mit Erwin Smith aufwuchs und aufgrund einer vergangenen Schuld ebenfalls dem Aufklärungstrupp beitrat, entdeckt im Laufe der Jahre ihre Gefühle für den einstigen Kindheitsfreund und Kameraden. Doch können diese Gefühl...