Keine Reue

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Zusammen ritten sie zu der Stelle, an der der grüne Rauch aufgestiegen war und Eysa konnte gerade noch sehen, wie Levi auf Erwin zu rannte und ihn zu Boden stieß.
Mike sprang mit gezogener Klinge sofort von seinem Pferd, um seinem Freund und Kameraden zur Hilfe zu eilen, doch zog Levi nun seine Klingen, wie Mike zuvor und sah ihn, sowie die anderen Soldaten kalt an: „Bleibt wo ihr seid!"
Keine Sekunde später hielt er sein Schwert an Erwins Hals, welcher noch schwer atmend auf dem Boden hockte.
Ihr Herz blieb ihr in der Brust stehen, als sie sich ebenfalls langsam vom Pferd gleiten ließ und langsam, vorsichtig an Mikes Seite trat.
Ihr einziger Gedanke war Erwin zu retten.
„Was zum...!", hörte sie Fritz hinter ihr sagen und konnte ihm nur zustimmen.
Was war geschehen?
Überall lagen Tote, ein Titan verdampfte und nun stürzte sich Levi auf Erwin?
„Also Erwin, ich werde dich jetzt töten, denn dafür bin ich hier!", gab Levi kalt von sich und Eysa runzelte schwer atmend die Stirn.
Das Levi eine Abneigung gegen Erwin hegte und ihn zu Anfang nur zu gern töten wollte, wusste sie ja, aber sie hatte angenommen nach all den Monaten, das dieser abgrundtiefe Wunsch Erwin tot zu sehen, sich gelegt hätte.
Erwin sah leicht bedrückt zur Seite: „Deine Freunde sind also alle tot, verstehe", dann griff er in seine Jacke und holte einen Briefumschlag hervor, „das sind die Dokumente, die Nicholas Lobov betreffen."
Verwirrt trat Eysa näher heran und lauschte seinen Worten.
Was für Dokumente und was hatte Nicholas Lobov der Politiker damit zu tun?
„Du wusstest davon?", fragte Levi erschüttert.
„Leider kommst du zu spät", gab Erwin ruhig von sich und schmiss Levi den Umschlag vor die Füße.
Leere Seiten fielen daraus hervor und Eysa verstand die Welt nicht mehr.
Was ging da gerade vor sich?
War sie die Einzige die es nicht verstand?
Levis Klinge glitt näher an Erwins Hals, als er die leeren Dokumente sah.
Warum unternahm Shadis nichts?
Sie sah sich nach ihrem Kommandanten um, welcher so wie alle anderen nur ernst am Rand des Geschehens stand und es Erwin zu überlassen schien, wie er die Dinge handhaben wollte.
Aber was war, wenn Erwin nicht Herr der Lage war?
Was wenn seine Silberzunge bei Levi nicht funktionierte und dieser ihn tötete?
Dann würden sie nicht nur Erwin verlieren, sondern auch Levi, der dafür verurteilt werden würde.
Zu sehen wie Erwin vielleicht sterben könnte, war etwas, womit sie nie gerechnet hatte und das sie nach dem Verlust ihrer Mutter und Schwester auch niemals ertragen würde.
„Das war nur ein Bluff", sagte Erwin kühl und Levi sah ihn verwirrt an.
„Ich wusste das Lobov Gelder unterschlägt und zwar Gelder des Militärs, die durch die jahrelange Aussetzung unserer Expeditionen übrig geblieben sind", begann Erwin ihm zu erklären.
Eysa wusste das Lobov ein Adliger Politiker war, aber das er Gelder des Militärs veruntreute, das hatte sie nicht gewusst.
Aber was hatte Levi mit Lobov zu tun?
„Um ihn in die Enge zu treiben, brauchte ich aber ein Paar unumstößliche Beweise. Also habe ich ein Paar Falschinformationen gestreut. Da Lobov ein vorsichtiger Mann ist, wusste ich, das er zunächst einmal versuchen würde herauszufinden, ob diese Dokumente wirklich existieren. Und wie erwartet, hat er kurz darauf euch beauftragt, sie zu stehlen. Aber wer aktiv wird, hinterlässt auch Spuren und ich musste diesen Spuren nur noch folgen, um innerhalb kürzester Zeit, an meine Beweise zu kommen. Dadurch das die andere Seite etwas unternommen hat, konnte ich sie festnageln."
„Wenn du das alles so genau wusstest, wieso hast du uns dann in den Aufklärungstrupp geholt?", fragte ihn Levi, noch immer die Klinge am Hals.
„Zum Einen, weil ihr hervorragende Kämpfer seid. Zum Anderen, weil ich euch, als Lobovs Vertragspartner, benutzen wollte, um ihn zu Fall zu bringen", beantwortete Erwin seine Frage und Eysa blickte zu Mike, welcher sich mit gezogenen Klingen zur langsam auf Levis Rücken zubewegte.
„Aber das ist jetzt nicht mehr nötig. Die wahren Dokumente, befinden sich bereits bei Generalissimo Zackly. Lobov ist bereits erledigt", gab Erwin ernst von sich und Eysa hatte das Gefühl, das er weniger beeindruckt von Levis Klinge an seinem Hals war, als alle anderen.
„Die Beiden, haben ihr Leben also... umsonst gegeben...", hörte sie Levi leise sagen und runzelte die Stirn.
Die Beiden?
Sie sah sich gehetzt um, konnte Isabel und Furlan aber nirgendwo entdecken, weswegen sie ihr Gesicht schmerzhaft verzog und verzweifelt seufzte.
Sie waren seine Familie gewesen.
Familie zu verlieren, war immer schmerzhafter, als einfache Kameraden.
„Nur weil du uns in deine nutzlosen Pläne hineingezogen hast!", holte Levi nun mit seinem Schwert aus und Eysa riss erschrocken die Augen auf, wollte die Hand nach ihm ausstrecken, sich selbst dazwischen werfen, oder den Schlag blocken, doch sie war zu weit weg, weshalb sie erstarrte.
„Aber dafür wirst du büßen!"
Mike rannte los, doch auch er war nicht schnell genug.
Das Schwert, welches mit wenig Schwung ausgeholt wurde, da die Klingen so scharf waren, das es nur geringen Aufwand bei einem Menschen bedurfte, sauste hinab und hätte Erwin enthauptet, noch ehe Mike bei ihm hätte sein können.
Erwin selbst blockte die Klinge, mit seiner bloßen Hand.
Erschrocken keuchte sie auf, sah das Blut von seiner Hand an Levis Klinge hinablaufen.
Doch sie waren noch alle dran, oder?
„Nutzlose Pläne?", fragte Erwin Levi grimmig.
„Wer war es denn, der meine Leute und deine Freunde getötet hat?, hakte er kalt nach und Levi sah ihn mit aufgerissenen Augen und zusammengebissenen Zähnen an.
„Ich etwa? Oder du? Glaubst du etwas, wenn sie mit dir gekommen wären, um mich zu überfallen, wären die Beiden mit dem Leben davongekommen?"
Mike welcher inzwischen gestockt hatte, stand nun wie Eysa einfach nur da und sah wie auch alle anderen, wie ihr Kommandant, einfach nur zu.
Erwin drückte langsam die Klinge von seinem Hals fort, ohne sie loszulassen.
„Du hast Recht. Es war mein Hochmut, mein beschissener Stolz, der sie...", begann Levi, doch unterbrach Ewin ihn lautstark, „Unsinn!"
Er riss Levis Schwert zurück, richtete sich auf und kam seinem Gesicht dadurch immer näher.
Es schien, als würde er die Verletzung an seiner Hand gar nicht spüren.
„Es waren die Titanen!", brüllte er ihn fast schon an und Eysa zuckte aufgrund seiner lauten Stimme zusammen.
Nie hatte sie Erwin so reagieren sehen.
So völlig aufgebracht und laut.
„Woher kommen diese Titanen? Warum existieren sie? Wieso fressen sie Menschen? Wir wissen es nicht! Wir wissen gar nichts. Und solange wir nichts wissen, werden die Titanen uns weiterhin fressen. Solange wir uns hinter unseren Mauern verschanzen, werden wir die Machtverhältnisse niemals kippen. Sieh dich doch mal um!", schrie er ihn weiterhin an und deutete in die Ferne.
Eysa blickte auch dorthin, wohin seine Hand wies.
„Sieht dir diese unendliche Weite an, in der man nirgends gegen eine Mauer läuft."
Überall war nur Gras, saftig und grün. Bäume die im Wind ihre Kronen schwangen und deren Blätter raschelten.
Himmel, so blau und nun beim untergehen der Sonne in den wunderschönsten Farben getaucht. Von feuerrot, bis Orange und Lila.
Vögel, die ihre Lieder sangen und friedlich in ihren Nestern ihren Nachwuchs versorgten.
Eysa sah Freiheit.
Freiheit die sie ihrer Schwester versprochen hatte.
Nina, welche sich nie um die Mauern gekümmert hatte, sondern einfach nur friedlich in ihnen leben wollte.
Erschrocken riss sie die Augen auf, als ihr mit einem Mal bewusst wurde, was das bedeutete.
Sie war damals dem Aufklärungstrupp wegen Erwin beigetreten und sich später eingeredet es für Nina weiterzuverfolgen, doch in Wahrheit hatte sie es von Anfang an nur für sich selbst getan.
Sie hatte frei sein wollen.
Sie hatte diese Welt sehen und ergründen wollen.
Nicht Nina, nicht Erwin.
Nina war durchaus glücklich gewesen mit dem einfachen Leben.
Dem Leben das sie kannte und das sie geführt hatte.
Sie war es gewesen, die nicht glücklich gewesen war.
Die Erwin unter einem Vorwand der Schuld gefolgt war, die mehr vom Leben erhoffte und erstrebte, als einen Ehemann und ein Leben als Bäckersfrau.
Mehr als ein Leben, wie es ihre eigene Mutter geführt hatte, mit Kindern und einem Haushalt.
Sie hatte die Ketten, die ihre eigenen Flügel gebunden hatte, gesprengt und etwas unternommen.
Sie hatte begonnen zu fliegen und wollte noch immer weiter hinaus.
Diese Erkenntnis war erschütternd.
War sie wirklich so egoistisch gewesen, das sie Nina und Erwin immer als Grund vorgeschoben hatte?
War sie so feige, zuzugeben das es ihr eigentlich immer nur um sie selbst ging?
Sogar Erwin schien von seinem Vorhaben abgekommen zu sein, die These seines Vaters zu beweisen und lebte nur noch für den Aufklärungstrupp und die Rettung der Menschheit, wenn sie ihn so reden hörte.
„Vielleicht gibt es ja hier irgendetwas, das Licht in unsere Hoffnungslosigkeit bringen kann", hörte sie wieder Erwins Stimme und kam zurück in die Wirklichkeit.
„Nur gibt es da Leute, die unbedingt verhindern wollen, das wir diese Mauern verlassen und die sitzen schön in Sicherheit und denken an nichts anderes, als an ihren persönlichen Gewinn,"
Nun richtete Erwin sich komplett auf und überragte den kleineren Mann bei weitem und betrachtete ihn kalt.
„Kein Wunder also, das die von vermeintlicher Sicherheit, getrübten Augen der Menschheit, die Verheißung der Außenwelt, gar nicht mehr sehen können. Aber wie ist es bei dir Levi, sind deine Augen auch getrübt?"
Levi sah ihn verzweifelt an.
Er schien mit sich und dem, was er nun alles von Erwin erfahren hatte, zu ringen.
„Willst du mich töten und in die Dunkelheit der Unterwelt zurückkehren?", fragte er ihn und drückte Levis Klinge weiter nieder.
Mittlerweile war seine Hand über und über mit Blut und sie machte sich Sorgen, was solch eine Verletzung seinen Sehnen antun könnte.
Eysa war kein Arzt, aber sie wusste, das es durchaus sein konnte, das seine Hand hinterher nicht mehr zu gebrauchen war.
„Wir werden den Plan, die Mauern zu verlassen, niemals aufgeben. Also kämpfe mit uns im Aufklärungstrupp Levi. Die Menschheit braucht deine Fähigkeiten!"
Levi sah ihn lange an und Erwin ließ die Klinge endlich los.
Es schien, als sei Levi erstarrt, als wenn er versuchte zu begreifen, was es ihn gekostet hatte, diese Erkenntnis vor die Füße geworfen zu bekommen.
Mit einem Mal ließ er seine Klinge aus seinem Griff fallen und murrte: „Aber jetzt ist es kein Deal mehr, klar?"
Erwins Mundwinkel zuckte zu einem kleinen Lächeln und Eysa war erstaunt, wie gut Erwin in der Lage war Menschen zu überreden und zu manipulieren.
Als immer mehr der Sonne durch die Wolken brach und die Situation sich entspannt zu haben schien, setzten sich alle wieder auf ihre Pferde.
„Beeilt euch", wies Shadis an, „wir reiten zu den Gepäckwagen, um uns mit trockenen Schallgeschossen einzudecken. Von dort aus, formieren wir uns dann neu und reiten zurück zu unserem Versorgungsstützpunkt für die Nacht. Ehe wir Morgen hinter die Mauern zurückkehren."
„Jetzt, da das Wetter wieder umschlägt, werden die Titanen sicher auch wieder aktiver", sagte Mike neben ihr und stieg auf sein Pferd.
Eysa nickte und ergriff die Zügel ihres Pferdes, doch lag ihr geschockter Blick noch immer auf Erwin.
Er hatte sich nichts um die Hand gebunden, als er aufsaß und die Zügel ergriff.
Er musste diese Wunde unbedingt ansehen lassen.
„Fragon und seine komplette Einheit haben es nicht geschafft, Kommandant", hörte sie gerade einen Soldaten Bericht erstatten.
„Nun, zumindest alle, bis auf diesen Levi da."
Shadis nickte und sie saß endlich auf.
„Wie sieht es bei Ihnen aus, Soldat Evergreen?", fragte er sie, woraufhin sie ihn bekümmert ansah: „Bei uns hat es Marlo Tolbert nicht geschafft, Sir. Hershel Green hat sich vermutlich das Bein gebrochen und Carolina Schulz steht unter Schock. Sonst sind alle am Leben."
Er nickte ernst: „Sobald wir den Versorgungsstützpunkt für die Nacht erreicht haben, lassen sie einen Sanitäter ihre Wange untersuchen. Sie blutet ziemlich stark."
Verwirrt hob sie wie schon vor einiger Zeit, eine Hand an ihre Wange und zuckte leicht zusammen.
Es blutete wirklich noch immer, wenn auch nicht mehr so stark, wie zuvor.
Sicherlich sah sie übler aus, als sie sich fühlte.
Sie blickte an sich hinab und entdeckte, das auch ihr grauer Pullover voll geblutet war.
Vermutlich war ihre Wunde tiefer, oder größer, als sie bisher angenommen hatte.
„Los geht's!", rief Shadis und alle ritten los.
Sie plünderten ihren Versorgungswagen, welchen sie glücklicherweise wiederfanden und erreichten kurz vor Einbruch der Nacht, ihren Stützpunkt.
Alle waren sie völlig durchnässt und während sich einige dieses Mal um sämtliche Pferde kümmerten, machten andere mehrere Feuer bereit, damit sich wirklich alle trocknen konnten.
Eysa überreichte ihr Pferd einem anderen Soldaten und suchte erschöpft einen Sanitäter wegen ihrer Wange auf.


Broken Wings of FreedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt