Frostfest

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„Sag, was ist eigentlich mit deiner Wange passiert?", fragte Ian sie leise und verlegen glitt ihr Blick zu Boden.
Sobald sie das Tor von Trost durchquert hatten, hatte sie der Lärm der Feiernden empfangen.
Sie hatten sich in die Reihen der vielen Menschen gesellt, wo Ian ihnen beiden einen kandierten Apfel geholt hatte, etwas das Eysa seit ihrer Kindheit nicht mehr gegessen hatte und dessen Geschmack ihr auf der Zunge zerging.
„Ich... als wir das letzte Mal auf einer Expedition hinter die Mauern waren, ergriff mich ein Titan und als ich mich verteidigt habe, zerbrach meine Klinge und dabei... ist das passiert."
Sie hob ihre Hand und strich mit den Fingern über die mittlerweile feine Narbe, von der sie wusste, das noch zwei kleinere, kaum wahrnehmbar, direkt darunter waren, wo die Splitter sie getroffen hatten: „Sieht es... sehr schlimm aus?"
Ihre Stimme war leise, da sie sich ein wenig für ihre Eitelkeit schämte.
Nie hatte sie viel auf ihr Aussehen gegeben, doch seitdem Erwin Marie so angesehen hatte, dachte sie immer wieder darüber nach, ob sie für einen Mann überhaupt anziehend sein konnte und nun, mit der Narbe...
Ian ergriff ihre Hand, zog sie sanft von ihrer Wange, was sie irritiert zu ihm aufblicken ließ und sah ein weiches Lächeln in seinem Gesicht.
„Gar nicht. Es sieht überhaupt nicht schlimm aus. Eysa du...", nun wurde er wieder verlegen, ließ ihre Hand los und hob seine an seinen Nacken und lachte unsicher auf. „sieh nur", deutete er hinter sie, weswegen sie sich umwandte.
Innerlich fragte sie sich jedoch, was er ihr hatte sagen wollen.
Mit großen Augen begann sie jedoch zu lächeln, als sie die tanzenden Menschen erblickte, welche sich auf einer Wiese zu den wunderschönen Klängen bewegten, den die Musiker veranstalteten.
Ian ergriff erneut ihre Hand: „Komm, lass uns tanzen."
Erstaunt sah sie ihn an und ließ sich von ihm mitziehen: „Ich.. ich kann gar nicht tanzen."
Er warf ihr mit lachenden Augen einen Blick über die Schulter zu und drehte sich dann mit ihr herum, als er die anderen Paare erreichte.
Sanft ergriff er ihre andere Hand und zog sie an sich: „Das musst du auch nicht. Es soll nur Spaß machen."
Er hob ihre ineinander verschlungenen Hände und hielt sie über ihren Kopf, während er sie darunter hindurch drehte und dann wieder ihre freie Hand ergriff.
Die Musik war lebhaft und sie war fast schon erleichtert, das es keine langsame Melodie war, die sie gezwungen hätte, ihm nahe zu sein.
Nicht das sie der Gedanke störte, es war eher die Angst, ihm auf die Füße zu treten.
Ian wirbelte sie jedoch so sehr herum, das sie gar keinen Gedanken mehr daran verschwenden konnte, wie schlecht sie sich bewegte.
Er brachte sie damit zum Lachen.
Es war ausgelassen, gelöst und sie fühlte sich in seiner Nähe immer wohler, vor allem in ihrer eigenen Haut.
Als die Musiker das Lied nach einer gefühlten Ewigkeit, die ihr jedoch wie ein Wimpernschlag erschien, beendeten, zog er sie noch einmal fest an seine Brust und sah außer Atem und mit einem Lachen, das seine Augen zum strahlen brachte, zu ihr hinab.
Auch sie war außer Atem und sah gebannt zu ihm auf.
Sie hätte nie gedacht, das der Abend so sein würde.
Mit ihm, nicht mit Erwin.
Schnell trat sie zurück und entzog ihm ihre Hände, da sie schon wieder an Erwin dachte.
Sie musste damit aufhören und sie wünschte sich so sehr, ihr Vater hätte ihr nicht diese Flausen in den Kopf gesetzt über Erwins Blicke und eventuellen Gefühle.
Sie war mit Ian hier, nicht mit Erwin und sie wollte es auch gerade gar nicht anders haben.
„Das war schön", sagte er leise neben ihr und sie nickte.
„Ja, das war es wirklich. Ich habe noch nie so viel Spaß gehabt."
Das schien ihn zu erleichtern und er ergriff nun mutiger ihre Hand und führte sie den Weg entlang, an dem die Stände waren, dort kaufte er zu ihrer Überraschung einen Kranz Blumen und legte ihn ihr auf das Haar.
„Es ist kein Strauß, aber so hast du die Hände frei und zudem siehst du noch viel... hübscher aus."
Verlegen wurde sie rot um die Nase und bedankte sich bei ihm, ehe sie zusammen weitergingen.
Die Musiker stimmten das nächste Lied an und egal wie weit sie sich entfernten, sie konnte sie immer noch hören.
Sowie das Lachen der Tanzenden.
„Gleich beginnt das Feuerwerk. Lass uns dafür einen ruhigen Ort suchen."
Einen ruhigen Ort?"
Sie nickte und fragte sich mit heftig klopfendem Herzen, was genau er unter ruhig verstand.
Sie konnte nur hoffen, das er es jetzt nicht doch noch versaute und zu schnell anging.
Ian führte sie durch die Stände und weiter den Weg hinüber zu einer der anderen Wiesen, auf denen nicht getanzt wurde, dafür aber verstreut überall Paare saßen, welche sich ebenfalls einen Platz für das Feuerwerk gesucht hatten.
Etwas erleichtert, das Ian unter ruhig lediglich einen Platz auf eben dieser Wiese meinte und keinen Ort, wo sie gänzlich alleine sein würden, setzte sie sich neben ihm auf das Gras nieder.
Die Halme waren weich und leicht feucht unter ihren Handflächen und sie konnte nicht anders als Ian glücklich anzulächeln.
Noch ehe er etwas sagen konnte, zuckte sie erschrocken zusammen, als die erste Rakete am Himmel explodierte.
Überrascht sah sie hinauf und betrachtete wie immer fasziniert das bunte Spiel der Lichter.
„Sie sehen aus Blumen", murmelte sie leise und Ian legte sanft einen Arm um ihre Schultern.
Überrascht blickte sie vom Himmel zu seinem Profil auf und musste ein Lächeln verkneifen, als sie wieder aufblickte.
„Sag... was wolltest du mir vorhin eigentlich sagen, ehe du mich regelrecht zum tanzen gezwungen hast?"
Er wurde nervös, das spürte sie sofort, da sein Arm um ihrer Schulter sich versteifte und er verlegen beiseite sah: „Ich... ich wollte dir nur sagen, das du immer... wunderschön bist. Für mich... warst du das schon damals, bei der Trainingseinheit. Ich war nur zu feige dich anzusprechen. Dann warst du auch noch immer mit deinen Freunden zusammen und ich traute mich noch weniger es vor ihnen zu tun. Doch vor ein paar Tagen in Quinta, da... sah ich meine Chance, als du ganz alleine warst."
Überrascht über sein Geständnis, sah sie wieder zu ihm auf und er wagte es auch endlich wieder zu ihr hinabzublicken.
Unsicher huschten seine Augen über ihr Gesicht und sie entwand sich seinem Arm, welcher noch immer um ihre Schultern hing.
Enttäuscht sah er sie an, doch holte sie etwas umständlich aus ihrer Tasche und ergriff seine Hand.
Erstaunt sah er auf sie hinab, als sie begann das blaue Band, welches sie vor ein paar Tagen gekauft hatte und das ihrem ähnelte, um sein Handgelenk zu binden.
Mit klopfendem Herzen sah sie wieder zu ihm auf, während er das Band betrachtete: „Du willst... mich also wiedersehen?", fragte er leise und sie nickte peinlich berührt: „Ja."
Wenn das Mädchen nach der Verabredung auf dem Frostfest den Mann wiedersehen wollte, dann schenkte sie ihm ebenfalls ein Band, das sie ihm um das Handgelenk band.
Sie hatte gewusst, oder eher gehofft, das der Abend schön werden würde und vorsorglich eines gekauft.
Er hob die Hand mit dem Band an ihre Wange und vergessen war das Feuerwerk über ihren Köpfen.
Sie war gefangen in dem Augenblick, den er herbeigeführt hatte.
Leicht beugte er sich hinab und Eysa konnte nichts weiter tun, als flackernd die Augen zu schließen.
Es würde ihr erster Kuss sein und sie war mehr als aufgeregt.
Sie konnte seinen warmen Atem auf ihren Lippen fühlen, doch noch ehe er ihre Lippen mit seinen berührte, wurde er angerempelt und ein betrunkener Mann schüttete etwas von seinem Getränk auf Ians Hemd.
Erschrocken sah sie zu ihm auf und er verzog leicht das Gesicht, als der Mann sich lallend entschuldigte und mit der Frau an seiner Hand weiter über die Wiese lief, um sich daraufhin irgendwo niederzulassen.
„Ich... entschuldige, hast du auch etwas abbekommen?", fragte er Eysa besorgt, woraufhin sie den Kopf schüttelte.
„Ich... verdammt...", murmelte er und sah sie traurig an: „Ich hole schnell etwas um mich abzutrocknen. W...warte hier."
Eysa nickte und sah ihm bekümmert nach.
Der Moment war verstrichen und seufzend lehnte sie sich etwas zurück, blickte in den Himmel, wo noch immer das Feuerwerk alles erhellte.
Vielleicht konnten sie es nachher noch einmal versuchen, wenn sie zurückgingen?
Sie fragte sich wie es gewesen wäre und kurz, ganz kurz fragte sie sich wie es mit Erwin sein würde.
Wütend über sich selbst senkte sie den Blick und versuchte sich zu ermahnen endlich mit den Gedanken bei Ian zu bleiben.
Denn das war sie eben doch auch gewesen, als er sie küssen wollte.
Sie hatte nur ihn gesehen.
Hatte ihn küssen wollen.
Doch noch während sie weiterhin über sich selbst wütend war, wurde ihr auch schon ein Tuch über Nase und Mund gepresst und sie riss erschrocken die Augen auf.
Die Arme hebend, um sich von ihrem Angreifer zu befreien, schlug sie jedoch nur in die Leere und spürte wie ihr die Augen langsam zufielen, ehe sie gänzlich in sich zusammensackte und Dunkelheit sie umfing.


Broken Wings of FreedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt