837 war das Jahr, in dem Erwin und Eysa der militärischen Ausbildung beitraten.
Nina war mittlerweile 11 Jahre alt und ihr beider Vater hatte sich wieder soweit im Griff und mit der Bäckerei wieder festen Boden unter den Füßen, das Eysa mit ihren 14 Jahren diesen Weg einschlagen konnte.
Und nun stand sie aufgereiht mit einer Menge anderer junger Rekruten in den verschiedensten Altersgruppen, von 12 bis 17 Jahren auf dem Trainingsgelände.
Das Herz bis zum Hals pochend, die Knie zitternd.
Sie fühlte einerseits einen gewissen Stolz die Uniform der Kadetten tragen zu dürfen, doch andererseits war sie nicht so verrückt zu glauben, das ein Leben im Dienst des Militärs nicht gefährlich werden könnte.
Vor allem, wenn man nicht wusste in welche Einheit Erwin vorhatte einzutreten.
Und Eysa kannte Erwin seit ihrer Geburt, sie ahnte daher schon wohin das Schicksal sie führen würde.
Ausbilder Hermann, ein Mittvierziger, mit lichtem braunem Haar auf dem Kopf und einem Schnauzbart, lief die Reihen der Rekruten ab und begann sie aufzufordern sich laut und deutlich den anderen vorzustellen.
Eysa war nie ein Mensch gewesen der so viel Selbstbewusstsein besaß, das sie sich damit wohlfühlen würde sich selbst anderen gegenüber vorzustellen, aber als der Ausbilder nun neben ihr vor einem hochgewachsenen Jungen ankam, schluckte sie heftig, da sie wusste, sie würde die Nächste sein.
„Mike Zakarius", sagte der Junge mit ruhiger Stimme, „Ich bin 17 Jahre alt und komme aus einer Gegend in Orvud."
Eysa hatte das Gefühl das ihm das Sprechen vor anderen in dieser Lautstärke ebenso missfiel wie ihr, aber das kümmerte den Ausbilder ohnehin nicht.
Dieser nickte kurz und trat nun zu ihr.
Ernst musterte er sie von oben bis unten und zog eine Braue skeptisch nach oben.
Sie wusste was er sah, ein kleines Mädchen von gerade einmal 1,55cm Größe, das zudem ziemlich schmächtig gebaut war.
Aber ihre Mutter hatte immer gesagt, klein aber fein und daran musste sie glauben.
„Und du?", fragte er mit seiner tiefen Stimme.
Sofort richtete Eysa sich weiter auf, drückte ihren Rücken durch und versuchte so entschlossen wie möglich auszusehen: „Eysa Evergreen, 14 Jahre. Ich komme aus Quinta."
Noch einen Moment musterte er sie, schnalzte dann mit der Zunge und lief zu dem Mädchen neben sie.
Enttäuscht runzelte sie die Stirn, aber was hatte sie erwartet?
Das er in ihr etwas Großes sehen würde?
Eine Führungskraft zum Beispiel?
Welch alberner Gedanke.
„Nile Dawk, 16 Jahre alt und aus Karanese", hörte sie einen Jungen weiter rechts und wusste, das auch Erwin nun folgen würde.
„Erwin Smith, 17 Jahre alt und aus Quinta."
Als sie seine Stimme hörte, erfüllte eine Wärme ihr Herz.
Seit er seinen Stimmenbruch hinter sich hatte und nun eine erwachsenere, männlichere Stimme hatte, hörte sie ihm noch viel lieber zu als früher schon.
Und auch sonst hatte seine gesamte Erscheinung etwas an sich, das ihr Herz seltsam flattern ließ, auch wenn sie nicht recht begriff warum das so war.
Immerhin kannte sie ihn seit ihrer Geburt, sie waren Nachbarn und später Freunde geworden, für sie war das Erwin.
Verwirrt versuchte sie sich wieder zu konzentrieren, als der Ausbilder über den Platz rief: „Morgen früh um 7 Uhr steht ihr alle hier auf dem Platz und dann beginnt euer Training. Wer nicht pünktlich ist, kann gleich seine Sachen packen und wieder nach Hause gehen!"
Dabei blickte er einmal ernst in die Runde: „Das hier ist eine ernstzunehmende Trainingseinheit. Ich erwarte, dass sie alle mit ganzem Herzen bei der Sache sind und mit vollem Körpereinsatz trainieren werden, denn sonst ist das auch ein Grund sie nach Hause zu schicken."
Erneut begann er die Reihen abzugehen, während er fortfuhr: „Sie werden feststellen, dass die Ersten von ihnen bereits nach drei bis vier Tagen von sich aus abreisen werden. Nur die Hartgesottenen von Ihnen, werden diese drei Jahre bestehen und nur die 10 Besten unter ihnen, werden die Möglichkeit haben sogar der Militärpolizei beitreten zu können, sollte dies ihr Wunsch sein."
Alle auf dem Platz blieben still und lauschten den strengen Worten dieses lauten Mannes.
Eysa hatte nie wirklich bedacht wie hart die kommenden 3 Jahre werden könnten und das so viele schon relativ am Anfang das Handtuch schmeißen würden.
Konnte sie überhaupt mithalten und an Erwins Seite bleiben?
Unsicher lehnte sie sich etwas nach hinten und blickte nach rechts hinüber, wo Erwin irgendwo stand und konnte nur knapp seinen Hinterkopf sehen, leider zu wenig um sie zu beruhigen.
„Und nun, gehen sie in die Kantine und essen etwas. Danach sollten sie sich in ihre Schlafräume begeben, der Tag morgen wird lang und anstrengend. Nur als Wort der Wahrung!"
Damit entließ er sie und unsicher seufzend verharrte Eysa einen Moment auf dem Platz, ehe sie zu Erwin hinüberlief, mit dem sie vorhatte in die Kantine zu gehen.
Sie konnte wirklich nur hoffen, das sie sich nicht übernommen hatte und schon nach wenigen Tagen rausgeworfen wurde.
Mit ihrem Essenstablett stand sie neben Erwin, welcher so viel größer neben ihr wirkte und suchte nach einem freien Platz.
Es war so überfüllt in dem Raum, das sie mit ihrer geringen Körpergröße kaum über die vielen Menschen hinwegsehen konnte.
Alles was sie sah, waren lauter besetzte Tische.
Als plötzliche etwas ihr Haar am Ohr streifte und dann eine Stimme dicht an ihrer Seite erklang, zuckte sie erschrocken zusammen.
„Komm mit", hörte sie und blickte sich über die Schulter um, wo sie den Jungen erblickte, der auf dem Platz neben ihr gestanden hatte.
Mike... Za... Zakarius!
Es war sonderbar das er sich zu ihr hinabgebeugt hatte, um ihr ins Ohr zu flüstern.
Er hätte sie doch auch auf die Schulter tippen und normal mit ihr sprechen können, oder nicht?
Ein Schauer jagte ihr über den Rücken, als ihr der Gedanke kam, er könnte an ihr gerochen haben, denn genauso hatte es sich angefühlt.
Sie blickte in seine hellen, graublauen Augen auf und wusste nicht was sie von ihm halten sollte.
„Ich bin Mike Zakarius", stellte er sich nun persönlich sowohl Eysa als auch Erwin vor.
„Dort vorn ist noch etwas Platz."
„Danke", erwiderte Erwin lediglich, welcher sich nicht so irritiert zu fühlen schien, wie Eysa.
Sie folgten Mike daraufhin durch das Gedränge und Eysa musste ihren Verdacht, er könnte so unsicher sein wie sie, wenn es darum ging mit anderen, oder vor einer Menge zu sprechen, revidieren.
Er wirkte alles andere als unsicher oder ängstlich.
Alles an ihm wirkte entspannt und ausgeglichen, was sie nun vermuten ließ, das er sich einfach nur nicht die Mühe einer Konversation machen wollte.
„Sag mal, habe ich mir das nur eingebildet, oder hast du an mir...". unsicher lief sie neben ihm und Erwin her und starrte dabei auf ihr Tablett hinab, „hast du an mir gerochen?"
So eine unangenehme Frage hatte Eysa noch nie jemanden stellen müssen und sie spürte nur zu deutlich Erwins Blick auf sich ruhen.
Doch wollte sie diese Sache nicht unausgesprochen im Raum stehen lassen, immerhin konnte Mike ein neuer, potentieller Freund und Kamerad sein, ein Vertrauter in der Zukunft.
Er nickte mit einem leicht süffisanten Grinsen im Gesicht, was sie verwirrt die Stirn runzeln ließ.
„Das hat er bei mir auch getan", hörte sie nun Erwins Stimme neben sich interessiert sagen und blickte nun zu ihm überrascht auf, doch sagte Mike nichts weiter dazu.
„Ah Mike, da bist du ja", rief ein dunkelhaariger, schlaksiger Junge mit wirrem Haar, welche er an den Seiten kurzgeschoren hatte.
Als Mike sich setzte, rutschte er auf der Bank zu diesem Jungen hinüber, sodass Eysa und Erwin ebenfalls Platz nehmen konnten.
„Danke", murmelte sie leise zu ihm und betrachtete die beiden Jungen unauffällig.
„Wen hast du denn da mitgebracht?", fragte der Dunkelhaarige, doch schwieg Mike einfach, weswegen Eysa sich selbst und Erwin vorstellte: „Ich bin Eysa... Eysa Evergreen und das ist mein Freund Erwin Smith."
Der Junge neben Mike reichte ihr die Hand: „Nile Dawk."
Das war also der Junge, der neben Erwin in der Reihe auf dem Platz gestanden hatte.
„Ihr seit also zusammen?", fragte Nile und Erwin, welcher seinen Löffel Suppe bereits zum Mund geführt hatte, stockte und senkte die Hand: „Nein. Wir kennen uns nur seit wir Kinder waren."
„Ah, verstehe. Ich hatte schon befürchtet, das ihr hier eure romantische Beziehung ausleben wollt. Das würde definitiv nicht funktionieren, glaubt mir."
Bei diesen Worten senkte Eysa peinlich berührt den Blick und begann nun zaghaft die Suppe zu essen.
„In welche Einheit möchtet ihr, wenn wir die Ausbildung hinter uns gebracht haben?", fragte Nile und Mike murmelte in seinen Löffel: „Ich weiß es noch nicht genau."
„Ich... weiß es ebenfalls noch nicht sicher", stimmte Eysa ihm bei und fühlte sich ein wenig unwohl, das sie erneut Erwins Blick auf sich spürte.
„Ich werde zum Aufklärungstrupp gehen", hörte sie jedoch nun seine ruhige Stimme neben sich und erstarrte.
„Mutig. Nicht jeder würde dorthin wollen. Ich selbst möchte ebenfalls in den Aufklärungstrupp. Dann werden wir wohl Kameraden. Auf gute Zusammenarbeit", lächelte Nile ihm zu und Eysa schaffte es nicht das drückende Gefühl in ihrem Innern zu unterbinden.
Sie hatte das Gefühl als würde ihr die Luft zum Atmen geraubt werden.
Aber sie hatte es doch geahnt, oder nicht?
Sie hatte von Anfang an gewusst in welche Einheit er gehen würde.
Warum war sie dann jetzt so geschockt?
Eysa versuchte sich nichts anmerken zu lassen, begann mit leicht zittriger Hand ihre Suppe zu löffeln und schaffte es nicht sich in die Unterhaltung zwischen den Beiden einzubringen.
Sobald sie aufgegessen hatten, machten sie sich auf den Weg in die Schlafkammern.
Die Jungs waren so freundlich Eysa zu dem Mädchentrakt zu bringen, ehe sie sich verabschiedeten und grinsend davongingen.
Ein wenig bekümmert blickte sie ihnen nach, war betrübt, da sie nun allein zu fremden Mädchen in das Zimmer gehen sollte, während die Jungs sich schon gefunden hatten.
Wie gerne würde sie auch mit Erwin gehen, doch das war schlichtweg nicht möglich, was sie frustrierte.
Als sie den Raum betrat, schliefen schon einige und andere unterhielten sich noch leise, während sie sich umzog und in eines der unteren Betten legte.
Aufgeregt und den Tag in ihrem Kopf noch einmal Revue passieren lassend, starrte sie auf das Bett über sich.
Doch schloss sie irgendwann die Augen, bei dem Gedanken, das sie die Jungs, die wohl ihre Kameraden und auch Freunde werden konnten, morgen schon wiedersah.
Das sie Erwin morgen wiedersah, der ihr so nahestand, wie es sonst nur ihre Familie tat.
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Broken Wings of Freedom
Roman d'amourEysa Evergreen, welche zusammen mit Erwin Smith aufwuchs und aufgrund einer vergangenen Schuld ebenfalls dem Aufklärungstrupp beitrat, entdeckt im Laufe der Jahre ihre Gefühle für den einstigen Kindheitsfreund und Kameraden. Doch können diese Gefühl...