Die Quarantäne

51 5 0
                                    

Mehrere Stunden ritten sie und erreichten Shiganshina in den frühen Morgenstunden, des darauffolgenden Tages.
Hektisches herumfragen, hatte dazu geführt, dass sie irgendwann endlich die Quarantäne fanden, in der Dr. Jäger seine Patienten behandelte.
Ohne auf Mike zu warten, ergriff Erwin Eysa fester und glitt mit ihr von seinem Pferd.
„Mike, die Pferde!", rief er seinem Freund und Kameraden zu, welcher bloß nickte und die Pferde irgendwo anbinden wollte.
Erwin konnte nur hoffen, das es für Eysa nicht zu spät war.
Er wollte nicht an so etwas denken, aber leider schlich es sich immer wieder in seinen Kopf, das er sie verlieren könnte.
Seine Freundin und Kameradin, seine Vertraute, seit Kindertagen.
Er betrat das Gebäude und sah sich in dem ganzen Trubel aus Kranken und Pflegern, nach jemanden um, der ihm helfen könnte.
„Halt, warten sie!", hielt er eine Frau auf, die an Erwin vorbeieilen wollte und sah sie hektisch an.
Sie musterte ihn und dann Eysa in seinen Armen: „Ist sie krank?"
Er nickte erschöpft und sie führte ihn sofort weiter in das Gebäude hinein, wo überall Kranke lagen, in Betten, am Boden..., so etwas hatte Erwin noch nie zuvor gesehen.
Erwin musste aufpassen, das er auf niemanden drauf trat, oder über jemanden stolperte, als die Schwester, ihn zu einem provisorischen Bett führte, welches aus übereinander gestapelten Kisten bestand, über die man Laken gezogen und auf die man eine Decke und ein Kissen gelegt hatte.
Es war zwar leer, aber wohl bis vor kurzem noch belegt gewesen, das wurde Erwin klar und er konnte wohl froh sein, das Eysa nicht auf dem Boden liegen musste.
Doch der Gedanke an die Person, welche vorher dort gelegen hatte, ob sie lebte oder gestorben war, wollte Erwin nicht loslassen.
„Wie lange hat sie bereits Fieber?", fragte sie ihn und er konnte, nachdem er Eysa vorsichtig abgelegt hatte, nur schwach den Kopf schütteln: „Ich weiß es nicht. Sie wollte ihre Familie besuchen und kam nicht zurück."
Mike trat an seine Seite und erleichtert sah Erwin ihn an, da er das hier nicht alleine schaffen wollte.
„Ist sie ihre Frau, oder Verlobte?", fragte sie ihn weiter und begann Eysa zuzudecken und das Kissen etwas unter ihrem Nacken zu rücken.
Erwin schüttelte erneut den Kopf: „Nein, wir sind in derselben Einheit."
Sie hob den Blick, musterte sein und Mikes Emblem der Flügel der Freiheit, runzelte die Stirn und nickte schließlich.
Sie schien das zuvor wohl nicht wahrgenommen zu haben, doch es missfiel ihr, das war eindeutig.
Was sie hoffentlich nicht davon abhalten würde, ihren Job zu tun und Eysa zu helfen.
„Ich werde Dr. Jäger Bescheid sagen, er kommt sofort und wird sie sich ansehen."
„Danke", erwiderte Erwin schwach, als sie auch schon an ihnen vorbeilief und verschwand.
Er konnte nur hoffen, das sie bald schon mit dem Dr. wiederkommen würde.
„Einige der Kranken hier sind bereits tot", murmelte Mike leise und blickte sich um.
„Das war damals bei der ersten, großen Epidemie nicht anders", gab Erwin leise von sich und betrachtete nur Eysa, die völlig schwach und klein auf diesem „Bett" lag.
„Zu viele Kranke, zu wenige die helfen können. Manchmal werden Tote erst nach Tagen entdeckt, obwohl sie hier offen liegen."
Mike nickte ernst und setzte sich neben Eysa auf einen Stuhl.
Er ergriff ihre Hand und sah dann zu Erwin auf: „Nun, sie wird nicht so enden. Und ich bleibe an ihrer Seite."
Erwin musterte seinen Freund, betrachtete seine Hand, die Eysas fest umschlungen hielt und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob da nicht Gefühle im Spiel waren und ob Eysa diese auch erwiderte.
Eifersucht brodelte in ihm hoch und er ferachtete sich dafür, da dies der denkbar schlechteste und unangebrachteste Moment war, den es gab.
Eben noch war er in Panik um sie, war erschöpft und dankbar, als die Frau ihnen das „Bett" zur Verfügung gestellt hatte und nun störte ihn die Innigkeit, mit welcher Mike sich um Eysa kümmerte.
Es störte ihn und das es ihn störte hasste er.
Eysa war seine Kindheitsfreundin und er sollte der wichtigste Mensch in ihrem Leben sein, neben ihrer Familie, verstand sich, doch er hatte das Gefühl, das Mike ihr mittlerweile viel näher stand als Erwin es tat.
Schnell wandte er sich ab, wollte das alles nicht mehr sehen, wollte diese Gefühle mit dem Abwenden seines Blickes, abschütteln.
Er musste etwas tun, etwas anderes als dieses elende Warten.
Vielleicht musste er aber auch einfach nur fort.
„Ich gehe und suche diesen Dr. Jäger", damit rauschte er davon und hatte das Gefühl, in diesem Gebäude keine Luft zu bekommen.
Seine Lungen schmerzten und sein Herz hämmerte wie verrückt in seiner Brust.
Am liebsten würde er einfach raus rennen und tief durchatmen, doch... er hatte gesagt, er würde den Doktor suchen.
Also tat er dies auch.

....

Erwin lief eine Ewigkeit durch das Gebäude und suchte auch außerhalb in den provisorisch aufgestellten Zelten, oder Unterdachungen.
Er half hier und da mit, griff beim Abtransport der Toten unter die Arme, doch den Doktor fand er nicht.
Als er endlich zu Mike zurückkehrte, stand dieser jedoch bereits an Eysas Seite und Erleichterung umfasste Erwins Herz.
Er würde ihr helfen.
Er musste ihr helfen.
„Erwin", hörte er Mikes Stimme, doch starrte er unentwegs auf den Doktor.
„Wie geht es ihr?", hörte er sich selber fragen und der Arzt, ein Mann mit längeren, dunklen Haaren und einer Brille, sah ihn an.
Er wirkte nicht erschöpft, was erstaunlich war, wenn man bedachte wie intensiv er sich in den letzte Tagen um die Kranken kümmerte.
Im Gegenteil, er schien völlig in seinem Element und strahlte Begeisterung darüber aus, das er etwas tun und den Leuten mit seinem Wissen und Können, helfen konnte.
Und obwohl er sicherlich bereits Mike berichtet hatte, wie es um Eysa stand, wiederholte er es auch für Erwin in einem ruhigen Ton.
„Sie ist sehr schwach. Doch kann ich ihr das Heilmittel noch nicht injizieren, da es erst einmal die Kinder und jene bekommen, die ohne nicht mehr lange durchhalten würden. Ihre Freundin, ist noch stark genug. Sie könnte es schaffen so lange durchzuhalten."
Stark genug?
Könnte es schaffen?
Erwin runzelte die Stirn: „Was soll das heißen, sie könnte? Sie... Sie sagten doch eben, sie haben ein Heilmittel. Wie lange dauert es, dieses zu verteilen?"
Bedauernd senkte er die Augen: „Wir haben eins, doch... der Aufwand der Produktion, ist groß und fordert Zeit. Ich werde nie an einem Tag genug haben, um jeden hier etwas davon geben zu können. Deswegen müssen so viele warten."
Und sterben, dachte Erwin verzweifelt.
„Aber ich bin entschlossen, jedem hier zu helfen. Auch wenn,... es mir nicht immer möglich ist."
Er legte Erwin eine Hand auf den Arm und drückte kurz zu, doch dieser bemerkte es kaum.
Er fühlte sich taub und machtlos.
„Bitte teilen sie mir mit, wenn ihr Zustand sich verschlechtert", damit verließ der Doktor die und kümmerte sich um andere Patienten.
Beklommenheit erfasste sein Herz und es tat weh, wie Erwin feststellen musste.
Er blickte mit leeren Blick zu Eysa hinab, sah dieses viel zu bleiche, gequälte Gesicht und wusste, dass er sich nie wieder, sollte sie sterben, an ihr Lachen, oder ihre blauen Augen erinnern würde.
Er würde immer nur das hier sehen.
Diesen Moment seiner eigenen Machtlosigkeit und Schwäche.
„Erwin?", Mikes Stimme riss ihn aus seiner Lethargie und er wandte sich seinem Freund zu.
„Sie braucht andere Kleidung. Sie zittert und ist völlig nassgeschwitzt. Wir... müssen.... sie waschen."
Mike sah bekümmert auf Eysa hinab und Erwin war bewusst, dass keiner von ihnen beiden ihr diesen Dienst erweisen konnte.
„Ich besorge frische Kleidung", hörte er sich selbst sagen und verließ Mike, welcher ihm erschrocken nachblickte.
Er war ein Monster.
Das er seinen Freund mit dieser Aufgabe alleine ließ und er war ein Monster dafür, das er Eysa so zurückließ, wohl wissend, das sie ihn in dieser Situation, nie alleine lassen würde.


Broken Wings of FreedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt