Ian Dietrich

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Ihre Rückkehr nach Shiganshina verlief im Grunde wie jede andere Rückkehr auch.
Die Menschen standen zwar erwartungsvoll an den Toren und sahen ihnen beim Einzug in die Stadt zu, doch sobald sie ihre betrübten, verzweifelten, verbissenen, oder einfach nur versteinerten Gesichter sahen, sobald sie einfach wussten, das sie wieder nichts erreicht hatten, sah man die Verachtung in ihren Augen, hörte die Wut in ihren Worten, um die verschwendeten Steuergelder und die Leben die dafür geopfert wurden.
Das war das erstaunliche an den Menschen.
Sie wollten das sie etwas erreichten, aber wenn sie erfuhren, das es nicht klappte, taten sie so, als hätten sie es von Anfang an gewusst und verachteten sie dafür umso mehr.
Es war verwirrend, wenn auch das normalste das ein Soldat des Aufklärungstrupps widerfuhr.

Die Tage vergingen und Levi schien sich schnell gefasst zu haben.
Wobei Eysa das Gefühl hatte, das er vielleicht nur nicht zeigte, wie sehr ihn der Verlust seiner Kameraden, seiner Familie, traf.
Eysa hatte sich gerade die Fäden ziehen lassen, als sie aus der Krankenstation der Kaserne trat und ihn auf einem der Dächer sitzend, erblickte.
Er saß still da, blickte in den Himmel und betrachtete die Sterne, die sich langsam auf dem Himmel sichtbar machten.
Seine Augen wirkten gerade alles andere als abweisend und kalt.
Sie waren warm und voller Schmerz.
Eysa entschied sich in ihr Zimmer zu gehen, den Umhang zu holen, den sie ihm eigentlich schon längst hatte wiedergeben wollen, den sie aber erst hatte säubern wollen, auch wenn sie ihn nicht genutzt hatte und lief die Treppe hinauf unter das Dach.
Dort bestieg sie die Leiter und kletterte durch eine Luke aufs Dach und trat leise an seine Seite.
Er hatte sie sicher gehört, doch wandte er sich nicht um, oder sagte etwas, was sie ermutigte, den Umhang um seine Schultern auszubreiten und sich neben ihn zu setzten.
„Es ist kalt. Du solltest nicht ohne Jacke hier sitzen."
Er sah sie nicht an, nahm nicht den Blick von den Sternen und murrte jedoch: „Du sitzt auch ohne hier."
Verlegen sah sie an sich hinab und musste ihm zustimmen.
Sie hatte selbst nicht daran gedacht sich etwas überzuziehen.
„Wir... hatten kaum Zeit wirklich miteinander zu sprechen. Wie...", sie wusste es war eine blöde Frage, aber sie musste gestellt werden, „wie geht es dir? Nach allem?"
Es war eine Frage die man im Grunde nur stellte, um ein Gespräch in Gang zu bringen, doch interessierte Eysa dennoch die Antwort.
Er hatte immerhin seine Familie verloren, es war im Grunde klar wie er sich fühlen musste, aber da sie genau wusste, wie es einem dabei ging, wusste sie wie wichtig es manchmal auch einfach nur war, wenn jemand sich nach einem erkundigte und für einen da war.
Er atmete tief durch: „Passt schon."
Bekümmert senkte sie den Blick: „Ich habe meine Mutter verloren, als ich 11 war. Meine Schwester, Nina... starb vor vier Jahren, bei einer großen Epidemie. Sie war erst 14, hatte die Liebe ihres Lebens gefunden und träumte davon an seiner Seite alt zu werden. Sie wäre... heute so alt, wie es Furlan war."
Es schmerzte noch immer über ihre Familie zu sprechen, aber auch wenn der Schmerz noch immer präsent war, tat er nicht mehr so sehr weh.
Was wohl gut war, oder nicht?
Kurz zuckte Levi zusammen, als sie seinen Namen erwähnte, doch schwieg er.
„Sie hatte ihr ganzes Leben vor sich und dann starb sie. Ich... weiß wie schwer es ist, wie sehr es wehtut, die die man liebt, zu verlieren."
„Tch...", gab er ein zischendes Lachen von sich, „gar nichts weißt du. Sie sind nicht wegen deiner Fehlentscheidung gestorben, oder?"
Eysa betrachtete ihn erstaunt und schüttelte dann langsam den Kopf: „Nein, aber... Menschen machen Fehler. Manchmal schwerwiegender als andere, aber... wir alle machen sie. Und ich bin mir sicher, das deine Freunde dir keine Schuld daran geben würden, das die Titanen ihnen das angetan haben. Wären sie nicht gewesen, würden sie noch leben."
„Ja, so etwas in der Art, hat er auch gesagt", murrte er und Eysa wusste das er Erwin meinte.
„Erwin mag zwar kühl und gleichgültig wirken, aber das ist er nicht. Er hat dir diese Dinge gesagt, weil sie stimmen. Weil niemand außer der Titanen, die Schuld am Tod all unserer Kameraden trägt. Ich bin mir sicher, das du das auch eines Tages so sehen wirst."
Er biss die Zähne zusammen und ballte die Hände, jedoch schwieg er wieder beharrlich.
Levi schien wahrlich kein Mann zu sein, der viel und gerne über seine Gefühle redete, auch wenn sie nicht bezweifelte, das er über sie nachdachte.
Sehr viel sogar.
„Ich werde dich jetzt wieder alleine lassen. Wenn du jedoch mal reden möchtest... kannst du das jederzeit mit mir."
Sie erhob sich wieder langsam, doch stockte sie, als er sagte „Eysa,... danke."
Seine Stimme war leise und klang fast schon so, als hätte er es sich abringen müssen, dennoch lächelte sie sanft auf ihn hinab.
Kurz eine Hand auf seine Schulter legend und diese sanft drückend, wandte sie sich mit den Worten: „Erkälte dich nicht", ab und ging wieder hinab in ihr Zimmer.

Der Herbst neigte sich langsam dem Ende und der Winter würde schon bald Einzug halten.
Schnee würde die Häuser, Straßen und Bäume bedecken, man würde den Atem vor dem Mund in kleinen Wölkchen sehen und das knirschende Geräusch unter jedem Tritt beim Laufen hören, wenn der Schnell unter den Schuhen zerdrückt wurde.
Das Frostfest würde demzufolge noch in der gleichen Woche in sämtlichen Bezirken innerhalb des Mauerrings Maria und in einigen wenigen innerhalb von Rose stattfinden.
Im Grunde feierten alle Menschen dieses Fest, indem man den Winter willkommen hieß, doch nur Maria und einige Ecken von Rose boten den Platz auf unbebautem Land, das man nutzen konnte, um groß zu feiern.
Es würde Musik und Tanz geben, Essen und Lichter würden aufgehängt werden.
Sie war das letzte Mal mit Nina und ihrem Vater auf einem solchen Fest gewesen und entschloss sich, es in diesem Jahr endlich wieder genießen und daran teilhaben zu können.
Zu leben.
Die Wunde an ihrer Wange heilte gut, doch würde die Narbe wohl immer zu sehen sein.
Wie genau es Erwins Hand ging, konnte sie nicht sagen, da Erwin und Eysa seit ihrem Gespräch im Versorgungsstützpunkt, nicht wieder miteinander gesprochen hatten.
Sie ging ihm aus dem Weg, bis seine Unbehaglichkeit in ihrer Nähe, verflogen war.
Wenn das überhaupt je der Fall sein würde.
Sie verließ gerade das Haus ihres Vaters in Quinta, er hatte sich endlich wieder soweit gefangen, das er die Bäckerei wieder voll betreiben konnte, da prallte sie auf der Straße mit jemanden zusammen, stolperte und fiel zu Boden.
Schmerzhaft verzog sie das Gesicht, als jemand seine Hand in ihr Sichtfeld schob, um ihr aufzuhelfen: „Verzeih, das wollte ich nicht."
Sie sah zu dem jungen Mann auf, dessen Hand sie ergriff und stand schließlich vor ihm.
Was sie als erstes sah, war das Abzeichen der Mauergarnison an seinem Ärmel, dann sein langes, braunes Haar, sein hageres Gesicht und seine dunklen Augen.
Er wirkte sehr ernst und sie ließ langsam seine Hand los.
Warum kam er ihr nur so vertraut vor?
„Nanu, bist du nicht Eysa Evergreen?", fragte er sie erstaunt und sie sah ihn verwirrt an: „Du... kennst mich?"
Er lachte auf und dabei wurde sein ernst wirkendes Gesicht viel weicher und charmanter: „Natürlich. Wir waren in derselben Trainingseinheit und...", doch da verstummte er auf einmal verlegen.
Wenn sie in der Gleichen Trainingseinheit gewesen waren, erklärte das zumindest ihr Gefühl des Wiedererkennens.
„Und?", hakte sie lächelnd nach und einer seiner Kameraden stieß ihm lachend gegen die Schulter: „Ian, was ist los, magst du die Kleine?"
„Verdammt, sei still!", zischte er und stieß ihn weg, „würdet ihr wohl kurz weggehen!"
Seine Kameraden entfernten sich daraufhin lachend von ihnen, hielten aber ihre Blicke stets auf sie gerichtet.
„Und... ich hatte immer gehofft dich irgendwann wiederzusehen", beendete er seinen Satz und beantwortete sie ihre Frage.
Erstaunt hob sie ihre Baue: „Ist das so?"
„Ja", rieb er sich verlegen den Nacken: „Ich glaube ich bin alt genug um zu gestehen, das ich damals unglaublich in dich verknallt war.das heißt..."
Errötend wusste Eysa nicht ob sie den Blick senken, oder doch lieber auf ihn gerichtet halten sollte.
Solch eine Situation war ihr völlig fremd, doch als ihr auf einmal bewusst wurde, das seine Freunde ihn Ian genannt hatten, verflogen all diese wirren Gedanken wieder und sie Lächelte ihn breit an: „Natürlich, du bist Ian Dietrich!"
Sie reichte ihm ihre Hand, welche er nervös ergriff: „Es ist schön dich wiederzusehen."
Als er ihre Hand wieder losließ, hob er diese wieder an seinen Nacken und rieb diesen: „Ich hatte nicht damit gerechnet, das du dich erinnerst."
Doch sie erinnerte sich an den Mann, wenn auch nur flüchtig, da sie nie miteinander gesprochen hatten.
Doch erinnerte sie sich an Blick, die sich begegnet waren, errötendes abwenden des Gesichts und stottern, wann immer sie doch mal das Wort miteinander wechselten.
Nun, stottern tat er jetzt nicht mehr.
„Sag mal,... du hast sicher schon jemanden, aber... würdest du vielleicht mit mir zum Frostfest gehen?"
Erstaunt, das er sie so direkt fragte, obwohl sie sich nur zufällig über den Weg gelaufen waren, stand sie einfach nur da.
„Also ich...", Eysa wusste nicht was sie sagen sollte.
Er schien sehr nett zu sein und hatte sie nicht ohnehin vorgehabt hinzugehen?
Warum also alleine?
Erwin wäre keiner der sie begleiten würde und Mike... Mike war ein Freund.
Mit ihm hätte sie gehen können, aber Ian... er schien nicht nur auf freundschaftliche Weise mit ihr dorthin gehen zu wollen.
Und warum sollte Eysa es nicht einmal ausprobieren?
Neue Leute kennenlernen, sich wie eine Frau fühlen, begehrt fühlen?
Und vielleicht,... ja vielleicht, gefielt er ihr ja.
Also Lächelte sie: „Gern."
Überrascht ließ er seine Hand sinken und sah sie erstaunt an: „Du... du willst mit mir hingehen?"
Daraufhin musste sie noch breiter grinsen und nickte: „Ja. Ich will mit dir dorthin gehen."
„Ich... damit hatte ich nicht gerechnet. Ich meine.... mein Dienst geht bis 7 Uhr an dem Tag und d... deiner?"
Da war wieder das kleine Stottern, aber es war nichts unangenehmes, oder gar abstoßendes.
Im Gegenteil, seine offensichtliche Unsicherheit machte ihn sehr sympathisch und sprach Eysa durchaus an.
„Ich habe bis 6 Uhr. Wenn du mir sagst, wo du stationiert bist, komme ich dich abholen", lächelte sie ihn an.
Er nickte: „J...ja... ja natürlich.Ich bin Abteilungsführer im Bezirk Trost."
„Gut. Dann komme ich dorthin und warte am Haupteingang auf dich", nickte sie.
„Ja... ah... warte!", rief er aus und lief zu einem kleinen stand, welcher extra für das Fest Bänder verkaufte und kaufte eines in blau, ehe er zu ihr zurückkehrte.
Es war Tradition, das der Mann, dem Mädchen, mit dem er zum Fest gehen wollte, eines dieser Bänder schenkte, damit jeder andere Mann sah, das sie schon vergeben war für diesen Tag.
Und wenn das Mädchen den Abend genossen hatte, schenkte sie dem Mann im Gegenzug ebenfalls ein Band, als Einverständnis für einen Kuss, oder eine weitere Verabredung.
Vorsichtig ergriff er ihre Hand und wickelte es um ihr Handgelenk, wo er eine kleine, feine Schleife band.
Erstaunt, da dies ihr erstes Mal war, das sie mit einem Mann zu diesem Fest gehen würde und das einer ihr solch ein Band geschenkt hatte, sah sie zuerst auf die schöne blaue Schleife an ihrem Handgelenk, dann zu Ian Dietrichs Gesicht.
„Es ist schön", murmelte sie verlegen lächelnd und er grinste stolz: „Ich dachte das Blau passt zu deinen Augen."
Bei diesem recht simplen, aber von ihm durchaus ernst gemeinten Kompliment, wurde sie rot.
„Ian, kommst du jetzt?", rief einer seiner Freunde und sie konnte einfach nicht glauben, das sie mit einem ihr im Grunde völlig fremden, zu dem Frostfest gehen würde.
Aber lernte man sich nicht auch so kennen?
Indem man einfach etwas wagte und mit jemanden wegging?
„Ja!", rief er ihnen zu und sah dann wieder zu Eysa, „also.... dann bis Samstag um 7 Uhr", lächelte er erneut und wandte sich dann ab, ehe er zu seinen Kameraden eilte.
Einer von ihnen schien ihn etwas zu fragen und sie konnte sehen, wie er sich auch dort wieder verlegen den Nacken rieb und nickte, ehe die Anderen lachten und ihm kameradschaftlich auf die Schulter klopften, während er lächelte.
Eysa hingegen, fühlte sich erstaunlich gelöst und beflügelt.
Ihr Herz schlug Purzelbäume und sie war unglaublich aufgeregt.
Wann kam es schon mal vor, das ein Mann mit ihr ausgehen wollte und dann auch noch zu dem alljährlichen Frostfest?
Sie wandte sich noch immer lächelnd ab und holte ihr Pferd, ehe sie zurück in die Kaserne ritt.


Broken Wings of FreedomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt