Kapitel 26

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Sams Sicht

Kaum hatte sich die Tür hinter mir geschlossen, spürte ich mein Handy in meiner Hosentasche vibrieren. Ein kurzer Blick auf das Display verriet mir, dass es Paul war. ,,Hey Sam, alles gut bei dir? Entschuldige, dass ich dich letztens so abgewimmelt habe." Ich lachte kurz auf und versicherte ihm, dass ich ihm das wohl verzeihen konnte.

,,Also erzähl, warum hattest du angerufen gehabt? Du hast doch sicherlich irgendwelche Hintergedanken gehabt." ,,Ehrlich gesagt ist mir nur ziemlich langweilig gewesen." Während ich sprach, verließ ich das Gebäude und entfernte mich ein Stück davon. ,,Tja, dann komm ich jetzt wohl etwas zu spät, dir dabei zu helfen. Aber wenn wir schon reden, erzähl doch mal, wie läuft es mit...du hast mir seinen Namen gar nicht gesagt." ,,Du hast doch gesagt, dass ich mit ihm darüber reden soll, damit wir das vergessen." Daraufhin hörte ich Paul am anderen Ende ungläubig schnauben. ,,Du willst mir doch jetzt nicht ernsthaft sagen, dass du, du der nie auf irgendwen hört, genau meine Anweisungen befolgt hast und jetzt nichts mehr zwischen dir und dem mysteriösen Typen läuft?"

Fieberhaft suchte ich nach einer Möglichkeit, mich dieser Unterhaltung zu entziehen, denn sonst würde ich nur wieder mehr verraten, als mir lieb war. ,,Also ja und nein, aber das..." ,,Ah ah ah, ja und nein ist keine Antwort. Jetzt rede Klartext und winde dich da nicht raus - ich bin doch so neugierig!" Seinen letzten Worten verlieh er einen jammernden Ton und dieses Mal war ich es, der schnaubte. ,,Ich meinte ja, im Sinne von ja, ich habe mit ihm geredet und gesagt, dass wir das vergessen und-" ,,Was?! Ernsthaft?", unterbrach Paul mich erneut. ,,Willst du jetzt, dass ich es dir erzähle oder nicht?" Er nuschelte eine Entschuldigung und blieb dann ruhig. ,,Und nein wie...könnte sein, dass wir uns trotzdem nochmal geküsst haben." ,,Hah, ich wusste doch, dass du auf ihn stehst!" ,,Tu ich gar nicht!" Du meine Güte, ich klang wie ein bockiges kleines Kind. Pauls Lachen ließ vermuten, dass er dasselbe von mir dachte. ,,Du scheinst jedenfalls nicht die Finger von ihm lassen zu können." Da hatte er leider einmal recht. Jedes Mal waren die Küsse von mir ausgegangen. Zumindest bis auf den letzten, den Gilles mir zum Abschied gegeben hatte. Damit hatte er mich überrascht - aber durchaus nicht schlecht.

,,Keine Antwort ist ja bekanntlich auch eine Antwort, also schieß los, erzähl mir etwas über ihn." Nach einer passenden Antwort suchend lief ich auf und ab. Was sollte ich denn bloß sagen? ,,Er, also... man kann gut mit ihm reden." ,,Wooow. Ich hatte jetzt an so etwas wie 'Er ist der heißeste Typ den ich je gesehen habe' gedacht, aber klar, innere Werte zählen und so. Also erzähl mir etwas davon." „Ich lege jetzt auf!", drohte ich an. Ich wollte wirklich nicht noch mehr über Gilles mit ihm sprechen.
„Nein, nein ist ja gut. Wir können auch über was anderes reden... also, was ist noch so in deinem Leben los?", gab Paul widerwillig nach.


Leider fiel mir auf, bestand mein Leben momentan aus nichts anderem als Gilles. Wenn ich nicht mehr bei ihm war, faulenzte ich nur, rauchte und tat nichts. Ich musste mir eingestehen, dass mein Leben absolut langweilig war. „Wieso reden wir nicht über dich? Was ist so in deinem Leben los?"
Anders als mir, schienen ihm da sofort alle möglichen Sachen einzufallen. Übereifrig begann er von seiner neuen Arbeit in einem Fitnessstudio und den letzten Ergebnissen der Basketballspiele von Brice zu berichten.

„Gut, nachdem ich das Thema zehn Minuten ruhen lassen habe, kann ich ja jetzt sicher nochmal auf deinen Liebsten zurückkommen." „Er ist nicht mein Liebster!" Es schien unumgänglich, dass ich, sobald es um Gilles ging, immer in einen Bockiges-Kleinkind-Ton verfiel. „Ah, mein Fehler, entschuldige bitte." Sein Lachen strafte seine Entschuldigung Lügen. „Und wann siehst du deinen Nicht-Liebsten wieder?" Dieses Mal setzte er einen betont beiläufigen Ton auf. „Morgen früh", antwortete ich, wohlwissen, dass ihm das nur neue Munition liefern würde. „So, so. Aha, aha." „Möchtest du dazu etwas sagen?", fragte ich genervt. Natürlich würde er etwas sagen wollen. Ich bereute es gerade sehr, ihm überhaupt erst von Gilles erzählt zu haben. Das war sehr dumm von mir gewesen.

,,Nein, möchte ich nicht. Warum sollte ich dazu auch was sagen wollen? Kommt ja ständig vor, dass du mit jemandem - vor Allem einem Typen - rummachst und ihn danach sogar wiedersehen willst." Er schien auf eine Antwort zu warten, aber die würde er nicht bekommen. Klar hatte er recht, das alles sah wirklich gar nicht nach mir aus. Trotzdem wollte ich nicht darüber reden. Selbst wenn die Situation mit Gilles - die ja wohl Grund genug war, Paul nichts weiter zu erzählen - eine andere wäre, würde ich garantiert mit niemandem darüber reden wollen.

Als er realisierte, dass ich vermutlich nichts sagen würde, seufzte er schwer: „Man Sam, spring doch einmal über deinen Schatten und öffne dich nur ein ganz kleines bisschen. Das würde dir echt nicht schaden. Aber gut, dann eben nicht. Du weißt, ich bin nur einen Anruf entfernt, falls du deine Meinung änderst."

Das würde nicht passieren, aber trotzdem nuschelte ich ihm ein Dankeschön zu, bevor ich auflegte. Er meinte es nur gut, das wüsste ich, aber er nervte mich auch echt damit. Ich war kein Mensch, der gerne mit seinen persönlichen Angelegenheiten hausieren ging. Die letzten 19 Jahre habe ich es wunderbar geschafft, mit dem allen allein fertig zu werden, daran würde sich jetzt nichts ändern. Schon gar nicht Gilles würde daran etwas ändern können.

Fill me with poisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt