Kapitel 15

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Gilles Sicht

Er war so durchschaubar. Nun, zumindest bei so etwas. Ich hätte viel dafür gegeben, ihn und Biggie gestern betrunken zu sehen. Die beiden schienen mir eine sehr interessante Kombination zu sein.
Jetzt drehte er sich bereits wieder zur Tür um, doch ich hielt ihn auf. Eigentlich hatte ich gehofft, er würde es von selbst anbieten, aber da das nicht so aussah, musste ich mich wohl zusammenreißen und fragen. „Ähm also...hast du, naja, also die Salbe noch?" Ich sah ihn nicht an. Es war mir unangenehm, etwas von ihm zu brauchen. Ich fühlte mich so wie so schon so schwach neben ihm, denn ganz gleich wie selbstsicher ich auch tat, letztendlich war er es, der am längeren Hebel saß.

„Hättest an deine Hand denken sollen, bevor du zugeschlagen hast", war seine kühle Antwort. Entrüstet sah ich ihn an: „Dein scheiß Ernst? Du hast mich angegriffen! Was sollte ich denn tun? Nichts, oder was?" Die einzige Reaktion, die ich darauf bekam, war ein Schulterzucken. „Tja und ich dachte schon, deine Nettigkeit würde anhalten, da habe ich mich wohl nur getäuscht. Kein Wunder, dass du keine Freunde hast." Ich merkte selbst, wie trotzig ich mich anhörte. Außerdem hatte ich gut Reden, wo ich doch selbst nicht besonders viel Freunde hatte. Aber ich liebte es einfach viel zu sehr, ihm auf die Nerven zu gehen, als dass ich es gut sein lassen würde. ,,Glaub's halt oder glaub es nicht, aber ich habe Freunde. Nicht nur Dan."

„Ich nenn' ihn Biggie." Verdattert sah er mich an. „Na, du meinst doch diesen kräftigen Typen, der hier auch irgendwo herumgeistert, richtig? Der sieht aus, wie Biggie und weil er mir seinen Namen nicht sagen wollte - danke übrigens dafür", ich zwinkerte ihm kurz zu, wodurch ich mir ein genervtes Augenverdrehen einfing, „habe ich ihn dann Biggie genannt." Auf Sams Gesicht stand noch immer die Verwirrung geschrieben. „Aha und wer ist Biggie?"

Nein, einfach nein. Das hatte er jetzt nicht wirklich gefragt. Theatralisch ließ ich mich auf das Bett plumpsen und musste dabei in letzter Sekunde mein Handtuch vor dem Runterrutschen retten. „Bitte sag, dass das ein Scherz war und du natürlich weißt, wer Notorious BIG war!" Sein Gesichtsausdruck sagte klar, dass er keine Ahnung hatte, von wem ich da sprach. Er sank immer weiter in meinem Ansehen, wenn das denn überhaupt noch möglich war.

„Gib mir dein Handy!" Sam zog seine Augenbrauen hoch. „Ernsthaft?" Abwehrend hob ich die Hände: „Ok ok, verstehe schon. Dann such halt nach ihm auf Spotify oder so und hör dir eins seiner Lieder an. Ganz egal welches, die sind alle gut!" Nach kurzem Zögern tat er es tatsächlich und wenige Sekunden später erklangen die ersten Töne von „Hypnotize" durch den Raum. Mein Herz machte einen kleinen Sprung, weil ich mich so freute, nach diesem Entzug endlich wieder Musik zuhören. Mit einer Begeisterung, die Sam nicht zu verstehen schien, rappte ich einige Verse mit.

Ich erwartete, dass das Sam amüsieren würde, doch statt seines überheblichen Grinsens zeigte sich in seinem Gesicht so etwas wie...Bewunderung? Fragend sah ich ihn an. „Was ist?" „Du kannst das ziemlich...gut. Also, echt gut." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und ich konnte nicht anders, als ungläubig das Gesicht zu verziehen. Ein Kompliment von ihm? Sehr unwahrscheinlich.

Er tippte auf seinem Handy herum und schmunzelte dann. „Du hast Dan wirklich so genannt? Hat er sich da denn gar nicht beschwert?" Ich spähte auf sein Handy und sah, dass er sich gerade Bilder von dem Rapper ansah.

„Vielleicht ist er auch so ungebildet wie du", erwiderte ich kühn. Er lachte wieder. Aber dieses Mal war es ein echtes Lachen, dann glänzten seine dunklen Augen immer kurz auf und er hatte so ein süßes Grübchen. Ähh, das war natürlich nicht süß.
„Oh er wusste ganz bestimmt nicht, nach wem du ihn da benannt hast, sonst hätte er dich umgebracht." Er gluckste noch ein weiteres Mal und steckte dann sein Handy wieder weg.
Für den nächsten Kommentar könnte es mächtig Ärger geben, ich konnte ihn mir aber nicht verkneifen: „Warum hast du bloß immer so schreckliche Stimmungsschwankungen?" Einen Moment gefroren seine Gesichtszüge und ich sah mich schon wieder an die Wand gedrückt, doch dann schlich sich wieder ein flüchtiges Grinsen auf seine Lippen: „Du bist einfach unmöglich."
Noch ein letztes Mal drehte er sich um vor der Tür und in seinem Gesicht zeichnete sich tatsächlich so etwas wie ein schlechtes Gewissen ab. „Ich werde dir die Salbe mitbringen...sorry wegen naja...dem Fleck. Hätte nicht so schlimm werden müssen."

Verblüfft starrte ich die graue Tür an, durch die er soeben verschwunden war. Was war das denn bitte gewesen?! Er hat sich bei mir entschuldigt. Und die Salbe würde er mir auch noch bringen. Immer wieder faszinierend mit anzusehen, wie er sich verhielt. Ich würde wirklich gerne wissen, wie wir zueinander stehen würden, wenn, nun ja, wenn eben alles anders wäre. Wenn er vielleicht nur einer meiner Mitschüler wäre.

Es gab zwei Optionen. Entweder, wir konnten uns auf den Tod nicht ausstehen, was unserer aktuellen Situation wohl ziemlich nahekam, oder aber er wäre Teil unserer Clique. Aramina und die anderen Mädchen würden sich wegen seines Aussehens sicherlich sofort auf ihn stürzen.

Vielleicht gab es ein Paralleluniversum, in dem wir tatsächlich Freunde waren. Freunde, mit einem normalen Leben, die keine Gedanken an so etwas wie Entführungen verschwendeten. Vielleicht waren wir sogar so etwas wie beste Freunde, wenn er seine verdammten Stimmungsschwankungen unter Kontrolle bekommen würde. Wenn man bloß sein Universum eintauschen könnte...


Ich musste beim Schreiben des letzten Absatzes ganz stark an Skam denken. Gibt es hier jemanden, der das gesehen hat? Ich habe ein paar Staffeln von Druck gesehen und jeweils die dritten Staffeln von Skam, Skam France und WTFock. Skam France ist mit Abstand mein Favorit.

Was denkt ihr, was Sam & Gilles Nr. 3546 gerade so tun? ;)

Fill me with poisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt