Kapitel 1

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Gilles Sicht

„Hey Babe", zwitscherte Aramina mir zu. Ich merkte sofort, dass ihr fröhlicher Ton nur aufgesetzt war und bereute es sogleich, den Anruf angenommen zu haben. „Was gibt's?" Es war, als könnte ich hören, wie sie am anderen Ende die Augen verdrehte. „Du weißt ganz genau, was es gibt, G. In wenigen Stunden beginnt die Party bei Kenneth und du hast mir noch immer nicht zugesagt." Seltsam, warum musste ich ihr zusagen, wenn mein bester Freund Geburtstag feierte? „Das liegt daran, dass ich noch immer nicht weiß, ob ich jetzt komme oder nicht", erklärte ich ihr.

Aber damit gab sie sich nicht zufrieden. Sie echauffierte sich in einem Vortrag darüber, wie absolut genervt sie von meiner Verplantheit war. So war es immer mit Aramina, sie steigerte sich überall viel zu sehr rein - was auch für uns galt. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?", keifte sie in diesem Moment. „Tut mir leid, was hast du gerade gesagt?" Ein Grinsen konnte ich mir dabei nicht verkneifen. Aramina war weniger amüsiert und legte - endlich - frustriert auf. Ein Blick zur Uhr verriet mir, dass sie mir damit gerade meine letzten kostbaren Minuten allein genommen hatte, denn es wurde Zeit, wieder hinunterzugehen, um mich schön brav mit unseren Gästen zu unterhalten.

Fabrice und Danyel, Geschäftspartner meines Vaters, waren zu Besuch. Es war eines dieser typischen Treffen, bei denen wir uns verhielten, als wären wir die besten Freunde und nicht, als würden wir uns bloß einmal im Jahr sehen, wie es eigentlich der Fall war.

Meine Mutter saß auf dem Sofa, als ich ins Wohnzimmer kam und sah unglaublich gestresst aus. Kerzengerade saß sie da, ihre Kleidung makellos, obwohl sie sie schon den ganzen Morgen trug. Mein Hemd hatte bereits einige Falten geworfen und wenn man genau hinsah, entdeckte man auch einen Kaffee-Fleck. Er war nur ganz klein und niemand würde darauf achten, aber meiner Mutter entging er trotzdem nicht. „Gilles", zischte sie missbilligend, „willst du dich nicht noch einmal umziehen?" Das würde ich auf keinen Fall tun. Und das musste ich auch nicht, denn in diesem Moment hörte man die Stimme meines Vaters über den Flur. Scheinbar war der geschäftliche Teil des Tages vorbei.

Fabrice, der ältere der beiden Brüder wandte sich so gleich mir zu als die drei sich zu uns gesellten: „Na, mein Junge, wie läuft es in der Schule?" Er war mir noch nie sonderlich sympathisch gewesen. Seinen Bruder Danyel dagegen mochte ich. Er war ruhig, sagte nie mehr als das Nötigste und war nicht so sehr von sich selbst überzeugt wie sein Bruder.

Höflich antwortete ich so ausführlich wie nötig, aber so kurz wie möglich auf seine Fragen. Gleich würde er mich zu meiner College-Wahl befragen, darauf würde ich mein ganzes Geld verwetten.

Natürlich behielt ich recht. Das College-Thema kam mir zugute, denn es sorgte jedes Mal dafür, dass mein Vater sich in das Gespräch einklinkte und ich vorerst erlöst war.

,,Ach, ich weiß noch ganz genau, als dein Vater und ich noch in Frankreich zusammen auf die HEC gegangen sind. Das waren Zeiten, nicht wahr André?" Schmunzelnd nickte mein Vater. Von seiner Studien-Zeit bekam ich andauernd zu hören, schließlich war es die beste Zeit seines Lebens. Wie eigentlich alles, was er in Frankreich erlebt hatte, weshalb ich mich jedes Mal fragte, warum wir überhaupt von dort weggezogen waren. Aber ich würde mich sicher nicht beklagen. Mein Zuhause war hier in den USA und ich hatte kein Interesse daran, wieder nach Europa zu gehen, wo eine versnobte Privatschule auf mich wartete. Lieber aß ich mein ganzes Leben lang nur den Mensa-Fraß meiner High-School hier, als dass ich mich wieder jeden Tag mit diesen langweiligen Spießern dort abgab.

Fabrices Stimme riss mich aus meinen Gedanken: ,,Und, wie sieht es mit den Mädchen aus? Die müssen dir doch alle zu Füßen liegen. Das haben sie bei deinem Vater auch immer." Ach, und alles, was mein Vater hatte, musste ich natürlich auch haben. Und warum gingen grundsätzlich eigentlich alle davon aus, dass es nur Mädchen und keine Jungen waren?

Meine Mutter warf mir einen warnenden Blick zu, der mir zu verstehen gab, dass ich jetzt ja nichts Unangebrachtes sagen sollte. Als ob ich das vorgehabt hätte. ,,Nein, bei mir sieht das anders aus, da gibt es niemanden", antwortete ich brav, wie es von mir erwartet wurde. Danyel warf mir einen vielsagenden Blick zu. Auch wenn man ihm optisch deutlich ansah, dass er Fabrice' Bruder war, mit den schulterlangen hellen Haaren und den freundlichen Gesichtszügen, könnten sie sich charakterlich nicht unterschiedlicher sein. Während Fabrice, wie jetzt auch, gerne und viel redete, gehörte Danyel eher zu der Sorte Menschen, die still alles beobachteten.

Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis die beiden sich endlich erhoben und sich mit tausenden Wangenküssen von uns verabschiedeten. Auch wenn sie jedes Mal nur für ein paar Stunden vorbeischauten, bevor sie zurück ins Hotel fuhren, war ich immer heilfroh, wenn sie wieder aufbrechen wollten.

„Und wenn wir dann das nächste Mal vorbeikommen, kannst du uns vielleicht ja schon ein paar Geschichten vom Campus erzählen." Fabrice zwinkerte mir zu. Ich lachte gespielt. ,,Wir werden sehen."
Sofort als die Tür geschlossen war, verschwand mein Lachen und ich stieß einen genervten Seufzer aus, der sich bereits die ganze Zeit über in mir angestaut hatte.

Mein Vater bedachte mich mit einem kritischen Blick. Offensichtlich gefiel ihm mein Verhalten mal wieder nicht. „Du weißt, wie wichtig Fabrice für mein Geschäft ist. Er hat gute Verbindungen nach Paris, die brauche ich."
Er war Inhaber eines Weltunternehmens. Seit ich klein war, kannte ich ihn nur in Anzug und mit Handy in der Hand. Und deswegen wusste ich natürlich um die Wichtigkeit seiner geschäftlichen Verbindungen - erträglicher machte es diese Treffen aber trotzdem nicht.

,,Ja ja, das weiß ich doch...Aber, was ich dich noch fragen wollte, wie sieht es jetzt eigentlich mit der Party aus? Bei Kenneth, du weißt schon?" Jetzt oder nie. Die gute Stimmung meines Vaters würde schließlich nicht ewig anhalten. Denn was ich Aramina verschwiegen hatte, war, dass ich noch nicht sicher sagen konnte, ob ich zur Party gehen würde, da ich unter Hausarrest stand. Völlig unbegründet nebenbei gesagt.

Mein Vater setzte zu einer Antwort an, doch sein klingelndes Handy unterbrach ihn. ,,Klär das mit deiner Mutter", wies er mich an, „das hier ist wichtig." Er nahm den Anruf entgegen, ohne vorher auch nur auf das Display gesehen zu haben und verschwand wieder in sein Büro.

Perfekt, damit war die Sache so gut wie beschlossen, denn meine Mutter liebte Kenneth. Er wirkte auf andere immer wie der reinste Anstandswauwau (ich kann aber sagen, er ist alles andere als das) und dazu hatte er noch sehr einflussreiche Eltern, was beides bei meiner Mutter hoch punktete.

Ich bettelte ein wenig und schon nach kurzer Zeit lenkte sie ein. ,,Danke Maman, du bist die Beste!" Ich hauchte ihr einen Kuss auf die Wange und verschwand dann die Treppe hoch. Mit einem Fuß stieß ich gegen meine Zimmertür, während ich schon dabei war, Kenneth zu schreiben, dass ich heute Abend da sein würde. Keine Sekunde später erhielt ich seine Antwort: >>Ich wusste es, deine Mum liebt mich viel zu sehr, als das sie es dir verboten hätte. Wie lief's denn mit den Aasgeiern? << Egal wie oft ich ihm sagte, dass Fabrice und Danyel nicht bloß dann auftauchten, wenn sie Geld brauchten, er nannte sie trotzdem immer so. >> Wie immer. Nenn sie nicht so! << Mein Blick huschte zur Uhr und ich beschloss, dass eine Dusche vorher auf jeden Fall noch drinnen war. Während ich mich auszog, dachte ich, dass ich eigentlich Aramina hätte schreiben müssen. Aber zum Teufel mit ihr, sie würde es schon mitbekommen, wenn ich da war.

Fill me with poisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt