Gilles Sicht
Ich starrte ihn an. Mir fiel auf, dass ich das in letzter Zeit ziemlich viel tat. Doch sein Blick fixierte die Wand. Ich hätte auch nicht erwartet, dass er bei einem solch ernsten Thema es schaffen würde, mir in die Augen zusehen. Allerdings fiel mir jetzt auf, dass ich auch letztens noch dachte, keine zehn Pferde würden ihn mehr so nahe an mich heran bringen. Vielleicht hatte ich ihn doch noch nicht so ganz durchschaut.
„Was machen wir jetzt?", fragte ich nach einer Zeit des Schweigens. „Ich weiß es doch nicht. Wahrscheinlich wäre es nur vernünftig, es Dan zu überlassen, dir dein Essen zu bringen und-" Geschockt musste ich ihn unterbrechen, das konnte doch nicht sein ernst sein. „Oh nein, du lässt mich hier nicht allein! Du bist der Einzige, der hier mit mir redet." Mit einem zaghaften Lächeln sah er nun doch wieder zu mir. „Ich dachte, du kennst mich so gut, dass du wüstest, dass ich nie tue, was vernünftig ist." „Das ist auch so ziemlich das Einzige, das ich über dich weiß", merkte ich an. Und es stimmte. Egal wie viel wir auch miteinander redeten, allen persönlichen Fragen zu ihm wich er immer aus.
Ziemlich lange grübelte er mit sich, bis er endlich etwas sagte: „Ich heiße Sam und bin 19 Jahre alt. Ich habe nur einen Freund - sei jetzt nicht schadenfroh -, den ich allerdings nur selten sehe, ich rauche zu viel, mein Schulabschluss war, obwohl man das vielleicht nicht glauben kann, echt ganz gut und ich habe festgestellt, dass ich Rap gerne höre." Bei den letzten Worten grinste er mich wissend an.
Auch ich musste schmunzeln. ,,Und weiter?" „Jetzt bist du ja wohl dran." „Ach", schnaubte ich, „gibt es denn überhaupt etwas, was ihr nicht über mich herausgefunden habt?" „Du meinst, davon abgesehen, wo du wohnst, mit wem du dort wohnst, wer bei euch arbeitet...", zählte er munter auf. „Nicht witzig", schnitt ich ihm das Wort ab. „Aber gut, wenn du unbedingt etwas wissen willst, ich habe anders als du Freunde, viele sogar, aber mit denen betrinke ich mich nur und wichtig sind sie mir nicht." Sam murmelte ein: „Wie herzlich." „Ich kann Geige und Klavier spielen. Damit wollten meine Eltern mir vermutlich den Rap austreiben, den höre ich nämlich schon, seit ich ganz klein bin und ist in den Kreisen meiner Eltern nicht besonders angenommen. Und wenn ich hier rauskomme, schwöre ich, niemals mehr einen Tropfen Alkohol anzurühren. Nochmal mache ich so einen Scheiß' nicht mit! Du bist wieder dran."
Er zuckte mit den Schultern. „Es gibt da gar nicht mehr so viel zu erzählen, du weißt eh schon zu viel." Sein Blick wanderte, während er redete, durch den Raum und blieb schließlich wieder bei mir hängen. Seine Augen waren so dunkel, man könnte fast schon meinen, sie wären schwarz. Wenn ich sie doch nur einmal bei richtigem Sonnenlicht sehen könnte. Ich wette, dann erkannte man deutlich, dass sie braun waren. Er trug heute einen dunkelgrünen Hoodie, welcher perfekt zu ihm und seinen braunen Haaren passte. Ich glaube, mir war noch nie so bewusst wie jetzt, wie sehr mir braune Haare gefielen.
Und Sams Haare hatten auch noch so eine perfekte Länge. Sie waren kurz, aber nicht zu kurz. So lang, dass sie wirr in alle Richtungen standen. Sie schienen einen dazu aufzufordern, durch sie zu wuscheln. Fast schon hätte ich meine Hand gehoben und das getan, doch als mir bewusstwurde, an was ich hier dachte, lief ich beschämt rot an. Gott, das war doch alles zum verrückt werden! Ich drehte mein Gesicht weg, in dem kläglichen Versuch, meine Röte vor ihm zu verstecken.
,,An was denkst du gerade?", durchbrach er die Stille. ,,An nichts", wich ich aus. ,,Ach ja?" Er lehnte seinen Kopf leicht schief. ,,Du bist nämlich gerade rot geworden. Aber ok, wenn das bei dir einfach so passiert." Vermutlich verfärbte sich mein Gesicht jetzt nur noch mehr. Ich wurde sonst nie rot. Einmal hatte ich auf einer wichtigen Gala, bei der ich ein paar nette Worte über meine Eltern zum Besten geben sollte, auf der Bühne vor versammelter Mannschaft das ganze Podium samt Mikrofon umgerissen. Ein anderes Mal, hatten mich meine Eltern in einer sehr eindeutigen Situation erwischt. Nicht ein einziges Mal war mir in solchen Situationen, die ja wohl überaus peinlich waren, die Röte ins Gesicht geschossen und jetzt ließen mich allein meine Gedanken rot werden.
,,Soll ich dir sagen, woran ich gerade denke?" Eindringlich starrte er mich an. Bevor ich sprechen konnte, musste ich erst einmal schlucken. ,,Ja", krächzte ich. Ich krächzte. Konnte es noch schlimmer werden? Doch dann waren mit einem Mal alle Gedanken in mir verstummt, als Sam sich zu mir hinüberbeugte. Automatisch rutschte mein Blick auf seine Lippen. Seine eine Hand legte sich auf meinen Oberschenkel und sofort fing die Stelle Feuer. Hatte ich gerade noch gedacht, dass seine Augen eigentlich braun waren, so waren sie jetzt tiefschwarz.
,,Ich denke daran...", fing er an, während er mir immer noch näher kam. Ich hatte Mühe, seinen Worten zu folgen. Als er weitersprach, hatte ich schon fast wieder vergessen, was er davor gesagt hatte. ,,...dass ich dich unbedingt wieder küssen will." Mein Herz setzte aus und mein Blick schoss hoch zu seinen Augen. Ich öffnete meinen Mund, wollte sagen, dass ich das auch mehr als alles andere wollte, doch es kam kein Wort heraus. Seine Hand auf meinem Oberschenkel verkrampfte sich leicht, während er die andere in meinen Nacken legte. Ein Prickeln durchzog meinen Körper.
Er brachte mich dazu, Dinge zu fühlen, die ich bisher nicht kannte. Wenn ich Mädchen angefasst hatte und sie mich, hatte ich es genossen, aber das hier war komplett anders. Mein ganzer Körper reagierte auf ihn. Ich hatte keine Worte, um es zu beschreiben und ich glaube, es wäre niemandem möglich, dass was in mir vorging, in Worte zu fassen.
Ich wusste nicht genau, wer von uns den letzten Abstand zwischen unseren Lippen überbrückte, aber es war geschehen und augenblicklich spürte ich mein Herz wieder - es überschlug sich fast, so schnell klopfte es.
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Fill me with poison
RomansIch lachte kurz sarkastisch. ,,Mein Name bedeutet übersetzt Geisel, welch Ironie..." ,,Tja, mein Name bedeutet irgendetwas mit allein sein", antwortete er leise. Ich drehte mich so, dass ich ihn ansah. ,,Das bist du aber nicht", ich nahm seine...