Gilles Sicht
Vielleicht sollte es mir Angst machen, wie gut mein Leben gerade lief. Ich hatte eine tolle Wohnung - dieses Mal sogar auch mit Mietvertrag, auf der Arbeit lief es gut, ich hatte mit Shea eine wahre Freundin gefunden, Sam und ich führten eine Beziehung, er liebte mich. Und wir hatten miteinander geschlafen.
Ein Salatblatt traf mich ins Gesicht und riss mich somit aus den Erinnerungen an die letzte Nacht. „Bitte keine obszönen Gedanken, während du mein Mittagessen zubereitest. Das seh' ich dir an!" Shea schüttelte voller Entrüstung den Kopf, aber was sollte ich machen, die letzte Nacht war nun mal einfach großartig gewesen. „Ich meine es ernst!", kam es erneut von ihr.
Aber es war Shea und natürlich dauerte es nicht lange, bis ihre Neugier überhand gewann und sie ganz nebenbei fragte: „War es denn so exorbitant gut?" Ich warf ihr einen Seitenblick zu. „Ich dachte, in Nähe deines Mittagessens haben obszöne Dinge keinen Platz?" „Eigentlich nicht, aber vielleicht können wir eine Ausnahme machen." Betont gleichgültig schnitt sie nun weiter ihre Tomaten.
„Na wenn das so ist...ja, es war exorbitant gut. Eine Schande, dass wir ganze sechs Jahre gewartet haben, um es zu tun." „Was?!", kreischte Shea plötzlich, „Das war euer erstes Mal? Oh mein Gott, Gilles!" Ich zuckte die Schultern. „Und es war nicht mal mehr das Beste der letzten Nacht." Shea sah so aus, als würde sie mir gleich ernsthaft an die Kehle gehen, wenn ich nicht weitersprach. Also tat ich natürlich nichts anderes, als sie noch etwas zappeln zu lassen. Übertrieben genau schnitt ich die Paprika vor mir in Stücke, während Shea ungeduldig die Hände in die Seiten stemmte. Als ich schließlich mit der Sprache rausrückte, konnte ich meine unbeteiligte Miene nicht vollständig beibehalten, denn die Erinnerung ließ mich unweigerlich lächeln: „Er hat gesagt, dass er mich liebt."
Umgehend fiel Shea mir um den Hals. Perplex ließ ich das Messer auf die Arbeitsplatte fallen. Wofür war das denn jetzt? Ich bekam keine Erklärung, stattdessen drückte Shea mich nur unglaublich fest an sich. Immer noch verwirrt hob ich die Arme und schloss sie um Shea. „Ähh, Shea?" „Ach", seufzte sie, „ich freue mich einfach nur für euch. Ihr verdient das beide so sehr." „Du weißt doch gar nicht, ob ich es erwidert habe." Mit hochgezogenen Augenbrauen löste sie sich von mir. Ihr Blick verriet deutlich, wie abwegig sie die Möglichkeit fand, ich hätte Sam irgendetwas anderes gesagt, anstatt seine Liebesbekundung zu erwidern.
Kopfschüttelnd widmete sie sich wieder dem Essen. „Wow und das alles innerhalb einer Nacht!" „Ja nun", erklärte ich schulterzuckend, „wir mussten schließlich die verlorenen sechs Jahre aufholen." „Ja, na klar. Und nächste Woche machst du ihm dann einen Antrag?" Als ich nicht sofort antwortete machte sich Entsetzen in ihrem Gesicht breit. „Gilles! Sag jetzt nicht, du hast echt schon einen Ring?!" Da konnte ich mein Lachen nicht mehr zurückhalten. Säuerlich dreinblickend wandte Shea sich wieder von mir ab. „Ja, ja. Sehr witzig. Aber wehe, ich bekomme nicht früh genug Bescheid gegeben, wenn ihr ein Kind bekommt, um mich auf meine Rolle als Patentante einzustellen. Denn diesen Titel habe ich mir mehr als verdient." Um ihre Worte zu unterstreichen, wedelte sie bedrohlich mit dem Küchenmesser vor meiner Nase.
„Was ist denn hier los?" Umgehend schossen unsere Blicke zur Tür, durch die Sam soeben getreten war und skeptisch zwischen uns hin und her blickte. „Shea, warum versuchst du, meinen Freund abzustechen?" „So", ihr Blick traf mich, „das ist also auch noch letzte Nacht passiert..." Unschuldig zuckte ich mit den Schultern, während ich versuchte, das Grinsen darüber, dass Sam mich seinen Freund genannt hatte, zu kontrollieren. Das hätte sie sich ja erschließen können.
„Keine Sorge, ich habe nicht vor, heute jemanden abzustechen. Also setzt dich, es gibt Essen." Wie um ihre Worte zu unterstreichen, klingelte in diesem Moment der Timer ihres Handys und sie holte den Auflauf aus dem Ofen.
„Biiitte", quengelte Shea zum wiederholten Mal. Wir hatten bereits aufgegessen, aber saßen noch beisammen am Küchentisch. Sam und ich tauschten einen Blick aus, ehe wir zeitglich mit „Nein" antworteten. Es ging mal wieder um einen wohltätigen Zweck, zu dem sie uns überreden wollte. Auch wenn ich meist abgeneigt auf ihre Vorschläge reagierte, musste ich zugeben, dass ich doch dankbar dafür war, dass Shea mich hin und wieder überredete, sie zu begleiten. Ich hatte mich in meinem Leben viel zu wenig mit wichtigen Themen wie Klimawandel und Umweltschutz beschäftigt und war froh, dass Shea mich dahingehend wachgerüttelt hatte und mich dazu inspiriert hatte, mich zu informieren.
Aber bei einem Spendenlauf zog ich die Grenze. Auf gar keinen Fall würde ich fünf Kilometer durch die Stadt rennen - danach würde ich ja halbtot sein! „Mir fehlt neben der Arbeit die Zeit, dafür zu trainieren. Und so bin ich nun gerade echt nicht in Form." Ich zeigte an mir runter. Scheinbar zog das bei Shea, denn sie sah nun abwartend zu Sam. „Und du? Du strotzt vor Muskeln, also sag nicht, du seist nicht in Form. Und wie ich gehört habe, treibst du jetzt auch mehr Cardio, also sollte das wohl kein Problem sein."
Für einen Moment schien er über die Bedeutung ihrer Worte nachzudenken, ehe sein Kopf sich ruckartig zu mir drehte, während seine Wangen sich leicht rosa färbten. Süß. Ich zuckte lediglich mit dem Schultern.
Shea änderte ihre Taktik und sah mich nun mit einem wissenden Grinsen an. „Ich wette, du hättest auch kein Problem damit, deinen Freund dabei anzuhimmeln, verschwitzt durch die Gegend zu rennen, oder Gilles?" Umgehend überzeugt stieg ich in ihr Spiel ein: „Nein im Gegenteil, das klingt nach einer ziemlich guten Idee." Daraufhin schüttelte Sam verzweifelt den Kopf. Gegen uns beide würde er unmöglich standhaft bleiben. „Warum bist du auf ihrer Seite? Du solltest mich unterstützen, schließlich führen wir eine Beziehung!", jammerte er. „Hallo? Freundschaften sind jawohl eben so bedeutend wie Beziehungen!", wand Shea ein.
Schließlich gab Sam klein bei und erklärte sich bereit, mit Shea zusammen den Spendenlauf mitzumachen. Triumphierend klatschten Shea und ich uns ab. Und auch, wenn Sam so tat, als würde er schmollen, erkannte ich doch das Lächeln, das er versuchte zu verstecken.
„Warte bloß ab, bis Shea das nächste Mal etwas von dir will, dann werde ich mich eiskalt auf ihre Seite schlagen." Wir lagen in Sams Bett und hatten im Hintergrund eine Serie laufen, der wir allerdings beide keine große Aufmerksamkeit schenkten.
„Drohst du mir etwa?" Belustigt grinste ich ihn an. Er lag mit dem Kopf an meinen Oberkörper gelehnt und ich war gedankenverloren mit der Hand durch seine Haare gestrichen, ehe er das Gespräch begonnen hatte. „Ja, definitiv. Dein Verhalten verlangt nach einer Revenge." Ein leises Lachen entfuhr mir. „Na zu deinem Glück bin ich mir sehr sicher, dass das nicht das letzte Mal war, dass Shea mit einer solchen Idee um die Ecke kam." „Nein", stimmte er mir zu, „das wird definitiv nicht das letzte Mal gewesen sein. Sie findet doch immer wieder irgendetwas, zu dem wir sie begleiten sollen." „Manche Dinge ändern sich eben nie." Für einen Moment sagte er nichts und ich dachte schon, die Unterhaltung wäre beendet, aber dann drehte sich etwas zur Seite, und sein Blick traf meine. Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab.
„Nein, manche Dinge ändern sich wirklich nie."
ENDE
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Fill me with poison
RomanceIch lachte kurz sarkastisch. ,,Mein Name bedeutet übersetzt Geisel, welch Ironie..." ,,Tja, mein Name bedeutet irgendetwas mit allein sein", antwortete er leise. Ich drehte mich so, dass ich ihn ansah. ,,Das bist du aber nicht", ich nahm seine...