Sams Sicht
Ich begann Shea alles zu erzählen.. Ich fing ganz von vorne an, berichtete ihr von der Entführung, wie ich Gilles zunächst nicht ausstehen konnte, wir uns dann annäherten und uns ineinander verliebten. Von der Flucht, wie ich ins Gefängnis gekommen war und Paul mich schließlich hierhergebracht hatte.
Als ich fertig war, wackelte ich nervös mit dem Knie auf und ab. „Wenn du jetzt nicht mehr mit mir zusammenwohnen möchtest, kann ich das natürlich verstehen und werde mir sofort etwas Neues suchen." Doch statt mich umgehend rauszuwerfen, drückte sie mir einen Kuss auf die Wange. „Danke für dein Vertrauen. Und nein, ich werde dich ganz sicher nicht rauswerfen." Augenblicklich fiel eine Riesenlast von mir ab. Das erste Mal hatte ich jemandem davon erzählt und sie rannte nicht schreiend vor mir weg, das war definitiv eine Erleichterung.
„Es liegt nicht in meiner Macht, dich für deine Fehler zu verurteilen. Und dass du einen Fehler begangen hast, hast du ja scheinbar schon eingesehen, sonst wärst du wohl nie freiwillig ins Gefängnis gegangen. Wir können unsere Vergangenheit schließlich alle nicht ändern, sondern nur das Beste daraus machen. Und ich meine, Gilles schläft gerade auf deiner Couch, wenn selbst er dir vergeben hat..."
Es rührte mich sehr, wie sie mich unterstützte, aber da musste einhaken: „Oh nein. Gilles hat mir sicher nicht vergeben. Du merkst doch, wie er zu mir ist." Aber sie schüttelte nur verhalten lächelnd den Kopf. „Wenn er dir die Entführung nicht vergeben hätte, wäre er auf keinen Fall hier. Sein Problem ist vielleicht viel eher, dass die Person, die er geliebt hat - oder auch noch liebt - für Jahre aus seinem Leben verschwunden ist und er irgendwie damit klarkommen musste, während er gleichzeitig eine Ausnahmesituation durchlebt. Mal darüber nachgedacht?" Tatsächlich hatte ich das nicht. Für mich war die Entführung immer etwas, das absolut unverzeihlich war, natürlich hatte ich nicht davon geträumt, dass er mir das schon verziehen hatte.
„Verzeih mir die Frage, aber liebst du ihn noch?" Nun, das war eine gute Frage. Schließlich waren Jahre vergangen, ich hatte mir ein Leben aufgebaut, ich war ein ganz anderer Mensch. Aber, das war Gilles... „Ich weiß es nicht. Sonntag, als wir-" „Sonntag als ihr was?" Neugierig legte sie den Kopf schief. Hätte ich bloß nichts gesagt. „Ähh. Sonntag, als du uns gerade noch rechtzeitig unterbrochen hast." „Unterbrochen bei was?", quengelte sie. „Mein Gott Shea! Beim rummachen halt." Plötzlich quiekte sie los und ließ sich rückwärts auf mein Bett fallen: „Was?! Oh mein Gott, Sam!" „Ja okay, reg dich ab." Ich griff nach meinem Kissen und schleuderte es ihr entgegen, konnte mir aber ein Grinsen nicht verkneifen.
„Habt ihr denn wenigstens auch mal geredet?", brachte sie heraus, nachdem sie sie sich endlich beruhigt hatte. Ich schüttelte den Kopf, was sie genervt aufstöhnen ließ. „Dann ändre das gefälligst mal. Ich habe so eine Ahnung, dass das eure Probleme lösen könnte." Wieder schüttelte ich den Kopf. „Ich bin gestern viel zu weit gegangen. Er will nichts von mir, das respektiere ich. Wenn wir reden sollten, dann muss er dafür auf mich zugehen." „Ich bin nicht überzeugt. Aber gut, ich denke, für heute habe ich dich genug belästigt." Nochmal drückte sie mir einen Kuss auf die Wangen und zog mich dann noch in eine Umarmung. „Von nun an will ich regelmäßige Updates, ohne sie aus dir rausquetschen zu müssen."
Die nächsten Tage hielt ich an meinem Vorsatz fest, Gilles aus dem Weg zu gehen. Und das, obwohl es mir nicht leichtfiel. Jedes Mal, wenn wir im selben Raum waren, musste ich tief durchatmen und mit aller Kraft die immer wieder aufkeimenden Erinnerungen an das, was letztens passiert war, verdrängen. Von Gilles kam auch nur Schweigen, aber das war ich ja schon gewöhnt.
Shea hatte nichts weiter zu dem Thema gesagt, aber ich merkte ihre kritischen Blicke, wann immer wir zu dritt in einem Raum waren und sie unser Schweigen ertrug. Zum Glück war sie momentan durch einen wichtigen Auftrag vollkommen von ihrer Arbeit eingespannt, so dass ich mich wenigstens nicht durch Spiel- oder Filmabende mit Gilles quälen musste.
Als ich heute von der Arbeit nach Hause kam, saß sie mal wieder am Tisch und tippte hochkonzentriert auf ihrer Tastatur. Doch sobald sie mich sah, ließ sie die Arbeit ruhen. „Sam, es gibt da etwas, das du wissen solltest." „Ahja?" Ich hing meine Jacke an den Haken und sah sie erwartungsvoll an. „Gilles hat eine Wohnung gefunden." Ich zog scharf die Luft ein. Das traf mich unvorbereitet. „Willst du nicht nochmal mit ihm reden?", versuchte Shea es vorsichtig. „Ich meine, wir wissen beide, dass er bis vor Kurzem keinerlei Mühe darein gesteckt hat, sich etwas Neues zu suchen und jetzt, wo du ihn hier mit Schweigen strafst, findet er auf einmal sofort etwas." „Ich strafe ihn nicht mit Schweigen, ich tue ihm eher einen Gefallen. Er will doch gar nicht mit mir reden. Gut für ihn, wenn er etwas gefunden hat, er kann ja nicht ewig auf unserem Sofa schlafen." Natürlich durchschaute sie mich, natürlich war es mir nicht egal. Denn wenn Gilles diese Wohnung verließ, dann würde er auch endgültig mein Leben verlassen, so viel war klar. Er würde wohl kaum mal wieder zu Besuch vorbeikommen.
„Warum geht es in deinem Artikel eigentlich?", wich ich vom Thema ab. Ich lugte neugierig über ihre Schultern „Im Großen und Ganzen geht es um radikale Aktionen bei Demonstrationen oder ähnlichem; wie hilfreich sie für Aufmerksamkeit und gleichzeitig schädlich für die Sache sind." Anerkennend nickte ich.
Shea ging auf in ihrem Job als Journalistin und nicht zum ersten Mal beneidete ich sie darum, ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht zu haben. Eines Tages würde ich es vielleicht auch noch schaffen, mich von meinem Job im Café loszureißen und etwas Besseres anzustreben, aber momentan stand mir diese Möglichkeit einfach nicht offen.
„Dann will ich dich mal nicht weiters stören." Ich ließ sie allein und ging in meinem Zimmer. Das Ziehen in meiner Brust, als mein Blick kurz auf Gilles Taschen neben dem Sofa fiel, ignorierte ich dabei gekonnt.
Gilles Umzug stand fiel schneller an als gedacht. Schon zwei Tage später standen seine Taschen gepackt an der Tür. Er schien es eilig zu haben, von mir wegzukommen. Und ich konnte es ihm nicht mal verübeln. Trotzdem überraschte es mich, was für eine Unruhe der Anblick der Taschen in mir auslöste. Ich war nicht bereit, ihn für immer gehen zu lassen. Wieder mal.
Dennoch stand ich kurz darauf neben Shea an der Tür, um ihn zu verabschieden. „Ich wünsche dir alles Gute, Gilles. Und auch wenn ich dich vermissen werde, freue ich mich, dass du etwas gefunden hast." Sie zog ihn in eine Umarmung, die er sogar erwiderte. „Es wird dich noch mehr freuen, wenn du hörst, dass das Zimmer frei geworden ist, weil mein Kollege von der Bar jemanden braucht, der ihn bei der Mietzahlung unterstützt, weil seine Freundin ausgezogen ist." Ich verstand den vielsagenden Blick nicht, den er ihr zuwarf, aber sie scheinbar schon, denn augenblicklich grinste sie. „Oh wirklich? Sag Bescheid, wenn die Trauerzeit vorbei ist, dann schicke meine Freundin zu euch in die Bar."
Ein kurzer Schmerz zuckte durch meine Brust, als ich sah, wie locker er mit ihr umging; so war es zwischen uns nicht. Nach einer letzten Umarmung trat Shea zur Seite, um mir Platz zu machen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie sogar ganz den Flur verließ, um uns allein zu lassen.
Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, denn wir starrten uns nur schweigend an. Ich wollte so viel sagen und gleichzeitig fand ich keine Worte. Schließlich griff er nach seinen Taschen und alles, was ich bekam, war ein simples „Tschüss". Keine Umarmung, keine warmen Abschiedsworte. Er ging einfach so.
Ich hingegen konnte mich nicht bewegen. Ich wollte ihn nicht schon wieder verlieren. Und dieses Mal würde es wirklich endgültig sein, das war mir bewusst. Shea trat vorsichtig neben mich und legte mir behutsam eine Hand auf die Schulter. „Alles okay?" Ich konnte nicht antworten, ich traute meiner Stimme nicht.
Sie seufzte. „Jetzt lauf ihm schon nach."
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Fill me with poison
RomansIch lachte kurz sarkastisch. ,,Mein Name bedeutet übersetzt Geisel, welch Ironie..." ,,Tja, mein Name bedeutet irgendetwas mit allein sein", antwortete er leise. Ich drehte mich so, dass ich ihn ansah. ,,Das bist du aber nicht", ich nahm seine...