Gilles Sicht
Verdammt, verdammt, verdammt! Meine Hand tat höllisch weh. Wieso war ich bloß so dumm gewesen?!
Ich saß auf dem Bett und lehnte meinen Kopf gegen die kühle Wand. Und wieso war ich auf dem Boden liegen geblieben, der Typ dachte bestimmt, ich hatte mich umbringen wollen. So weit würde ich nicht gehen. Jedenfalls nicht so lange, wie ich noch Hoffnung hatte.
Der Anblick des Blutes, das noch immer an der Wand klebte, weckte die Erinnerungen an den Boxclub in mir. Ich war vor meiner Entführung lange nicht mehr da gewesen. Zuletzt gab es dort nur noch Stress und ich hatte mich deshalb erstmal von denen ferngehalten. Die Muskelprotze waren nie damit klargekommen, dass ich sie besiegte. Ich war schon immer einer der kleinsten gewesen und auch eher dünn, also das perfekte Opfer für einen Boxer - dachten die sich am Anfang. Aber ich nutze es jedes Mal aus, dass sie mich unterschätzen. Denn auch, wenn ich nicht der Kräftigste war, meine Technik war mit Abstand die Beste. Die hatte ich früher gelernt, als wir noch in Frankreich gewohnt hatten. Jeden Tag waren meine Freunde und ich damals wie die Besessenen in den Boxclub gerannt. Der war eigentlich nicht für Kinder geeignet und wir fangen uns immer wieder verachtende Blicke von den anderen Boxern ein, aber wenn man mächtige Eltern hatte, sagte nun mal niemand etwas zu dir.
Als wir in die USA gezogen waren, hatte ich das Boxen erstmal vernachlässigt. Aber Kenny, der ebenfalls boxte, hatte mich, als er erfuhr, dass ich mal geboxt hatte, sofort mit in den nächstbesten Club geschleppt und völlig verdattert geguckt, als ich ihn mit wenigen Schlägen besiegte.
Die sich öffnende Tür riss mich aus meinen Gedanken. Wow, wieder mal hatte ich stundenlang nur rumgesessen und nichts getan. Mit dem gewohnten Schweigen betrat er den Raum. Zu meiner Überraschung hatte er tatsächlich einen Verband dabei. Es hatte mich schon überrascht, dass er meinte, er würde mir einen mitbringen und ich dachte nicht, dass er es wirklich tun würde.
Nachdem er mein Mittagessen abgestellt hatte, kam er auf mich zu und reichte mir eine Salbe. „Keine Ahnung, was das ist, war das Einzige, was ich gefunden habe." Etwas misstrauisch sah ich ihn an. So viel Freundlichkeit war man ja gar nicht gewöhnt. „Ja was? Soll ich das machen oder schaffst du das noch?" Genervt wedelte er mit der Tube in seiner Hand. Ich bezweifle zwar, dass er das getan hätte, trotzdem nahm ich ihm lieber schnell die Tube aus der Hand. Mühsam drehte ich den Verschluss auf und verteilte den Inhalt auf meiner Hand. Wieso musste ich ausgerechnet die rechte gegen die Wand schlagen? Hätte ich die linke genommen, wäre das jetzt alles etwas leichter. Beidhändigkeit war mir definitiv nicht geschenkt worden.
Als ich endlich damit fertig war, wollte ich ihm den Verband abnehmen, aber er hielt ihn weiterhin fest. „Ich denke, nicht, dass du das allein schaffst", sagte er mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck. Sein Ernst? „Ich aber schon, also her damit!", fuhr ich ihn an. Er schüttelte den Kopf. „Du musst mit ganz schöner Kraft zu geschlagen haben und außerdem hast du's gerade nur mit Mühe geschafft, mit der anderen Hand die Salbe zu öffnen. Also wie willst du es schaffen, dich mit der linken Hand zu verbinden? Außerdem weiß so jemand wie du doch gar nicht, wie man einen Verband richtig anlegt." Ich schnaubte: „So jemand wie ich?! Aber du kannst das natürlich!" Er erwiderte lediglich mit einem schlichten „Ja" und setzte sich zu mir auf das Bett. Er wollte das jetzt also echt machen... Widerwillig reichte ich ihm meine Hand - eine andere Wahl hatte ich wohl eh nicht - und mit schnellen aber koordinierten Griffen verband er sie. Ich musste zugeben, er konnte es tatsächlich zehn Mal besser als ich. Das würde ich ihm aber natürlich nicht sagen.
Nachdem er das Ende des Verbandes befestigt hatte, sah er mich triumphierend an.
„Ich hätte das zwar auch allein geschafft aber naja, trotzdem danke." Zum Ende hin nuschelte ich etwas. Eigentlich wollte ich ihn den Triumph, dass ich mich bei ihm bedankte, gar nicht gönnen, aber meine gute Erziehung überwog dann doch.„Arbeitest du irgendwie so etwas oder warum kannst du das so?" Ehrlich gesagt hatte ich keine Ahnung, ob er überhaupt arbeitete. Wer wusste schon wie alt er war und ob Kriminelle überhaupt nebenbei arbeiteten.
Daraufhin lachte er kurz. Zwar nur ganz kurz, aber er lachte tatsächlich. Perplex blinzelte ich einige Male. Ein so grausamer Mensch sollte nicht so schöne Töne von sich geben können.
„Du denkst wirklich, ich würde dir etwas über mein Privatleben erzählen, damit du das dann alles schön an die Bullen weitergeben kannst? Ne danke", gluckste er. An die Polizei weitergeben. Ich hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, was ich denen erzählte, falls ich hier herauskam. Ich war irgendwie so davon ausgegangen, dass sie es waren, die mich hier herausholten und gleichzeitig meine Entführer schnappten. Würden sie es jemals schaffen, sie zu erwischen? Die hatten bestimmt schon sämtliche Fluchtwege geplant, denn dass meine Entführung nicht einfach von irgendwelchen Amateuren geführt wurde, war mir mittlerweile auch bewusst geworden.
Doch erstmal müsste ich so wie so nicht darüber nachdenken, was ich der Polizei erzählen konnte, schließlich saß ich immer noch auf einem Feldbett statt auf meinem Sofa.„Aber nein, ich arbeite so etwas nicht. Doch nach ein paar Prügeleien in der Schulzeit habe ich es mir selbst beigebracht. Nicht jeder hat seinen eigenen Arzt der bei jedem Kratzer sofort angerannt kommt."
„Du siehst auch aus wie jemand, der sich öfters prügelt", murrte ich, immer noch beleidigt von der Tatsache, dass ich mir von ihm hatte helfen lassen müssen. Seinen Seitenhieb ignorierte ich gekonnt, die Genugtuung gönnte ich ihm nicht. Außerdem fand ich es gruselig, wie nah seine Beschreibung an der Wirklichkeit lag. Vielleicht hatte er das aber ja auch nur geraten.
„Manche Leute können halt nicht mit Worten", während er sprach, stand er auf und ging schon wieder in Richtung Tür. Doch auch als die Tür sich bereits geöffnet hatte, stand er immer noch da und sah mich zweifelnd an. Irgendein innerer Kampf schien in ihm vorzugehen. „Ich ähm heiße übrigens Sam", nuschelte er schließlich und verschwand dann schnell.Verdattert starrte ich auf die Tür. Erst redete er nie mit mir und jetzt gerade hatte er mir etwas über sich und sogar seinen Namen erzählt. Was war denn in den gefahren?
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Fill me with poison
RomanceIch lachte kurz sarkastisch. ,,Mein Name bedeutet übersetzt Geisel, welch Ironie..." ,,Tja, mein Name bedeutet irgendetwas mit allein sein", antwortete er leise. Ich drehte mich so, dass ich ihn ansah. ,,Das bist du aber nicht", ich nahm seine...