Kapitel 51

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Sams Sicht

Genervt starrte ich mein Spiegelbild an. Ich war nicht überzeugt. Einerseits wollte ich nicht so aussehen, als gebe ich mir zu viel Mühe, aber ich wollte auch nicht, dass er dachte, ich hatte mir gar keine Mühe gemacht.

„Du bist schon ganz schön lange da drinnen." Shea betrat mit hochgezogenen Augenbrauen das Bad. „Rette mich, bitte! Ich verzweifle." „Ach Sam, ihr habt doch schon zusammengewohnt, da ist es jetzt keine so große Sache, dass ihr zusammen ausgeht." Trotzdem warf sie einen prüfenden Blick auf mein Outfit. „Willst du auf eine Beerdigung gehen?" Lachen zupfte sie an meinem schwarzen Hemd, das ich sehr originell mit einer schwarzen Hose kombiniert hatte. „Shea", jammerte ich. „Ist ja gut. Zieh lieber dein grünes Hemd an, die Farbe steht dir bombenmäßig. Hose und Haare befinde ich für gut." Dankend befolgte ich ihre Anweisung und als ich dann mit dem anderen Hemd vor ihr stand, nickte sie zufrieden.

„Allerdings fehlt da noch etwas." Nachdenklich legte sie ihren Kopf schief und musterte mich, ehe sie zum Schrank rüberging und in einer Schublade wühlte. „Setz dich.", wies sie mich an. Mit gekonnten Handgriffen zog sie mir einen Kajalstrich und dann schien sie endgültig zufrieden mit meinem Look zu sein. „Er wird dir nicht widerstehen können."

Er kam nicht, war er mein erster Gedanke, nachdem ich nur fünf Minuten gewartet hatte. Eine ganze Menge Leute waren bereits an mir vorbeigegangen und hatten die Bar betreten, vor der ich stand. Doch von Gilles war bisher keine Spur zu sehen. Vielleicht hatte er es sich doch anders überlegt? Aber nein, in diesem Moment kam er um die Ecke gelaufen. Erleichtert stieß ich einen Seufzer aus.

Er trug ein grau gestreiftes Hemd zu einer Jeanshose und lief mit einem strahlenden Lächeln auf mich zu. In letzter Zeit waren seine Haare wieder etwas länger gewachsen, was ihm gut stand. Sein Blick glitt über mein Outfit und er biss sich auf die Lippe. „Du siehst sehr gut aus", begrüßte er mich, als er vor mir stand. Wie ein unschuldiger Teenager spürte ich meine Wangen rot werden bei seinen Worten. „Danke. Du aber auch." Mein verlegener Ton ließ ihn schmunzeln und er lehnte sich nach vorne, um mir einen kurzen Kuss zu geben.

„Darf ich dann jetzt vielleicht mal erfahren, was wir machen?" Verschwörerisch grinste ich und griff nach seiner Hand. „Folg mir." Wir betraten die Bar und ich steuerte an einen Tisch in der Nähe der Bühne zu, auf der einige Männer gerade ein Mikrofon aufbauten. Es war zwar noch früh, aber trotzdem schon ziemlich voll und wir hatten Glück, noch einen Tisch zu finden. „Nichts für ungut, aber du hättest nicht so ein großes Ding daraus machen müssen, dass wir etwas trinken gehen", kam es von Gilles, als wir uns hingesetzt hatten. Ich erwiderte nichts und lächelte nur weiter vor mich.

Eine Kellnerin trat zu uns an den Tisch, um unsere Bestellung entgegenzunehmen und trotz der der vielen Menschen standen schon nach kurzer Zeit zwei Cocktails vor uns. Gilles hatte darauf bestanden, dass wir etwas Exotisches tranken und einfach wahllos zwei ihm unbekannte Getränke bestellt. Zugegeben, es schmeckte sehr gut.

„Und warum genau diese Bar? Sie liegt jetzt nicht unbedingt um die Ecke deiner Wohnung." Eine Antwort blieb mir erspart, denn in diesem Moment trat eine junge Frau auf die Bühne und sprach ins Mikro: „Guten Abend!" Augenblicklich verstummten sämtliche Gespräche und es wurde ruhig. „Schön, dass so viele von euch gekommen sind. Heute Abend steht wieder unsere heißgeliebte Freestyle Rap Night an. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich freue mich schon sehr, hier heute ganz vielen Talente zu lauschen." Zustimmender Applaus erklang. Gilles Blick schoss zu mir und er riss voller Überraschung die Augenbrauen hoch. Wieder konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. „Ich e mir die Liste der Acts mal angesehen und einige Namen darauf gesehen, die nicht zum ersten Mal dabei sind und auf die ich mich mega freue! Aber natürlich sind wie immer auch viele neue Gesichter dabei. Aber jetzt erstmal genug von mir. Ich sehe, der erste steht schon in den Startlöchern, also begrüßt bitte Lil Jay!" Unter lautem Applaus betrat ein Mann die Bühne und die Musik setzte ein.

„Deswegen sind wir also hier?" Ich sah von der Bühne zurück zu Gilles, der ganz begeistert wirkte. „Jep. Ich dachte, das könnte dir vielleicht gefallen." Sein Blick wurde weich. „Das tut es." Er griff über den Tisch hinweg nach meiner Hand und drückte sie, bevor er sich wieder zur Bühne drehte und der Musik zuhörte.

„Biiiiitte. Nur ganz kurz!" Seit geraumer Zeit war die Rap Night nun schon vorbei und stattdessen lief nun jede mögliche Musikrichtung über die Lautsprecher, was viele dazu ermutigt hatte, die Tanzfläche zu eröffnen. Und auch Gilles bestand quengelt darauf, dass wir Tanzen gingen. „Ich tanze nicht gerne." „Ja, aber du hast ja auch noch nie mit mir getanzt." Er war bereits aufgestanden und zog mir ungeduldig am Arm. Ich fühlte mich, als wäre ich mit einem Kind unterwegs.

Schließlich gab ich doch nach: „Ein Lied, okay?" Triumphierend grinste er, während er mich hinter sich her zur Tanzfläche zerrte.

Das war ganz und gar nicht mein Terrain. Unbeholfen bewegte ich mich mehr schlecht als recht zum Takt der Musik. „Komm schon, keiner hier achtet auf dich, gib dich einfach der Musik hin." Aufmunternd stieß Gilles mich mit dem Ellenbogen an. Unsicher ließ ich meinen Blick zwischen den anderen Tanzenden umherschweifen. Natürlich hatte Gilles recht und niemand interessierte sich auch nur im Geringsten für meine nicht vorhandenen Tanzkünste. Als ich dann ein Stück abseits eine junge Frau sah, die sich genauso unbeholfen wie ich bewegte, aber trotzdem ausgelassen lachte, fühlte ich mich direkt ein kleines bisschen besser.

Das nächste Lied wurde angespielt und Gilles grölte begeistert, ehe er lautstark mitsang. Nach und nach entspannte ich mich etwas und schaffte es, nicht mehr so angestrengt auf meine Bewegungen zu achten. Was hauptsächlich daran lag, dass ich vollkommen von Gilles Bewegungen gefesselt war. Er wusste definitiv, wie man sich zur Musik bewegte. Sehr zu meinem Leitwesen fiel das nicht nur mir auf. Ständig drehten sich die Leute zu ihm und musterten ihn interessiert. Besitzes ergreifend rückte ich ein Stück näher an ihn heran, doch das hielt die Blondine, die zielstrebig auf ihn zu tanzte, nicht davon ab, grinsend eine Hand an seine Seite zu legen. Geht's noch? Man fasste doch nicht einfach so Fremde an. Schon gar nicht, wenn dieser Fremde mit mir hier war. Ich wollte ihr schon wütend meine Meinung geigen, aber Gilles schob sie schon bestimmt von sich weg: „Kein Interesse, ich bin bereits vergeben."

Ein Ruck fuhr durch meinen Körper. Die Blondine verschwand schmollend in der Menge und erst einen Moment später schien Gilles klar zu werden, was er da gerade gesagt hatte. Sein Blick traf meinen und ein verlegener Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. „Ich meinte...also-" Leider kam er nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn in diesem Moment verstummte die Musik und eine Frau mit einem Mikrophon erschien auf der Bühne.

„Tut mir leid, dass ich euch beim Feiern störe, aber ich muss da mal eben etwas loswerden." Verwirrte Blicke wurden ausgetauscht, keiner schien so recht zu verstehen, was das sollte. „Und zwar habe ich vor fünf Jahren die Frau meiner Träume kennengelernt - und zwar genau an diesem Ort." Ein verliebtes Lächeln stahl sich auf ihre Lippen. „Seit diesem Tag hat sich mein Leben komplett auf den Kopf gestellt. Vor einem Jahr dann habe ich diese Frau geheiratet und ich kann sagen, ich liebe sie noch immer wie am ersten Tag. Als wir uns damals kennengelernt hatten, lief hier ein Lied, dass nun so gar nicht zu dieser Bar gepasst hat. Aber trotzdem hat das Schicksal dafür gesorgt, dass es genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort lief und so war es nach dem einen Tanz um uns geschehen. Liebe K.C., würdest du mir die Ehre erweisen und noch einmal hier mit mir zu diesem Lied zu tanzen?"

Die Menge rückte an den Rand der Tanzfläche und die Frau, die vorhin die Rap Night kommentiert hatte, trat auf die Tanzfläche. In ihren Augen standen Tränen und sobald ihre Frau vor ihr stand, küsste sie sie zärtlich. „Alle anderen Paare sind natürlich herzlich eingeladen, mit uns zu tanzen!", wandte sich K.Cs Partnerin an den Raum, ehe die ersten Klänge von „A groovy kind of love" von Phil Collins erklangen.

Die meisten machten sich auf den Weg zu ihren Sitzplätzen, doch einige Paare gesellten sich auch zu dem Paar, dass bereits eng umschlungen in der Mitte der Tanzfläche befand. Auch Gilles drehte sich schon wieder zu unseren Plätzen um. „Gilles", hielt ich ihn zurück. Fragend drehte er sich zu mir. Ich hielt ihm meine Hand hin. „Möchtest du tanzen?"

Ängstlich wartete ich auf seine Reaktion. Gott, das war dämlich gewesen. Warum dachte ich, dass er das wollte? Es war einfach eine Kurzschlussreaktion gewesen. Vielleicht sollte ich einfach sagen, dass es ein Scherz gewesen war, dann wäre dieser peinliche Moment vorbei.

Fill me with poisonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt