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"Denken Sie dran, die Fenster zu schließen, bevor Sie gehen", bemerkte die Professor Trelawney, als sie mich dabei erswischte, wie ich verträumt auf die Glaskugeln sah.

"Fenster?", riss ich mich selbst aus meinem Tagtraum heraus, doch da war die Lehrerin schon halb zur Tür raus. Mit einer Hand nach ihr ausgestreckt, versuchte ich, sie zu stoppen, doch wenn sie wollte, war Professor Trelawney schneller als ein Schnatz. Nicht, dass ich wüsste, wie schnell so ein Schnatz tatsächlich war.

Mein Blick wanderte zu dem wallenden Vorhang, der mir die Sicht hinaus versperrte. Das Quidditch-Spiel. Auch wenn der Trank langsam nachließ, konnte ich nicht leugnen, dass ich George gerne mal spielen sehen würde. Katie hatte die Zwillinge in höchsten Tönen gelobt und ich vertraute ihrem Urteil. Aber nur bei dem Gedanken, dass auf diese wackelige alte Tribüne zu klettern, drehte sich mir der Magen um.

Ich war gerade damit fertig, die Teesorten zu ordnen und alle abgelaufenen Tees auszusortieren, als der Wind eine Welle Jubel zu mir herein trug. Das Spiel hatte begonnen. Meine Zähne gruben sich in meine Unterlippe. Verdammte Angst! Es konnte doch nicht so schwer sein, in die Ferne zu schauen! Ich musste doch nicht mal runter gucken, nur geradeaus!

Keine Entschlusskraft dieser Welt konnte es mit meiner Angst aufnehmen. Mein ganzer Körper zitterte im Kampf Angst gegen Willen so heftig, dass die Teebeutel aus der Schachtel fielen. Ich gab auf. Es war sowieso dumm. So lange der Liebestrank noch in meinem Körper wütete, wäre nichts, was ich tat ehrlich. In ein paar Tagen wäre der Monat rum, den die Weasleys so leidenschaftlich anpriesen.

"Einen Monat Zeit, um das Herz deines Liebsten zu gewinnen."

Seit dem... seit dem Tag waren die Verkaufszahlen durch die Decke geschossen, hatte Ginny mir erzählt. Fred hatte seinem Bruder mehr als einmal für den genialen Schachzug gratuliert. Für sein großes Opfer.

Ich schnaubte und sammelte den abgelaufenen Tee wieder ein. Unwillkürlich erinnerte ich mich wieder an die Vorhersage, die ich für George mit seinem Teesatz gemacht hatte. Ich hatte nie die Gelegenheit bekommen, es ihm zu erklären.

Er wird dem Tod von der Schippe springen.

Mein Herz zog sich zusammen bei dieser Erinnerung. Oft genug hatte ich mich damit beruhigt, dass George immer noch ein Weasley-Zwilling war. Sie waren bekannt für ihre Streiche und den Unsinn, den sie immer und überall anstellten. Es gab genug Momente, auf die diese Vorhersage zutreffen konnte. Zur Hölle. Waren sie nicht erst vor ein paar Tagen um Haaresbreite Snape entkommen, nachdem sie beinahe seinen Zaubertrankunterricht in die Luft gejagt hatten? Wenn das nicht mal ein zutreffender Moment für die Vorhersage war!

Wieder drangen Stimmen vom Spielfeld zu mir herein. Ich hörte ein lautes Kreischen und Grölen durchs offene Fenster. Hatte es ein Foul gegeben? Panisch richtete ich mich auf - gerade noch rechtzeitig um den riesigen Vogel zu sehen, der seine Schwingen anlegte, um durch das Fenster zu passen.
Der Nebelgeier!

Ich riss meinen Arm hoch, um das Vieh abzuwehren, doch seine Rasierklingenkrallen fuhren durch meine Haut, zerfurchten mein Fleisch als wäre es warmes Wachs. Jetzt war ich es, die kreischte. Der Schmerz durchfuhr meinen ganzen Körper, wanderte meine Knochen entlang, wie ein elektrischer Schlag. Mir wurde schwarz vor Augen.

Aber der Vogel war noch lange nicht fertig mit mir. In dem geräumigen Zimmer hatte er allen Platz, den er brauchte, um zu wenden. Ich rappelte mich auf, versuchte mich zu verstecken, doch es hatte keinen Sinn. Mit seinem zweiten Angriff zerriss der Geier meinen Umhang, grub seine Krallen tief in meine Schulter und ich musste würgen, als ich spürte, wie sie sich um mein Schlüsselbein legten.

Noch immer versuchte ich, den Geier los zu werden. Egal wie aussichtslos es war. Ich schrie und schlug nach dem Monster, denn die Alternative wurde immer deutlicher.
Es zog mich zum geöffneten Fenster hinaus.

Panisch griff ich nach meinem Zauberstab. Rechts war zwar nicht meine eigentliche Zauberhand, aber es musste reichen! Ein Schockzauber! Lähmung! Irgendwas! Aber die Worte wollten meine Lippen nicht rechtzeitig verlassen, meine ungeübte Hand die Bewegung nicht korrekt ausführen. Mit einem heftigen Schlag seines Flügels schlug er mir den Zauberstab aus der Hand und hob uns gleichzeitig vom Boden. Das war mein Ende!

Mit der freien Hand packte ich die rauen Beine des Vogels und klammerte mich so fest ich konnte.

Das Kreischen der Menge wurde lauter und ich verstand. Sie hatten den Nebelgeier gesehen und das Spiel unterbrochen. So musste es sein. Sicher konnte ich nicht sein, denn ich kämpfte mit aller Kraft gegen die Ohnmacht an, die sich anbahnte. Das einzige, was mich bei Bewusstsein hielt, war die Tatsache, dass mein Arm langsam taub wurde. So schrecklich es klang, es war besser als diese Schmerzen, die sich durch jede Faser meines Körpers ausgebreitet hatten.

Nur die warme Lache, die sich von meiner Schulter ausbreitete, alarmierte mich von Sekunde zu Sekunde mehr. Die Krallen waren nahe meines Halses eingeschlagen. Was, wenn sie meine Schlagader getroffen hatten? Aber nein! Dann wäre ich bestimmt schon verblutet, oder?

Es war lächerlich. Diese Gedanken! Aber was sollte ich tun? Ich konnte mich nicht befreien und eigentlich hatte ich doch seit zwei Jahren nur von geborgter Zeit gelebt.
Ein Schluchzen. So jämmerlich und wehleidig, wie ich noch nie in meinem Leben gewesen war. Es war so weit. Ich würde sterben.

Gerade als mich die Hoffnung verließ, hörte ich neben mir ein saftiges Klatschen. Wie eine überreife Tomate auf dem Gewächshausdach.
Noch bevor ich verstehen konnte, was gerade passiert war, lösten sich die Krallen aus meiner Schulter und die Welt um mich herum begann sich in schwindelerregendem Tempo zu drehen.

Der Geier hatte mich los gelassen! Doch was für den Bruchteil einer Sekunde Freude war, wurde sofort zu bitterer Galle. Der Vogel hatte mich hunderte Meter über dem Erdboden los gelassen.

Ich schloss ein letztes Mal die Augen. Sah vor mir, wie mein Schädel auf den harten Rasen aufschlagen würde. Aufplatzen, wie eine Wassermelone.

Ich versuchte gerade, die Ohnmacht heraufzubeschwören, die mich die ganze Zeit verfolgt hatte, um mein eigenes Ende nicht miterleben zu müssen, als ich am Rande meines Bewusstseins eine Stimme hörte. Wie schrecklich für all jene, die mich sehen mussten, dachte ich mitfühlend, als mein Fall abrupt gebremst wurde.

"Camille!" Starke Arme schlangen sich um mich, verlangsamten die taumelnde, rasende Welt um mich herum, bis ich zurück in meinem Körper war.

"George!", stieß ich ebenso verzweifelt aus, wie er geklungen hatte.

"Es wird alles gut", beschwor er mich, während er seinen Besen herumriss. Beinahe hätte ich mein Gleichgewicht verloren, doch irgendwo in mir waren die letzten Lebensgeister erwacht. Ich schlang meinen gesunden Arm so fest um seinen Hals, das George aufkeuchte. Aber langsamer wurden wir nicht. Wieder wurde mir schwarz vor Augen und ich presste mein Gesicht in den rauen Umhang, an die warme Brust.

Es wird alles gut, echote seine Stimme in meinem Kopf immer und immer wieder. Ich hatte eine Chance. Es gab tatsächlich eine Chance.
"Ich will nicht sterben", brach schluchzend aus mir heraus, was ich mich die ganze Zeit nicht getraut hatte, zu denken.

"Du wirst nicht sterben. Nicht heute, nicht hier." Er klang so sicher, dass ich ihm glauben wollte. Erst als er meinen Kopf tiefer in seinen Umhang drückte und "Augen zu", knurrte, kam mir der Gedanke, dass George lebensmüde sein musste! War der Geier hinter uns her?!

Ein Aufprall und das ohrenbetäubende Klirren von Glas widerlegten diesen Gedanken sofort. Noch ehe ich verstehen konnte, was passiert war und wo wir waren, kam eine Frau mit Geschrei angerannt.

"Was in drei Teufels Namen!"
"Schnell! Sie müssen ihr helfen!"
"Verrückter Junge, hier lang!"

Madame Pomfrey. Natürlich. Aber waren wir gerade...? Der Schmerz kehrte so plötzlich in meinen Arm zurück, das ich aufheulte wie ein Werwolf.

"Ist ja gut", beschwichtigte mich Madame Pomfrey, nur ihre nächsten Worte konnte ich nicht mehr verstehen. Noch immer lag mein Arm um Georges Hals wie ein Schraubstock und selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte nicht loslassen können.

Wir waren dem Nebelgeier entkommen.

George Weasley hatte den Tod betrogen. Aber nicht um sein Leben. Sondern um meines.

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1310 Wörter

Weasleys, Pranks and other CursesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt