Harlow
Es waren zu viele Veränderungen in den letzten Tagen. Erst Gibbs und jetzt auch noch der andere Gorilla, der scheinbar die Position als neue rechte Hand einnahm. Bei seinem Anblick bedauerte ich beinahe, dass ich das Angebot nicht angenommen hatte, als Gibbs es mir vorschlug.
Ich bekam ungeheure Kopfschmerzen und daran konnten nur die letzten Tage schuld sein. Selbst Schmerztabletten brachten mir nur eine leichte Linderung. Ich sehnte das Wochenende herbei und die damit verbundene Entspannung und den Schlaf. Vorausgesetzt, es würde nicht wieder einen Polizeieinsatz oder eine Party in meinem Wohnhaus geben. Letzte Nacht fasste ich den Entschluss, mich nach einer neuen Wohnung umzusehen. Nachdem, was Gibbs getan hatte, konnte ich mir sicher sein, dass er mich nicht einfach vor die Tür setzen würde. Mit diesem Wissen konnte ich beruhigt nach vorne blicken.
„Wir wurden einander noch nicht vorgestellt."
Ich sah auf und erkannte eine Frau, welche nur ein paar Jahre älter schien als ich. Sie stand an der anderen Seite meines Tisches und hatte einen kleinen Jungen an der Hand, der kaum älter als fünf Jahre sein konnte.
„Entschuldigung?" Ich hatte sie noch nie vorher gesehen und wusste daher nicht, woher ich sie kennen sollte. Ich schob die Akte zur Seite und erhob mich. „Haben wir uns schon einmal gesehen?"
Sie lächelte, während sie leicht den Kopf schüttelte. „Noch nicht persönlich, aber ich habe schon viel von dir gehört. Mein Name ist Olivia Gibbs."
Der Groschen fiel und ich reichte ihr meine Hand. „Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Harlow."
„Endlich habe ich einen Namen, mit dem ich dich ansprechen kann. Kleiner Drache klingt nicht unbedingt nach einem Titel, mit dem man jemanden ansprechen sollte. Nenn mich einfach Olivia." Nachdem wir uns begrüßt hatten und ich mir einen Kommentar bezüglich des kleinen Drachens verkniffen hatte, fiel mein Blick auf den Jungen, der mich mit großen Augen ansah.
„Und wer bist du?", fragte ich und beugte mich leicht zu ihm. Er war niedlich, aber vermutlich wollte er so etwas in seinem Alter nicht mehr hören.
„Maxime", gab er knapp von sich und schien sich hinter Olivia verstecken zu wollen, ohne mich jedoch aus den Augen zu lassen.
„Er ist etwas schüchtern. Sobald das Eis gebrochen ist, ist er aber wie ausgewechselt. Dann gibt es kein Halten mehr und er wird dir alles erzählen, was du hören möchtest." Sie ließ ihren Blick durch das Büro, die vielen Schreibtische und die daran sitzenden Angestellten wandern. „Ich hoffe, du fühlst dich unter der neuen Führung wohl."
„Bisher kann ich nicht viel sagen, aber Gibbs scheint ein guter Chef zu sein."
„Das hoffe ich für ihn. Ansonsten kann er sich auf etwas gefasst machen", lachte sie. „Wenn es dir keine Umstände macht, würde ich dich gerne zum Essen einladen. Dein Zusammenstoß mit Romeo war immerhin der Grund dafür, dass mein Mann endlich einer richtigen Arbeit nachgeht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie lange ich ihm damit in den Ohren lag. Auf mich wollte er jedoch nicht hören."
Ich wusste nicht so recht, was ich von diesem Angebot und den ganzen Informationen halten sollte. „Ich möchte keine Umstände machen", versuchte ich ihr Angebot auszuschlagen. Es kam mir falsch vor, mich von der Frau meines Chefs verköstigen zu lassen.
„Du machst keine Umstände. Nimm deine Tasche und komm. Ich kenne ein tolles Restaurant in der Nähe, in welchem es auch etwas gibt, dass Maxime gerne mag." Sie sah sich noch einmal um. „Du hast doch gleich Pause, oder? Deine Kollegen scheinen sich jedenfalls darauf vorzubereiten."
Sie hatte mit ihrer Vermutung recht. Einige schalteten ihre Computer bereits aus, während andere sich schon daran machten, den Raum zu verlassen.
„Wir können auch hier in die Cafeteria gehen. Gibbs wird sicherlich auch dort sein." Das Essen dort schmeckte zwar nicht so gut wie jenes, das wir in einem Restaurant bekämen, aber es war zumindest nicht so teuer.
„Ich verbringe bereits den Abend mit ihm. Das muss reichen."
Sie ließ sich scheinbar nicht von ihrem Vorhaben abbringen und da sie den Jungen dabei hatte, gab ich mich geschlagen. Ich wollte nicht daran Schuld sein, wenn er noch länger auf sein Mittagessen warten musste.
Schnell packte ich die Unterlagen zusammen und zog dann meine Tasche unter dem Tisch hervor. „Ich habe eine halbe Stunde, dann muss ich wieder hier sein."
„Und wenn es eine Stunde dauert", meinte sie und lachte. „Sollte mein Mann Probleme machen, kümmere ich mich schon darum. Also mach dir keine Sorgen."
„Wenn ich es ihm sage, wird er nicht schimpfen." Maxime traute sich noch immer nicht vollends hinter Olivia hervor, doch zumindest streckte er seinen Kopf in meine Richtung. „Er wird immer traurig, wenn ich ihn schimpfe. Einmal hat er meine Superhelden durcheinandergebracht, obwohl niemand sie anfassen darf", sprach er weiter und hielt sich dabei an dem Bein seiner Mutter fest.
Olivia lachte, während sie seine Hand nahm und zum Fahrstuhl ging, während ich ihnen folgte. „Das war ein spannender Abend. Er befürchtete schon, dass du nie wieder mit ihm sprichst."
Nachdem wir das Gebäude verlassen hatten, liefen wir noch ein paar Minuten, bis wir ein gemütlich eingerichtetes Restaurant betraten, welches mir bisher nur von Außen bekannt war. The Establishment hatte einen Namen in der Stadt und für gewöhnlich war es schwer, einen Tisch ohne Reservierung zu erhalten. Mich beschlich das Gefühl, dass unser Essen nicht so spontan war, wie Olivia es mir weismachen wollte.
„Muss man nicht Wochen im Voraus reservieren?", fragte ich, nachdem wir an unseren Tisch geführt wurden und uns gesetzt hatten.
Maxime saß mir gegenüber und hatte seinen kleinen Rucksack, welchen er mit sich trug, auf dem Schoß. Olivia räumte sein Besteck und die Servierte zur Seite. Sie war noch nicht ganz fertig damit, als er ein Malbuch und einige Stifte hervorzog und diese vor sich ausbreitete. Es waren Superhelden darauf abgebildet und einige davon kannte ich sogar.
„Er ist erst mal beschäftigt. Aber du hast recht. Man muss Wochen im Voraus reservieren", bestätigte sie meinen Verdacht.
„Und wem habe ich den Platz weggenommen?" Das schlechte Gewissen packte mich. „Doch nicht etwa Gibbs?"
Sie machte keinen Hehl daraus, dass ich mit meiner Vermutung ins Schwarze getroffen hatte. „Wir haben heute Hochzeitstag und er hat ihn vergessen. Seit Tagen mache ich Andeutungen, aber er versteht es einfach nicht. Deswegen habe ich meine Pläne etwas umstrukturiert. Versteh mich nicht falsch, denn ich hatte wirklich vor, mich mit dir zu treffen. Du kannst ihm also dafür danken, dass es bereits jetzt dazu gekommen ist."
Olivia versuchte zwar es sich nicht anmerken zu lassen, aber sie war eindeutig sauer auf Gibbs, weil er es vergessen hatte. Ohne etwas Hilfe würde er aus diesem Schlamassel vermutlich nicht so einfach herauskommen und im Grunde war ich ihm etwas schuldig.
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Dedication
RomanceHarlow scheint die perfekte Definition für eine einfache und normale Frau zu sein. Sie lebt ihr Leben ohne größere Vorkommnisse und sitzt täglich, trotz jeglicher Widerstände, lächelnd an ihrem Schreibtisch. Das ändert sich jedoch, als sie nachts et...