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Romeo

Da Gibbs seine schwangere Frau nicht aus den Augen ließ und ich mit meiner eigenen Familie alle Hände voll zu tun hatte, blieb es an Jessie hängen, sich an Denises Fersen zu heften und sie ausfindig zu machen. Gestern früh machte er sich an die Arbeit und verfolgte einige Spuren, die zu ihr führen könnten. Mehrmals täglich meldete er sich bei mir und hielt mich auf dem Laufenden. Gemeinsam analysierten wir die neusten Erkenntnisse und überlegten, wie wir als Nächstes vorgehen könnten.

Nicht nur ich wollte sie finden. Auch die Familie des Mannes, mit dem sie die letzten Jahre verbrachte, hatte es sich scheinbar zur Aufgabe gemacht, sie ausfindig zu machen. Laut seiner eidesstattlichen Aussage war sie die treibende Kraft hinter allem. Ob dies der Wahrheit entsprach, konnte jedoch erst geklärt werden, wenn man Denise fand.

Ich hasste es. Die Situation mit der Mutter meiner Kinder machte mich beinahe krank und ich spürte seit Tagen, wie sich der Zorn und die Wut wie eine Art Geschwür durch meine Gedärme fraß. Dass wir unter der dauerhaften Aufsicht der Jugendfürsorge standen, hatte keinen allzu geringen Anteil daran.

Sollte die Sozialarbeiterin, die seit Birdies auftauchen, bei uns täglich ein und aus ging, wie es ihr gefiel, noch einmal auch nur den geringsten Zweifel an Harlows erzieherischen Fähigkeiten äußern, würde ich sie persönlich in hohem Bogen vor die Tür werfen. Harlows Ruhe bei den ständig anhaltenden, spitzzüngigen Bemerkungen bewunderte ich jedes Mal aufs Neue.

Maxime war ganz begeistert von seiner kleinen Schwester und ich konnte es nicht abstreiten, dass auch ich hin und weg von ihr war. Sie sprach zwar noch immer kein Wort, doch durch einige Beziehungen konnte ich bereits einen Termin bei einem der angesehensten Kinderpsychologen des Landes organisieren. In zwei Wochen würde sie die erste Sitzung dort haben und ich hoffte wirklich, dass sie zumindest ein paar Worte mit ihm wechselte. Geplant waren Einzelsitzungen sowie eine Art Gruppentherapie mit uns allen. Nur Harlow wäre dabei nicht anwesend, da sie im zwei Tagen in die Klinik ging, in welcher sie an der klinischen Studie teilnehmen würde.

Die Wochen ohne ihre physische Anwesenheit jagten mir eine Angst ein, die ich bisher nicht kannte. Wie sollte ich es mit zwei kleinen Kindern und einer Sozialarbeiterin im Nacken annähernd bewältigen, die Fassung zu bewahren?

Harlow war mein Ruhepol und ohne sie an meiner Seite brauchte es nur ein falsches Wort, damit ich an die Decke ging. Es waren weder Maxime noch Birdie, die an meinen Nerven zerrten. Aber das drumherum.

Dass ich als Anwalt mir selbst einen Anwalt nehmen musste, damit dieser mir helfen konnte, das volle Sorgerecht für Birdie zu beantragen, erschien fast wie ein Witz. Doch durch meine weitreichenden Kontakte fand ich jemanden, den ich mit allem Notwendigen betrauen konnte. Somit wäre es ein leichtest, auch ohne Denise Anwesenheit, das alleinige für beide Kinder Sorgerecht zu bekommen.

Durch die kriminellen Dinge, in die sie sich verstrickt hatte, standen meine Chancen ebenfalls gut, die Scheidung ohne notwendige Unterhaltszahlungen hinter mich zu bringen. Irgendwann, wenn Harlow und ich mit den Kindern zur Ruhe kommen würden, würde ich sie fragen, ob sie mich heiratet. Doch bis dahin würden noch Monate, wenn nicht sogar Jahre ins Land ziehen.

Ihr dabei zuzusehen, wie liebevoll sie mit Maxime umging, machte mich glücklich und für ihre Geduld Birdie gegenüber konnte man sie nur bewundern. Dadurch, dass sie nicht redete und meist nur mit ihren Findern auf etwas zeigte, brauchten wir länger, um zu verstehen, was sie von uns wollte und wenn wir uns zu hektisch bewegten, versteckte sie sich oft hinter einem nächstgelegenen Möbelstück. Was hatte das Mädchen nur durchgemacht?

Dennoch veränderte sich unsere Dynamik täglich und als ich gestern von meinem Termin mit einem wichtigen Klienten spät am Abend nach Hause kam, schlief Birdie gemeinsam mit Maxime in seinem Bett. Das, was ihr an Vertrauen in uns Erwachsenen fehlte, schenkte sie ihrem Bruder und die Herzlichkeit zwischen ihnen machte mich unglaublich glücklich. Am meisten profitierte jedoch das Kaninchen. Sollten die zwei noch mehr Leckereien in sie hineinstopfen, würde es wahrscheinlich irgendwann platzen.

„Was würdest du davon halten, wenn wir ein zweites Kaninchen kaufen? Eines für Birdie?"

Harlow war damit beschäftigt, einen Koffer zu packen und schien gar nicht bemerkt zu haben, wie ich zu ihr in den Raum kam. Sie zuckte leicht zusammen und ließ fast den Stapel Kleidung in ihrer Hand fallen. Nachdem sie sich von diesem Schreck erholt hatte, lächelte sie mich an. „Diesen Gedanken hatte ich auch schon", gab sie zu und legte die Kleidungsstücke in den Koffer. „Frag sie, ob sie ein eigenes möchte. Vielleicht können wir mit ihr und Maxime in eine Zoohandlung fahren und die beiden schauen gemeinsam."

Mir war bewusst, dass ich kaum eine verbale Antwort auf meine Frage von Birdie erhalten würde, aber zumindest nicken oder mit dem Kopf schütteln würde. „Du hältst es also für eine gute Idee?"

„Ich halte es sogar für eine sehr gute Idee." Sie kam auf mich zu und gab mir einen flüchtigen Kuss. „Vielleicht hilft es ihr ja dabei, sich etwas wohler bei uns zu fühlen."

Es würde noch einige Zeit dauern bis das Zimmer, welches wir für sie vorgesehen hatten, fertig wäre und bis dahin sollte sie eigentlich im Gästezimmer schlafen. Die meiste Zeit verbrachte sie jedoch bei Maxime und es würde wohl auch noch einige Zeit so bleiben. Selbst wenn sie einen eigenen Rückzugsort hätte.

„Wie soll ich die Wochen ohne dich nur überstehen?" Ich schloss meine Arme um Harlow und zog ihren Körper näher an meinen. „Du bist der einzige Grund, der mich daran hindert, die Sozialarbeiterin aus dem Fenster zu werfen."

Sie lachte und schmiegte ihren Kopf an meinen Oberkörper. „Ich glaube, du würdest riesigen Ärger dafür bekommen. Außerdem bin ich es beinahe gewohnt, dass die meisten Frauen so auf dich reagieren. Das Einzige, was mich daran hindert, dieser Frau etwas anzutun ist die Tatsache, dass ich weiß, dass du dich bewusst für mich entschieden hast und Maxime. Er würde wohl nie wieder mit dir sprechen, wenn du mich für eine andere Frau verlässt. Noch dazu, wenn diese so tut, als würde er nicht existieren."

Ich wusste genau, was sie meinte. Selbst Birdie schien sie außen vorzulassen. „Ich werde mit jemanden darüber reden. Vielleicht bekommen wir ja jemand anderen zugewiesen." Mein Blick glitt durch den Raum und blieb auf ihrem Koffer liegen. „Bist du aufgeregt?"

„Etwas schon. Aber es macht mir eher Sorgen, dass ich dich mit all dem alleine lasse. Sollte etwas passieren, kann ich nicht so schnell bei euch sein."

Es war Teil der Abmachung, dass, sollte Harlow außerhalb der vereinbarten Zeiten die Klinik verlassen, die medizinische Studie als abgebrochen angesehen wird und sie somit ausschied. Ihre Gesundheit musste jedoch genau jetzt ihre oberste Priorität sein. Niemand wusste, wie lange es noch dauern würde, bis sie den nächsten Anfall bekam. Geschweige denn, wie schlimm dieser dann verlief.

„Matthew hat mir eine E-Mail geschrieben und versichert, dass er persönlich ein Auge auf dich haben wird. Er hat zwar einen speziellen Charakter, aber ihr werdet euch schon verstehen. Wenn er sauer ist, flucht er wie ein Seemann. Eine Eigenschaft, die du auch gut beherrscht."

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