Romeo
Gibbs und Olivia versprachen mir bereits mehrfach, dass heute Abend nichts passieren würde, das nicht für Maximes Augen oder Ohren bestimmt war. Ich war mir durchaus darüber bewusst, dass ich Harlow überrumpelt hatte und somit hatte sie keinerlei Chance, meine Bitte abzuschlagen.
Nachdem ich sie gestern Abend nach Hause gebracht hatte, verlor ich keine Zeit und rief sofort bei meinen Freunden an, um sie zu fragen, ob Maxime eine Nacht bei ihnen verbringen könnte.
„Was hast du heute Abend eigentlich vor? Nach dem letzten Mal gingen wir davon aus, dass Maxime nicht mehr so schnell zu uns kommen würde." Gibbs nahm mir den kleinen Rucksack ab, in dem mein Sohn seine liebsten Spielzeuge transportierte. Wenn ich länger unterwegs war, kümmerten sie sich auch um Pepper, aber das würde heute nicht nötig sein.
Bevor ich zu einer Antwort ansetzen konnte, kam mir Maxime zuvor, der aufgeregt an Olivias Hand zog. „Dad geht essen. Er hat gedacht, ich höre nicht zu, aber ich hab heimlich gelauscht."
Zumindest war es eine Erklärung dafür, warum er seit dem Morgen ein riesiges Grinsen im Gesicht trug. Gestern Abend ist er noch vor dem Fernseher eingeschlafen und hat nichts mehr von dem mitbekommen, was um ihn herum passierte. Nicht, dass etwas vorgefallen ist. Harlow war zu keinem Wort mehr imstande und ich fragte nicht weiter nach. Vielleicht hätte sie es sich noch anders überlegt und ein solches Risiko wollte ich nicht eingehen.
Gibbs sah von Maxime zu mir und legte seine Stirn in Falten. „Schon wieder ein Geschäftsessen? Hast du denn nicht schon genug Klienten?"
Vermutlich hätte er mir wieder einmal einen Vortrag über mein Arbeitspensum gehalten, wenn sich mein Sohn nicht erneut eingeschaltet hätte. Dieser musste beiden sofort erklären, dass ich und Harlow kein Geschäftsessen haben würden. Kaum hatte er gesprochen, gab Olivia ein grauenhaft hohes Quietschen von sich, welches vermutlich noch Hunde drei Straßen weiter gehört hatten.
„Ich habe es dir gesagt", rief die aufgeregt und schlug ihren Mann auf die Schulter. „Ich wusste, dass er sie mag. Habe ich es dir nicht gesagt?"
Bevor es in irgendeiner Art noch weiter eskalieren konnte, verabschiedete ich mich schnellstmöglich. Vermutlich musste ich mir morgen so einige Fragen anhören, und zwar von beiden. Denn Olivia war bei Weitem nicht so neugierig, wie Gibbs es war. Dazu kam, dass mit Sicherheit auch Maxime einige Antworten haben wollte. Mir kam nicht einmal in den Sinn, dass er uns belauscht haben könnte. Vermutlich war er doch nicht mehr so unschuldig, wie ich es gerne hätte. Dabei kam es mir vor wie gestern, als ich ihn das erste Mal in meinen Armen hielt.
Als ich die Wohnung meiner Freunde verlassen hatte und in meinen Wagen gestiegen war, kam doch so etwas wie Nervosität in mir auf und in meinem Kopf spielten sich alle möglichen Szenarien ab, wie der Abend verlaufen könnte. Die meisten endeten in einer Katastrophe und es wurde nicht besser, als ich mein Ziel erreicht hatte. Harlow hatte ihre Wohnung augenscheinlich noch nicht verlassen, was ich ihr bei der Nachbarschaft, in welcher sie lebte, nicht verübeln konnte. Wie konnte man sich hier nachts nur nach draußen wagen, ohne Angst haben zu müssen, ausgeraubt zu werden?
Nachdem ich noch einige Minuten vor dem Gebäude gewartet hatte, entschied ich mich dazu einmal nachzusehen, ob bei ihr alles in Ordnung war und sie es sich einfach nur anders überlegt hatte. Ich hatte ihr ja keine Möglichkeit gegeben, meine Bitte abzuschlagen und vielleicht hatte sie jetzt erst die Tragweite ihres einfachen Kopfnickens verstanden. Welche Frau wollte schon mit einem Mann zusammen sein, der bereits Vater eines Sohnes war? In den meisten Fällen war es doch eher umgekehrt. Es bedeutete jedoch nicht, dass es keine weniger große Verantwortung war.
Selbst wenn das alles hier im Sande verlaufen sollte, musste ich dafür sorgen, dass Harlow dieses Viertel so schnell wie möglich verlässt. Ich brauchte nicht einmal zu klingeln, denn die Tür, deren Zweck es war, die Bewohner des Hauses zu schützen, bot nichts dergleichen. Etwas zu viel Schwung und sie würde vermutlich sofort aus dem Rahmen fallen. Im Treppenhaus schlug mir ein Geruch entgegen, der mit Sicherheit eine Mischung aus Gras, Alkohol, Erbrochenem und anderen Dingen war, die ich nicht weiter in meinem Kopf haben wollte.
Es gab einen Aufzug, doch dieser war mit gelb-schwarzem Band angeklebt und ein großes Defektschild hing davor. Das hier war die reinste Bruchbude. Einige der Wohnungstüren, die ich auf meinem Weg zu Harlow passierte, sahen aus, als wären sie entweder eingetreten oder angezündet worden und an einer der Wände war ein deutlicher Wasserschaden zu erkennen, auf dem sich bereits ein schwarzer Film bildete.
Am liebsten wollte ich Harlow sagen, dass sie sofort ihre Sachen packen und in ein Hotel ziehen sollte. Ich würde dafür sogar aufkommen, Hauptsache, sie käme so schnell wie möglich hier raus. Lange musste ich nicht suchen, denn ich wusste bereits, in welcher Etage sie lebte und da vor einer der Türen unzählige Schuhe standen, von denen kein Paar zu einer Frau gehörte, blieb nur noch eine weitere.
Ich klopfte vorsichtig nicht dass diese Tür sonst auch aus der Verankerung viel und wartete, während ich schnelle Schritte und einige leise Flüche aus dem Inneren der Wohnung hörte. Es folgte das typische Geräusch des Schließzylinders und Harlow sah vorsichtig durch den Türspalt, welcher von einer Kette gehalten wurde.
„Dachtest du, ich wäre ein Einbrecher?" Ich konnte die Vorsicht, mit der sie die Tür öffnete, durchaus verstehen, dennoch konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen.
Mit großen Augen sah sie mich an und schloss die Tür schnell wieder. Kurz war ich verwundert. So hatte noch nie eine Frau auf mich reagiert, doch Harlow löste nur die kleine Kette und öffnete zu meiner Erleichterung die Tür wieder.
Es war offiziell. Sie war eindeutig wie keine andere Frau, der ich je begegnet war. Sie stand in einer schwarzen Leggins und einem großen, pinken Pullover vor mir, während überall auf dem Boden Sachen verteilt lagen. Da es keinen Flur gab, war ich direkt in ihrem Wohnzimmer, dass scheinbar auch als ihr Schlafzimmer fungierte. Ein kurzer Blick reichte und ich konnte die Küche erkennen, die hinter einem Regal versteckt war. Jeder Hamsterkäfig war größer als das alles hier.
„Bin ich zu spät?" Verlegen sah sie zu mir hoch und versteckte ihr Gesicht dann hinter ihren Händen. „Natürlich bin ich zu spät. Du hast bestimmt schon gewartet, aber ich wusste nicht, was ich anziehen soll, und dabei hab ich irgendwie die Zeit aus den Augen verloren." Aufgeregt lief Harlow in ihrer winzigen Wohnung herum und sammelte die Kleidungsstücke vom Boden auf.
Ich konnte jedoch nur daran denken, wie niedlich sie in diesem riesigen Pullover aussah, in welchem sie regelrecht unterging. „Du siehst gut aus", meinte ich und ging einen Schritt auf sie zu. „Meinetwegen musst du dich nicht umziehen."
„Machst du dich über mich lustig? So kann ich doch nicht mit dir rausgehen." Ihre Stimmlage verriet mir, dass sie meine Worte nicht ernst nahm und wohl dachte, ich würde mich über sie lustig machen.
Im Vergleich zu mir schien sie so klein und zerbrechlich, und wenn sie sauer wurde, wirkte sie um ein Haar noch niedlicher. „Es ist mein Ernst. Ich hatte nicht vor, dich in ein superteures Restaurant auszuführen und wollte es eigentlich einfach halten". Mit meinen Händen deutete ich auf mich, denn selbst trug ich nichts anderes als eine Jeans und ein einfaches Oberteil. „Es sei denn, du möchtest es exklusiv. Dann gehen wir in den teuersten Laden der Stadt."
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Dedication
RomanceHarlow scheint die perfekte Definition für eine einfache und normale Frau zu sein. Sie lebt ihr Leben ohne größere Vorkommnisse und sitzt täglich, trotz jeglicher Widerstände, lächelnd an ihrem Schreibtisch. Das ändert sich jedoch, als sie nachts et...